Redaktor/In

Nathalie Pernet

Nathalie Pernet

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Text
Nathalie Pernet

Was ist Bünzli?

Der Bünzli. Er steckt also in uns Schweizern. Irgendwo.

FB

Es ist ein komisches Wort, dieses «Bünzli». Trotzdem kennt es praktisch jeder Schweizer, jede Schweizerin. Und assoziiert sogleich ein konkretes Bild: Spiessig, verbohrt und kleinkariert – so sehen wir den Schweizer Durchschnittstypus. Folglich schreiben wir dem Bünzli heute eine eher negative Bedeutung zu. Früher war dies anders, wie Reto Widmer in seiner SRF Inputsendung Die Schweiz in einem Wort: Bünzli berichtet.
Demnach stammt das Wort Bünzli aus dem 13./14. Jahrhundert und galt als Übername. Ob es sich aus dem Binsenstengel «Bintz» ableitet, der damals auf dem Lande wuchs und sinnbildlich für einen hageren kleinen Menschen stand, oder aber aus «Buntz», dem kleinen dicklichen Knopf – wir wissen es nicht genau. Da lässt das schweizerische Wörterbuch Idiotikon Interpretationsspielraum offen. In jedem Fall wurde aus Bintz oder Buntz – im typisch schweizerisch verniedlichenden Sinne – ein Bünz-LI.

Der Bünzli. Er steckt also in uns Schweizern. Irgendwo. Und wer ihn noch nicht entdeckt hat, den Bünzli in sich, der lese Mein Nachbar Urs – Geschichten aus der Kleinstadt von Alex Capus. Er wird ihn finden, ganz bestimmt – mit einem Augenzwinkern und viel Humor.

Quellennachweis: Die Schweiz in einem Wort: Bünzli, SRF Sendung Input von Reto Widmer, 17.11.2013

Video: Dance Your PhD 2015 - Florence Metz
Video: Dance Your PhD 2015 - Florence Metz
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Text und Interview
Nathalie Pernet

Science + Entertainment = Scientainment

Soll Wissenschaft neuerdings auch unterhalten? Kann sie, aber muss sie nicht!

FB

Video: Dance Your PhD 2015 - Florence Metz

Soll Wissenschaft neuerdings auch unterhalten? Kann sie, aber muss sie nicht! Während Universitäten und Fachhochschulen Wissenschaft kommunizieren und damit oft nur eine bildungs- und forschungsinteressierte Bevölkerungsschicht erreichen, hat sich in jüngerer Zeit eine andere Art der Wissenschaftsvermittlung herausgebildet: das Scientainment. Mit neuartigen und innovativen Formaten wird eine breite Öffentlichkeit angesprochen, die unterhaltend und verspielt auf Inhalte der Wissenschaft hingeführt wird.

Science Slams beispielsweise, an denen junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihrem Forschungsthema in jeweils 10 Minuten um die Gunst des Publikums rangeln, waren die ersten Versuche in diese Richtung. Heute gibt es Nächte der Forschung an Universitäten, Wissenschaftsfestivals, Science Comedies, Museumsinterventionen, Blogs, speziell konzipierte Theaterformate etc…. Zudem ist Scientainment in der Schweizer Förderkultur angekommen: So unterstützt zum Beispiel die Stiftung Gebert Rüf explizit Projekte «niederschwelliger Wissenschaftskommunikation». Das Pilotprojekt dazu war die wöchentliche Wissensseite in der Pendlerzeitung 20 Minuten. Als weiteres Format folgte die Black Box Science im Pfauen Theater Zürich.

Auch das renommierte Wissenschaftsmagazin Science möchte Wissenschaft breiter vermittelt sehen und hat deshalb 2007 mit John Bohannon von der Harvard University sowie der amerikanischen Wissenschaftlervereinigung AAAS den Wettbewerb «Dance your PhD» ins Leben gerufen. Und genau den hat 2015 Florence Metz gewonnen. Wie es dazu kam, erzählt sie uns im Interview:

Nathalie Pernet: Florence Metz, Du bist Politikwissenschaftlerin und dozierst an der Universität Bern. Du beforschst, grob gesagt, die Ressource Wasser und wie damit umgegangen wird. Zu diesem Thema hast Du Deine Dissertation geschrieben. Wie kam es, dass Du schliesslich Deine Dissertation getanzt hast?

