Ausgabe #2
Juni 2012

Sprechblasen

Sprechblasen

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Editorial
Barbara Mauck

Editorial zur Ausgabe «Sprechblasen»

Ein Kommentar zum Thema «Sprechblasen» von Rosa Hering.

FB
Abb. 1: Ein kleiner Ausschnitt aus den Papyrus von Hunefer - hier wird gerade von Anubis das Herz gewogen.
Abb. 1: Ein kleiner Ausschnitt aus den Papyrus von Hunefer - hier wird gerade von Anubis das Herz gewogen.
Abb. 2: Ein Ausschnitt der Legende "Der fliegende Speicher"
Abb. 2: Ein Ausschnitt der Legende "Der fliegende Speicher"
Abb. 3: Deutscher Bilderbogen
Abb. 3: Deutscher Bilderbogen
Abb. 4: Max und Moritz von Wilhelm Busch (1832-1908)
Abb. 4: Max und Moritz von Wilhelm Busch (1832-1908)
Abb. 5: Mickey Mouse im Jahr 1930
Abb. 5: Mickey Mouse im Jahr 1930
Abb. 6: Tarzan - A Serial Story in Pictures! Noch fast mehr Text als Bild, aber doch einer der ersten Heldencomics.
Abb. 6: Tarzan - A Serial Story in Pictures! Noch fast mehr Text als Bild, aber doch einer der ersten Heldencomics.
Abb. 7: Spiderman
Abb. 7: Spiderman
Abb. 8: Calvin and Hobbes von Bill Watterson
Abb. 8: Calvin and Hobbes von Bill Watterson
Abb. 9: Heidi aus den Ghilbli-Studios in Japan  
Abb. 9: Heidi aus den Ghilbli-Studios in Japan  
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Text
Nora Sell

Kurzer Einblick in die Geschichte der Comics

Comics gibt es für jede Alters- und Interessengruppe und sie füllen von jeher die gesamte Bandbreite zwischen «billigem Schund» und «wahrer Kunst» aus, werden nicht nur mit Begeisterung gelesen, sondern auch gesammelt, gehandelt und als Schätze gehortet.

FB

Von den Superheldencomics über die altbekannten Donald Ducks bis hin zu den mehr oder weniger kunstvollen Francobelgiern und der neuen Flut von japanischen Mangas reicht die Auswahl der Comics, die nur eines wirklich gemeinsam haben: den Stil, eine Geschichte mit mehr Bildern als Text zu erzählen.

Der Name «Comic» ist eine Folge der anfangs oft komischen Erzählungen, die in den kurzen Bildabfolgen (den Comic strips) erzählt wurden – da es mittlerweile jede Art von Comics gibt, auch solche mit politischen, gewaltverherrlichenden, gruseligen oder pornografischen Inhalten, hat der Name mit seinem Ursprung oft nicht mehr allzu viel zu tun, obwohl es auch weiterhin zahlreiche humoristische Serien gibt.

Die Frage, welches der erste Comic ist und wo also die Ursprünge dieser Literaturform zu suchen sind, lässt sich nicht so einfach beantworten, denn es gibt einige Vorformen, die noch nicht dem heutigen Comic vergleichbar sind, jedoch bereits das gleiche Stilmittel benutzen. Wenn man es ganz schlicht sehen will, waren im Grund auch schon steinzeitliche Höhlenmalereien, die die Abfolge einer erfolgreichen Jagd darstellten, etwas wie die ersten Comicahnen: Geschichten in Bildern, ganz ohne Worte. Da die Bilder selbstverständlich viel älter sind als unsere heutige Schrift und damit das erste natürliche Medium zum Aufzeichnen von Geschichten darstellten, ist es auch durchaus angemessen, die Ursprünge der Comics in weit zurückliegenden Zeiten zu suchen.

Altertum und Mittelalter

Eine der ersten – und aufwendigsten – Darstellungen einer in Bildern erzählten Geschichte ist der «Papyrus von Hunefer» aus einem ägyptischen Totenbuch von ca. 1300 vor unserer Zeitrechnung. Die Geschichte darauf wird auch «Das Wägen des Herzens» genannt, denn in den drei Bildern wird berichtet, wie Hunefer nach seinem Tode bewertet und zu dem Gott Osiris geführt wird – eine für ägyptische Totenbücher klassische Geschichte. Dieser sequentielle Darstellung kommt ohne Texte aus und ist trotzdem auch über 3000 Jahre später durchaus noch verständlich. Dabei würde der «Papyrus von Hunefer» heute schwerlich in irgendeine Comicsammlung passen, denn er ist 5,5m lang. Sehen kann man ihn im Britischen Museum in London. ? Siehe Abb. 1

Etwa 1000 Jahre nach unserer Zeitrechnung entstanden in Japan Bildrollen mit erzählenden Darstellungen. Beim «Lesen» bestand der Trick darin, das an beiden Seiten gerollte Papierband immer so abzurollen, dass nur ein Ausschnitt zu sehen war – das Prinzip erinnert an das Abspulen eines Filmes und gibt gleichzeitig die erste Assoziation des Umblätterns von Seiten. Die um 1350 n.u.Z. entstandene Shigisan-Engi-Emaki erzählt auf drei Rollen Legenden über ein Kloster auf dem Berg Shigisan, wobei die langen Bildabschnitte durch Texte ergänzt werden. Dabei ist die kürzeste der etwas über 30cm hohen Rollen alleine fast 9 Meter lang. Sie erzählt die Legende «Der fliegende Speicher». ? Siehe Abb. 2

Ungefähr zur gleichen Zeit wird in Deutschland die erste Sprechblase aufgezeichnet, in der gesprochener Text der bildlich dargestellten Figuren untergebracht ist. Natürlich hat sie äusserlich noch nicht viel mit dem weissen Ballon zu tun, der neben Donald Ducks Schnabel hängt.

Im Evangeliar von Heinrich dem Löwen aus dem späten 12. Jahrhundert wird eine Szene von Maria am Grabe dargestellt. Auf Spruchbändern ist in roter Schrift zu lesen, was die Figuren fragen, in schwarzer Schrift sind die Antworten zu lesen – eine sehr innovative Möglichkeit, Dialoge darzustellen. Die ersten «offiziellen» Sprechblasen werden erst sehr viel später erfunden – George Cruikshank (1792-1878) gilt als ihr Schöpfer.

Eine weitere Vorform mögen die Bilder sein, mit denen mittelalterliche Geschichtenerzähler und Bänkelsänger ihre Vorstellungen begleiteten – sie malten wichtigste Szenen der Geschichten auf Tafeln und hielten diese während des Vortrages hoch. Die grundlegende Idee hierbei ist auch heute noch in allen Comics zu finden: ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Die andere wichtige, und leider heute sehr intensiv in der Werbung genutzte Wahrheit ist, dass Bilder die Aufmerksamkeit schneller und einfacher auf sich ziehen.

Dieses Prinzip, das sich bereits die Bänkelsänger zu nutze machten, erklärt auch den teilweise schlechten Ruf, den Comics auch heute noch haben: sie gelten, gerade weil sie bei Kindern beliebt sind, als «einfache» und somit weniger wertvolle Literatur, die einem einen Text gewissermassen in mundgerechten Bildhäppchen vorlegen. Dass der Comic keineswegs dazu gedacht ist, das Buch zu ersetzen oder zu vereinfachen, sondern eine ganz unabhängige Kunstform darstellt, wird dabei oft übersehen. 