Florence Metz: Ganz einfach: Schon lange hatte mich ein Kollege auf den Wettbewerb «Dance your PhD» der Zeitschrift Science und John Bohannon (Harvard University) aufmerksam gemacht. Ich hatte mir schon viele Videos auf der Site angeschaut und fand die einfach total lustig (http://gonzolabs.org/dance/videos//). Es reizte mich – ich hatte Lust, da mitzumachen. Tanz ist meine Leidenschaft und ich wollte diese mit meiner anderen, der Wissenschaft, zusammenbringen. So nutzte ich die drei verbleibenden Wochen nach meiner Dissertationsabgabe und stellte ein Tanzvideo mit meinen Freunden zusammen. Dass ich damit dann den ersten Preis des Wettbewerbs – 1000 USD und eine Reise an die Universität Standford – gewann, war einfach fantastisch! Meine Dissertation war zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht mal publiziert…

NP: Was war Dir bei der Umsetzung des Tanzvideos wichtig? 

FM: Thema meiner Doktorarbeit war Schutz und Nutzen der Ressource Wasser – dies vergleichend in den Ländern Holland, Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Zuerst wollte ich im Video meine Arbeit anhand von politischen Interessensgruppen erzählen und diese mit Farben darstellen, also in grün, gelb usw. Dann aber entschied ich mich, vier Akteursgruppen im Kreislauf des Gewässerschutzes abzubilden: die Industrie, die Politik, die Landwirtschaft und den Umweltschutz. Das Video soll zeigen, dass nur durch den Austausch und Dialog der vier Akteursgruppen gemeinsam eine gute Lösung für diese Problematik erarbeitet werden kann. Diese Aussage war mir sehr wichtig.

NP: Warum überzeichnest Du die Bauern als harte Rapper? 

FM: Ich überzeichne alle vier Akteursgruppen, nicht nur die Bauern. Mein Darstellungsfundus waren die vier Tanzstile, die ich selber beherrsche: House, Salsa, AcroYoga und Hiphop. Hiphop hat für mich etwas Bodenständiges, das passte daher super zur Landwirtschaft. House repräsentiert die Industrie und symbolisiert die Saubermänner. AcroYoga steht für Balance und Schutz – perfekt für die Ökologen. Und schliesslich blieb Salsa für die Politik, was eigentlich ganz lustig war, den Staat mit Sexiness, die der Tanzstil mit sich bringt, darzustellen. Der Salsa-Dreh vor dem Bundeshaus war dann auch der amüsanteste: Bei den Aufnahmen vor dem Bundeshaus schauten uns asiatische Touristen zu und knipsten und filmten uns wie wild.

NP: Du hast in einem Interview gesagt, dass Deine getanzte Dissertation «kein Witz» sei, sondern «ernst gemeint mit einem Augenzwinkern». Muss Wissenschaft denn Deiner Meinung nach unterhalten?

FM: Nein, mein Tanzvideo ist einfach eine andere, zusätzliche Art der Wissensvermittlung. Es überliefert eine Emotion. Für die breite Öffentlichkeit ist es zudem viel einfacher, auf Youtube ein Video anzuklicken, als eine wissenschaftliche Publikation zu lesen. Und wenn ich so mit einem wissenschaftlichen Inhalt viele Leute erreichen kann, ist das super!

Die Schwierigkeit für mich war, das komplexe Thema meiner Doktorarbeit auf die wesentlichsten Elemente herunterzubrechen. Man begibt sich da auf einen schmalen Grat – es darf nicht unseriös und lächerlich daherkommen.

NP: Deine getanzte Dissertation hat hohe Wellen geworfen: Auf Youtube hat Dein Clip über 165’300 Klicks erreicht (Stand: 14.3.). Hast Du mit einem solchen Medienecho gerechnet, als Du Deine Performance vorbereitet hast? 

FM: Auf keinen Fall – ich war selbst total überrascht! Als ich von den Veranstaltern des Wettbewerbs eine Email erhielt, dass ich gewonnen habe und mich für Medienanfragen bereit halten solle, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass sich die israelische, spanische oder gar koreanische Presse für mich interessieren würden! Die Kommunikation war für mich nie das Ziel: Es machte mir einfach Spass und ich habe dieses Tanzprojekt auch in meiner Freizeit durchgeführt. Schön ist, dass ich mit dem Preis nun den Mitwirkenden etwas zurückgeben kann.

NP: Dann wünsche ich Dir eine schöne Reise und danke Dir zugleich für dieses Gespräch!

Dance Your PhD 2015, Florence Metz:
https://www.youtube.com/watch?v=iRUDC1PiPAo

Auswahl an Presseberichten zu Florence Metz:
www.spiegel.de
www.20min.ch
www.telebaern.tv
www.srf.ch 
Gummitwist, Spielplatz vor der Zeche Prosper II, Bottrop 1969. (Foto: Helmut Orwat/Bildarchiv der Volkskundlichen Kommission für Westfalen – Landschaftsverband Westfalen Lippe)
Gummitwist, Spielplatz vor der Zeche Prosper II, Bottrop 1969. (Foto: Helmut Orwat/Bildarchiv der Volkskundlichen Kommission für Westfalen – Landschaftsverband Westfalen Lippe)
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Texte
Nathalie Pernet

15 Minuten

Eins zwei drei, eins zwei drei, eins zwei drei, eins zwei drei –
eins zwei, eins zwei, eins zwei, eins zwei –
eins, eins, eins, eins, eins.

Geschafft!

FB

1985. Schauplatz Pausenhof. An irgendeiner Schweizer Primarschule, morgens um 10h. Von Weitem sieht man hüpfende Kinderköpfe, durch die Luft schwingendeMädchenzöpfe, farbige Röckchen mit Rüschen. Hört Kindergekreische, Lachen.

Die Jungen stehen etwas abseits vom Geschehen, „offiziell uninteressiert“. Die einen äugen rüber, zu den Mädchen. Werfen verstohlene Blicke. Die andern jagen mit dem Fussball über den Hof, um doch noch einen Blick aus nächster Nähe zu erhaschen. Was die Mädchen da tun, fasziniert. Natürlich nur inoffiziell. Ohne, dass es jemand merkt. Denn eigentlich ist dieses „Rumgehüpfe“ ja langweilig. Nichts für „echte“ Jungs.

In Dreier-Grüppchen stehen sie über den Pausenhof verteilt, die Mädchen. Ein elastisches Gummiband spannt jeweils zwischen vier hölzernen Mädchenbeinen: pink, gelb oder neongrün. Ein drittes Mädchen hüpft:

Eins zwei drei, eins zwei drei, eins zwei drei, eins zwei drei –
eins zwei, eins zwei, eins zwei, eins zwei –
eins, eins, eins, eins, eins.

Geschafft!
Die nächste Stufe ist erreicht. Das Gummiband rutscht via rosarote Kniesocken in die Kniebeugen. Alles von vorne; bis auch diese Stufe erfolgreich durchhüpft ist. Ein leichtes Spiel. Nun ist die Schulterhöhe dran, die Königsdisziplin. Oder besser gesagt: die Prinzessinnendisziplin.

Eins zwei drei, eins zwei drei, eins zwei drei, eins zwei drei –
eins zwei, eins zwei, eins zwei…

Oh nein, ein Fehltritt! Fertig. Ausgehüpft. Der Wechsel folgt schnell und gnadenlos: Das andere Mädchen ist jetzt an der Reihe; wartet ungeduldig.

Zurück auf Anfang.

Einstehen.