Vorformen der Comics in Deutschland

Bevor die Comics in der Form, wie wir sie heute kennen, durch amerikanische Einflüsse entstehen konnten, gab es bereits die Vorform des «Bilderbogens». Sie entstanden seit 1848 als «Münchner Bilderbogen», ab ca. 1867 als «Deutscher Bilderbogen» und enthielten Bilderzählungen verschiedener, auch bekannter Künstler. Hierbei ist nicht immer klar zu sagen, ob die Bilderbögen eher dem illustrierten Text zugeordnet werden können oder bereits dem Comics – dies war je nach Künstler unterschiedlich. Bei vielen von ihnen spielten jedoch die Zeichnungen für das Verständnis der Geschichte eine entscheidende Rolle und nahmen auch dementsprechend viel Raum ein – die Entscheidung der Zugehörigkeit der Bilderbögen ist somit subjektiv und orientiert sich an Einzelfällen. ? Siehe Abb. 3

Eine der bekanntesten Publikationen, die zu den Comic-Vorformen gerechnet werden kann, sind die zahlreichen Geschichten von Wilhelm Busch (1832-1908) – unter ihnen die berühmten «Streiche» von Max und Moritz. Obwohl die Erzählungen auch ohne die Illustrationen verständlich sind und durch ihren eigenen Stil, ihren Humor und auch ihre Boshaftigkeit auffallen, so können die Zeichnungen vielfach nicht nur als schmückendes Beiwerk angesehen werden, sondern sind die notwendige Ergänzung zum Text – manchmal werden sie sogar aus dem Zusammenhang gerissen heute als eigenständige Bildwerke genutzt. ? Siehe Abb. 4 

Comics in Amerika

Der Comic in der Art, wie wir ihn heute kennen, hat seinen Geburtsort in Amerika. Als der erste Comic überhaupt gilt «The Yellow Kid» des Verlegers Joseph Pulitzer und des Zeichners Felton Outcult, der am 16. Februar 1896 sein Debüt hatte. Diese erste gedruckte Comicfigur startete einen enormen Siegeszug und wurde nicht nur bei seinen Lesern sehr beliebt, sondern machte gleich noch Werbung für Zigaretten, war in guter Merchandise-Tradition als Spielfigur erhältlich und soll sogar die Inspiration für ein Broadway-Musical geliefert haben. 

«The Yellow Kid» erschien dabei nicht als eigenes Heft, sondern als fortlaufende Serie in den Wochenendausgaben einer Zeitung. Dabei zeigten sich bereits wichtige Elemente der Comics generell, wie feststehende Figuren, die Dialoge in Sprechblasen und eine fortschreitende Handlung, die in einer Folge von Einzelbildern erzählt wird.

Gerade die wöchentliche Erscheinungsweise der Comics erlaubten es ihnen, auch auf aktuelle Ereignisse Bezug zu nehmen. So zum Beispiel reagierten sie auf die Einführung des Frauenstimmrechtes 1920 in Amerika mit einer grossen Zahl von Cartoons, in denen nun weibliche Figuren die Hautrolle spielten.

Comics, in denen Tiere in ihrer vermenschlichten Form auftraten, begannen ihren Siegeszug erst 1923, als Pat Sullivan seinen aus den Trickfilmen bekannten Kater Felix zu Papier brachte.

1930 folgte Walt Disney mit Mickey Mouse, die seitdem zwar zahlreiche Veränderungen durchlaufen hat, aber nicht an Popularität verloren. Auch der andere berühmte Vertreter der Disney-Tierwelt, die Anti-Held-Ente Donald Duck, folgte 1938 und wurde durch Carl Barks Einfluss nicht nur sehr charaktervoll, sondern auch berühmt und bekam zahlreiche weitere Figuren an die Seite gestellt. Als ein besonderes Zeichen der Anpassung an gesellschaftliche Verhältnisse mag man sehen, dass die cholerische, ewig erfolglose, faule und doch liebenswerte Gestalt des Donald Duck heute zumindest in Amerika nicht mehr gerne gesehen wird – seine fleissigen Neffen (anfangs auch eher kleine Satansbraten) und sein grosskapitalistischer Onkel Dagobert (ursprünglich dem vergrämten Geizhals Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte von Dickens nachempfunden) stehen zur Zeit besser im Kurs, vermutlich weil sie eher dem amerikanischen Traum «vom Tellerwäscher zum Millionär» entsprechen. ? Siehe Abb. 5 