Vielleicht schafft sie es ja ins nächste Level. Mit Drehen. Twisten. Wer weiss?

Die Jungs bleiben, in jedem Fall, beim coolen Fussball. Mit ihren gegelten Frisuren, ganz nach ihren Vorbildern.
Und dennoch beobachten sie sie weiterhin aus naher Ferne, die Mädchen. Bis die Pausenglocke ringt.

15 Minuten. Gummitwist. Morgen wieder.

Gummitwist, Spielplatz vor der Zeche Prosper II, Bottrop 1969. (Foto: Helmut Orwat/Bildarchiv der Volkskundlichen Kommission für Westfalen – Landschaftsverband Westfalen Lippe)

(I) Gegen Insektenbefall stabilisierte Brot-Probekörper des Forschungsprojekts. Insektizid und fungizid wirkende Borsäure wurde mittels Niederdruck-Tränkung nach dem Backprozess eingebracht. (Bild: Marc Egger) Nahrungsmittel-Kunst-Konservierung – Konservierungsstrategien für Nahrungsmittel in zeitgenössischer Kunst
(I) Gegen Insektenbefall stabilisierte Brot-Probekörper des Forschungsprojekts. Insektizid und fungizid wirkende Borsäure wurde mittels Niederdruck-Tränkung nach dem Backprozess eingebracht. (Bild: Marc Egger) Nahrungsmittel-Kunst-Konservierung – Konservierungsstrategien für Nahrungsmittel in zeitgenössischer Kunst
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Text
Anna Comiotto

Einleitung
Nathalie Pernet

Kunst mit Nahrungsmitteln – Eine Herausforderung für die KonservatorInnen

Wer kennt sie nicht, Andy Warhols Campbell's Büchsen. Nahrungsmittel sind Thema in der Kunst und Kunst wird mit Nahrungsmitteln gemacht.

FB

Wer kennt sie nicht, Andy Warhols Campbell’s Büchsen. Nahrungsmittel sind Thema in der Kunst und Kunst wird mit Nahrungsmitteln gemacht. Bei Letzterem ist häufig das Element der Veränderung, die durch die Verderblichkeit oder den Zerfall der Ware hervorgerufen wird, spannend für Kunstschaffende. So sehen Werke nach einer gewissen Zeit anders aus oder beginnen gar zu riechen. Aber auch die entgegengesetzte Strategie ist reizvoll: Gerade das Verderbliche soll nicht verderben oder Nahrungsmittel nicht zerfallen – Brot für die Ewigkeit. Wie soll das gehen?

Hier hat das Forschungsprojekt „Nahrungsmittel-Kunst-Konservierung“ der Hochschule der Künste Bern eingehakt: KünstlerInnen haben mit KonservatorInnen, LebensmitteltechnologInnen und ChemikerInnen zusammengearbeitet, wie Projektleiterin Anna Comiotto erklärt: http://www.hkb.bfh.ch/materialitaet.html

(I) Gegen Insektenbefall stabilisierte Brot-Probekörper des Forschungsprojekts. Insektizid und fungizid wirkende Borsäure wurde mittels Niederdruck-Tränkung nach dem Backprozess eingebracht. (Bild: Marc Egger) Nahrungsmittel-Kunst-Konservierung – Konservierungsstrategien für Nahrungsmittel in zeitgenössischer Kunst

Ausgangslage

Nahrungsmittel sind als Materialbestandteil zeitgenössischer Kunst weit verbreitet, unterliegen aber dem Abbau durch Enzyme, Mikroorganismen, tierische Schädlinge, Sauerstoff, Licht und Feuchtigkeit. Typische sichtbare Zeichen ihres Zerfalls sind beispielsweise Veränderungen der Farb- und Formgebung sowie des Geruchs. Manch ein Kunstschaffender begrüsst Motten, Brotkäfer und Mikroorganismen als „Assistierende“ zur Umsetzung einer künstlerischen Idee. Im Gegensatz dazu entstand dieses Forschungsprojekt basierend auf dem Bedürfnis zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, dem alterungsbedingten Zerfall von Nahrungsmitteln entgegenzuwirken. Diese benutzen Nahrungsmittel als Material zur Realisierung ihrer Rauminstallationen, skulpturaler Werke oder Malerei. Dabei stellen sich ihnen oft Fragen zur Alterungsbeständigkeit der Kunstwerke und Möglichkeiten ihrer Konservierung.

Methoden

Dieses Projekt vernetzte diese Künstlerinnen und Künstler mit Fachleuten der Konservierung-Restaurierung, der Chemiewissenschaften und der Lebensmitteltechnologie. Mit Fokus auf ihre Fragestellungen wurden Konservierungsverfahren für werkrelevante Nahrungsmittel entwickelt. Die Verfahrensentwicklung erfolgte basierend auf Künstlerinterviews, welche die Standpunkte der Kunstschaffenden bezüglich der zu konservierenden Erscheinungsform, der angestrebten Dauerhaftigkeit, sowie ihre Definition des zulässigen Ausmasses konservierender Eingriffe dokumentieren. Die Entwicklung geeigneter Konservierungsverfahren orientierte sich an gängigen Methoden der Lebensmittelkonservierung sowie an Erhaltungsstrategien, die üblicherweise für den Alterungsschutz von Holzwerkstoffen, Kunststoffen oder botanischen Präparaten genutzt werden. Schwerpunkte bildeten hierbei Versuche zur Prävention und Desaktivierung von Insekten- und Mikroorganismen (z. B. Einbringen von Insektiziden, Gamma-Bestrahlung) sowie die Applikation von Stabilisatoren zur Erhöhung der Farbstabilität. Die Wirksamkeit dieser Verfahren wurde im Modellversuch erprobt, wobei Methoden der Materialanalytik und -prüfung (z. B. Farbmetrik, Chemilumineszenz-Analytik, beschleunigte Lichtalterung) zum Einsatz kamen.

Ergebnisse

Es gelang die Applikation von niedrig-toxischen Konservierungsstoffen, z. B. das Einbringen von Boraten zum Schutz von Backwaren vor tierischem und mikrobiellem Befall. Zudem wurden wirksame Stabilisierungsverfahren entwickelt, um lichtbedingte Ausbleichprozesse an chlorophyllhaltigen Nahrungsmitteln zu verlangsamen. Die entwickelten Konservierungsverfahren fliessen in die zukünftige Kunstproduktion der beteiligten Künstlerinnen und Künstler ein. Die geschaffenen Grundlagen erlauben zudem eine Weiterentwicklung dieser Verfahren, um sie auch für die Langzeit-Konservierung musealisierter Objekte anzuwenden.

Projektleitung:
Anna Comiotto
Mitarbeit:
Marc Egger
Caroline Forster
Agathe Jarczyk
Helena Kneubühler, BFH-HAFL
Markus Vaihinger, BFH-HAFL
Karin Wyss
Partner:
BFH-HAFL: Hochschule für Agrar-, Forst- und Landwirtschaft Isabelle Krieg, Künstlerin George Steinmann, Künstler Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Institut für Polymere Leoni Studer-Hard Irish Museum of Modern Art Museum Ludwig Köln
Laufzeit:
6/2009–10/2010
Finanzierung:
Berner Fachhochschule, BFH
Kontakt:
Hochschule der Künste Bern
Forschung
FSP Materialität in Kunst und Kultur
Fellerstrasse 11
3027 Bern
anna.comiotto@hkb.bfh.ch
www.hkb.bfh.ch/materialitaet.html
Curryweltwurst (2009)
Curryweltwurst (2009)
Unerledigt, 2003–2008
Unerledigt, 2003–2008
Unerledigt, 2003–2008
Unerledigt, 2003–2008
Unerledigt, 2003–2008
Unerledigt, 2003–2008
Hinz und Kunz, 2009
Hinz und Kunz, 2009
Hinz und Kunz, 2009
Hinz und Kunz, 2009
Abendbrot, 2009
Abendbrot, 2009
Abendbrot, 2009
Abendbrot, 2009
Die klugen und die törichten Jungfrauen, 2007
Die klugen und die törichten Jungfrauen, 2007
Die klugen und die törichten Jungfrauen, 2007
Die klugen und die törichten Jungfrauen, 2007
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Interview
Nathalie Pernet