Superhelden

Ob im knappen Fell-Lendenschurz wie Tarzan, im Kettenhemd wie Prinz Eisenherz oder später im hautengen rotblauen Kostüm wie Supermann – die Helden eroberten die Comicszene. Fast alle von ihnen wurden später nach Europa und Deutschland exportiert, so dass auch uns Figuren wie «Buck Rogers» oder «Das Phantom» aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wohl vertraut sind. ? Siehe Abb. 6

1938 entstand Supermann, der sich als erster Comic-Held 1,25 Millionen Mal verkaufte. Ihm folgten zahllose andere Helden mit unterschiedlichen Superkräften, die sich im Kampf gegen «das Böse» – oft dargestellt durch Superschurken mit entsprechenden Gegenkräften – immer und immer wieder behaupten mussten. Einige von ihnen, wie Captain America, stellen sehr deutlich dar, dass es sich bei den Superhelden um Symbolfiguren von nationaler Stärke im Kampf gegen die Feinde grundlegender Rechte wie Freiheit, Demokratie etc. handelt.

Doch auch die Art der Superhelden veränderte sich. Die einsamen Streiter wie Supermann und Batman traten spätestens in den 70ern zurück, die anderen schlossen sich zu Teams wie der «Gerechtigkeitsliga», den «Rächern», den «X-Men» oder den familiären «Fantastischen Vier» zusammen. Dies bot nicht nur die Möglichkeit, mehr Hauptpersonen einzubinden (und gleichzeitig ihre Beliebtheit beim Publikum auszutesten) und somit für Abwechslung in den Geschichten zu sorgen, sondern stellte auch die persönlichen Probleme der Helden mehr in den Mittelpunkt. Durch die Beleuchtung ihrer Alltagssorgen hatte der Leser bessere Ansatzpunkt, sich mit den Helden zu identifizieren.

Dabei wurden einige von ihnen, wie der extrem populäre «Spiderman « (im Deutschen: «Die Spinne») gerade durch ihre persönlichen Probleme und Sorgen trotz ihrer aussergewöhnlichen Fertigkeiten und ihrer Heldentaten manchmal fast zu Anti-Helden, die weniger Bewunderung als vielmehr Mitgefühl erweckten. ? Siehe Abb. 7

Es folgte eine weitere Generation von neuen Superhelden, die oft jünger und härter waren als ihre Vorfahren und bei denen die Grenzen zwischen «Gut» und «Böse» sich zunehmend als fliessend darstellten, so zum Beispiel bei «Witchblade». Auch frühere Helden, wie zum Beispiel die Urväter Batman in «The Dark Knight Returns» (1986) und Supermann, kehrten in einer finsteren und weit weniger strahlenden Version zumindest kurzzeitig zurück. Diese Entwicklung ist sicherlich ein Zeichen für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, die natürlich auch den Geschmack der Comicleser betreffen. Somit haben Comics, wie jede Form der Populärkultur, fraglos eine wichtige Funktion als Anzeiger sozialen Wandels.

Die alten Superhelden haben in den letzten Jahren durch die Filmindustrie ein grosses Comeback erhalten: die X-Men, der Hulk, Daredevil und Spiderman finden sich, unterstützt durch die aktuellen Möglichkeiten der Computertricktechnik, im grossen Stil auf der Leinwand wieder.

Cartoons

Seit 1950 entstand der Cartoon in der uns heute vertrauten Art: kurze, in sich abgeschlossene und witzige Geschichten, die in drei bis fünf Bildern erzählt waren. Die Darstellungsweise, die mehr einem bebilderten Witz als einer echten Geschichte gleicht, hatte sich als besonders geeignet für die Veröffentlichung in Zeitungen erwiesen. Gerade diese «Massenmedien» und der rasche, leicht verständliche Stil der Cartoons mit der garantierten lustigen oder nachdenklichen Pointe sowie die Tatsache, dass es immer um einen bestimmten Kreis von Charakteren geht, machte diese neue Comicform schnell berühmt.