Interview mit der Künstlerin Isabelle Krieg zum Thema "Supermarkt"

FB

Curryweltwurst (2009) Unerledigt, 2003–2008 Unerledigt, 2003–2008 Unerledigt, 2003–2008 Hinz und Kunz, 2009 Hinz und Kunz, 2009 Abendbrot, 2009 Abendbrot, 2009 Die klugen und die törichten Jungfrauen, 2007 Die klugen und die törichten Jungfrauen, 2007

Isabelle Krieg wurde 1971 in Fribourg/CH geboren. Nach Stu-dienaufenthalten an der Scuola Dimitri in Verscio sowie der damaligen Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern, führte sie ein Atelierstipendium nach Berlin, wo sie mehrere Jahre hängen blieb. Nach einem Aufenthalt am Schweizer Institut in Rom kehrte sie wieder zurück in die Schweiz. Heute lebt und arbeitet Isabelle Krieg in Dresden und Zürich.

Nathalie Pernet: Isabelle Krieg, Du arbeitest als Künstlerin in den Bereichen Installation, Skulptur, Fotografie und Performance. Während Deiner beruflichen Laufbahn kamst Du mehrfach mit unserem Thema „Supermarkt“ in Berührung. Wie?

Isabelle Krieg: Meine Ideen schöpfe ich vor allem aus dem Alltag. Das können urbane Beobachtungen sein, wie zum Beispiel meine städtische und architektonische Umgebung. Das können soziale Beobachtungen sein, die die Gesellschaft und das Verhältnis der Geschlechter beleuchten. Das können Geschehnisse aus der Weltpolitik sein, die ich über die Medien aufnehme. Das können Naturphänomene sein, sowohl formal als auch im Sinne des grossen Werden und Vergehens. Das können visuelle oder physikalische Phänomene wie Licht und Schatten oder das Fliessen von Wasser, das kann auch meine eigene Biografie mit meinen persönlichen Erlebnissen und Gefühlszuständen sein. So gehört auch der Supermarkt als DER Alltags-Ort zu meinen Beobachtungsfeldern. Und da ja Supermärkte die Tempel von heute sind (ich habe das vor allem in Berlin oft gedacht, in diesen riesigen Einkaufszentren die überall ähnlich aussehen und die stets belebt sind), und die heutige Gesellschaft vor allem auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet ist, ist es automatisch ein wichtiges Feld.

NP: Erzähl uns von Deinem Werk Hinz und Kunz aus dem Jahre 2009! Was beinhaltet es, und wie kam Dir die Idee dazu?

IK: Zuerst war da der Wunsch, mit Einkaufswagen zu arbeiten. Eben wegen der Wichtigkeit der heutigen „Tempel“, der Supermärkte. Ich habe verschiedene Sachen ausprobiert und Einkaufswagen einfach genauer beobachtet. Da entdeckte ich per Zufall eine Situation in einem Supermarkt: Zwei Einkaufswagen waren gerade nebeneinander hingestellt worden und ihre Ketten (diese Ketten, mit denen man einen Einkaufswagen in den nächsten hängt, und die man durch das Einschieben einer Münze voneinander lösen kann), also, diese Ketten schwangen gerade synchron im Kreis. Ich wusste sofort, dass ich genau diese kleine Situation in Kunst übersetzen wollte. Die Übersetzung war dann sehr direkt: Ich besorgte mir zwei Einkaufswagen, versteckte – von aussen unsichtbar – im Münzfach je einen kleinen Motor und eine Batterie und schweisste die Kette untendran fest. So habe ich diese Bewegung ins Absurde verlängert: Die Ketten der beiden Einkaufswagen schwingen nun „endlos“ im Kreis – manchmal synchron, dann driften ihre Rhythmen wieder auseinander. Es ist eine Art komisch-trauriger, end- und sinnloser Tanz, in dem sich die beiden Ketten nie berühren. Hinz und Kunz spielt auf das Jedermann-Phänomen des Supermarktes an, und durch das Einkaufswagenpaar vielleicht auch auf eine Beziehung, die sich totgelaufen hat.

NP: Der Supermarkt ist bekanntlich auch der Ort, wo man Lebensmittel einkauft. Auch damit lässt sich Kunst schaffen – Du hast im Jahre 2003 die Arbeit Abendbrot gemacht. Was reizt Dich besonders daran, mit Lebensmitteln zu arbeiten, und vor welche Herausforderungen stellt es Dich?

IK: Lebensmittel reizen mich durch ihre Vergänglichkeit, und dadurch, dass wir sie uns einverleiben, was etwas sehr Starkes ist. Die Arbeit Abendbrot entstand aber ursprünglich durch die beobachtete formale Ähnlichkeit von Wolken und Broten und aus der daraus resultierenden Wortschöpfung „Wolkenbrot“. Ich war fasziniert von glühenden Abendwolken, die aussehen wie leuchtende Brote, und wollte die, nach ein paar kleinen Zeichnungen, als dreidimensionale, leuchtende Objekte erschaffen. Zuerst versuchte ich es mit künstlichen Materialien, auch weil ich mich scheute, Brot als „Material“ zu benutzen (Brot ist natürlich extrem stark aufgeladen, als Symbol, nicht zuletzt religiös), aber als ich dann doch mal einen Versuch machte mit richtigem Brot (ein ausgehöhltes Brot von innen beleuchtet) war das Resultat so verblüffend nah an einer orange-glühenden Abendwolke, dass ich mich entschloss, echtes Brot zu benutzen. Ich probiere, davon alles zu verwerten und nichts wegzuwerfen: Mit dem ausgehöhlten Brot-Inneren mache ich Knödel oder bringe sie dem Zoo für die Tiere. Ich habe auch andere Arbeiten mit Lebensmitteln gemacht, zum Beispiel mit Kaffee und Kakao (Unerledigt), mit Currywurst (Die Welt entdecken) oder mit Radieschen (Die klugen und die törichten Jungfrauen). Generell reizt mich an Lebensmitteln, dass sie mal lebendig waren, ob Pflanze oder Tier, und dass sie unser Leben ermöglichen, indem sie uns zur Nahrung werden. Sie sind so vergänglich wie wir und insofern auch eine Art Memento Mori. Im Gegensatz zu zum Beispiel Dieter Roth bemühe ich mich aber, meine Lebensmittel-Arbeiten möglichst haltbar zu machen. Schädlinge, Schimmel und Ausbleichungen probiere ich zu verhindern. Ewig haltbar sind die Arbeiten sowieso nicht, aber mein Ziel wäre es, solche Arbeiten „ein Sammlerleben lang“ haltbar zu machen.

NP: Beim HKB-Forschungsprojekt „Nahrungsmittel-Kunst-Konservierung“ ging es ja darum, u.a. Erhaltungsstrategien für zeitgenössische Werke mit Lebensmitteln zu entwickeln. War Abendbrot der Grund, weshalb Du Dich für das HKB-Forschungsprojekt interessiert hast? Oder wie hat Dich Dein Weg in die Forschung geführt?

IK: Genau. Ich kannte Anna Comiotto und Marc Egger bereits persönlich und hatte sie schon mehrfach um Rat gebeten, wenn ich Konservierungsprobleme mit meinen Arbeiten hatte, auch mit Nicht-Lebensmitteln. Die Initiative, aus dem Abendbrot und aus den Klugen und törichten Jungfrauen ein Forschungsprojekt zu machen, kam dann von der Hochschul-Seite aus, worüber ich natürlich sehr glücklich war. Jetzt geht es noch darum, die gewonnenen Forschungs-Erkenntnisse für mich Atelier-tauglich zu machen, damit ich sie wirklich direkt an meinen Arbeiten als Konservierungsmassnahmen anwenden kann.

NP: Ist ein Supermarkt Deiner Meinung nach interessant für eine Kunstinstallation oder -performance? Kennst Du zeitgenössische KünstlerInnen, die sich diesem Thema widmen?

IK: Meinst Du eine Performance oder -Installation IM Supermarkt selber? Ja, ich kenne KünstlerInnen, die Performances im Supermarkt gemacht haben, zum Beispiel die Performerin Steffi Weismann. Oder die Künstlergruppe „Wojna“ hat sich beim Klauen im Supermarkt filmen lassen. Der Supermarkt wird immer wieder aufgegriffen von vielen Künstlern. Obwohl das Thema „Supermarkt“ und, allgemeiner, „Konsum“ schon sehr abgelutscht ist in der Kunst – im Prinzip ähnlich wie die Themen Sex, Vergänglichkeit und Tod – ist es noch immer ein interessantes Thema, eben genau deswegen, weil der Supermarkt in unserer Gesellschaft so eine grosse Wichtigkeit hat. Ich glaube, in der Kunst werden halt einfach die grossen Themen aufgegriffen, und „Supermarkt“, also Wirtschaftlichkeit, Kaufkraft und Vermarktung, ist gesellschaftlich gesehen ein grosses Thema heute. Bei den Jugendlichen ist Shopping extrem wichtig. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist das Thema Ernährung enorm wichtig, im Bezug auf Hunger, Klima, Ethik (z.B. Tiere essen oder nicht) und Gesundheit.

NP: Könntest Du Dir selbst vorstellen, noch weitere Arbeiten in diesem Bereich zu machen, oder was ist Dein nächstes Projekt?

IK: Kann ich mir gut vorstellen. Meine nächsten grösseren Projekte sind aber im Freien, wo „Supermarkt“ möglicherweise nicht explizit Thema sein wird. Es kann aber gut sein, dass die Themen Lebensmittel und Vergänglichkeit darin wieder auftauchen.

NP: Vielen Dank für dieses Gespräch.

IK: Sehr gern geschehen.

 

Bildlegenden von oben nach unten:
Aus der Serie „Die Welt entdecken, 2001-2009“:
Curryweltwurst, (2009)
Ketchup und Curry auf Karton 
Unerledigt I, 2003-2008
Milchkaffee & Kakao auf Porzellan, Küchenmöbel
Grösse variabel, Installations-Ansicht Kunstmuseum Solothurn, im Rahmen von „Speicher fast voll“, 2008
Unerledigt I, 2003-2008
Milchkaffee & Kakao auf Porzellan, Plastikbecken, Wasser, Küchenmöbel
Grösse variabel, Installations-Ansicht Kunsthaus Langenthal, im Rahmen von „Fragile“, 2006
Unerledigt I, 2003-2008
Milchkaffee & Kakao auf Porzellan, Plastikbecken, Wasser, Küchenmöbel
Grösse variabel, Installations-Ansicht O.K Centrum für Gegenwartskunst Linz, im Rahmen von „Biennale Cuvée“, 2006 
Hinz und Kunz, 2009
Einkaufswagen, je ein Motor und eine Batterie
Grösse ca. 2.5 x 0.7 x 1m
Kleines und Grosses Abendbrot, 2003/2005 
Brot, Epoxidharz, Glasfasergewebe, Neonröhren bzw. LEDs, Kabel, Silikon
Grösse kleines Abendbrot: ca. 30 x 15 x 10 cm pro Brot; Installationsansicht Kulturzentrum Nairs, Scuol, im Rahmen von „Curraint d’Air“, 2003Grösse Grosses Abendbrot: ca. 100 x 35 x 20 cm pro Brot; Installationsansicht ehemaliger Paul-Klee-Platz, Bern 2005
Die klugen und die törichten Jungfrauen2007
Radieschen
Gerahmt, Ansichten aus „Pleasure Garden“, BINZ39, Zürich