Bestimmte Serien wie «Die Peanuts» (Charles Schulz, der durch diesen Cartoon zum mehrfachen Millionär wurde!), «Häger der Schreckliche» (Dik Browne). «Calvin und Hobbes» (Bill Watterson») und «Garfield» (Jim Davis) haben nahezu Kult-Status erreicht.? Siehe Abb. 8

Die Cartoons erscheinen zusammengefasst in Büchern und werden durch zahlreiche Merchandise-Artikel – vom Kaffeebecher bis zur Unterhose – ergänzt. Viele versuchten auch den Sprung ins Reich des Zeichentrickfilms, wobei es nahezu unmöglich war, die knappe und eindringliche Art der Cartoons in ein anderes Medium zu übertragen.

Ein grosser Vorteil der Cartoons besteht darin, dass sie durch den geringen Erzählrahmen allgemeine Themen wie das weite Feld der menschlichen Schwächen, Missgeschicke, kleine Freuden oder Verständigungsprobleme etc. aufgreifen, die jeder Leser gleich nachvollziehen kann. Zudem gewinnt hier die Zeichnung noch mehr an Bedeutung, da sie in dem begrenzten Raum die Emotionen und Reaktionen der Protagonisten besonders unmissverständlich ausdrücken muss, was einen besonderen Stil und eine angepasste Zeichen- und Erzählweise nötig macht. Ein guter Comiczeichner ist demnach ebenso wenig automatisch ein guter Cartoonist, wie ein Romanautor einen guten Witz erzählen kann.

Manga

Viele von uns waren Manga-Fans, noch ehe sie überhaupt etwas von dieser japanischen Comic-Kunst wussten.

Die stark stilisierten Zeichentrickfiguren mit den grossen, ausdrucksvollen Augen und Mündern, die uns in der Form von «Heidi», «Sindbad», «Captain Future» und «Kimba, der weisse Löwe» über lange Jahre hinweg begegneten, unterschieden sich vom Stil her stark von den Disney-Figuren, den Superheldencomics, den Francobelgiern und anderen Comiczeichnungen.

Obwohl die Geschichte von «Heidi» in den Bergen der Schweiz spielte, hatte doch der Zeichentrickfilm seine Wurzeln ganz woanders – am anderen Ende der Welt wurde er in den Studios Ghibli in Japan produziert. Heute findet er seine modernen Nachfahren in Serien wie «Dragonball Z», «Sailor Moon» oder «Pokémon», die von Thema und Erzähltempo her eher Kinder dieser Zeit sind, dabei jedoch unverkennbar gleiche Stilelemente nutzen.? Siehe Abb.9

«Manga» setzt sich zusammen aus den japanischen Worten «man» für «spontan» und «ga» für «Bild» und hat seine Ursprünge in illustrierten Bildrollen, die bereits im 12. Jahrhundert mit Abbildungen von lustigen Vögeln und Tieren bekannt waren. Später kamen regelmässige Bildfolgen als eine Vorform der heutigen Geschichtserzählung auf.

In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts war es der amerikanische Comicstrip, der einen weiteren Einfluss auf die Manga-Kultur gab; 1947 erschien das erste reine japanische Comic-Magazin mit dem Namen «Manga Shonen», das gewissermassen der Urvater der heute sowohl vielfältigen als auch sehr auflagenstarken Comic-Kultur in Japan ist.

Zu den gezeichneten Comicheften und -büchern kamen schliesslich auch die bewegten Bilder: der Zeichentrickfilm, der ebenfalls in grosser Menge und in sehr unterschiedlicher Qualität – von der simplen Heidi- Fernsehserie bis hin zu künstlerisch hoch anspruchsvollen Kinofilmen wie zum Beispiel «Prinzessin Mononoke» – zu finden ist. Das englische Wort für «bewegt», «animated», ist der Ursprung der für diese Filme benutzten Bezeichnung «Anime». 

Manga-Kultur in Japan

Der grösste Reichtum der Manga-Kultur blüht für uns im Verborgenen. Obschon das Interesse an den Comics auch in Europa immer mehr zunimmt und demnach auch renommierte Verlage sich an Publikationen der charakteristischen Zeichnungen wagen, ist das kein Vergleich zu dem Stellenwert, den Mangas in der japanischen Gesellschaft haben.

Dort gibt es Mangas für jede Alters- und Interessengruppe, spezielle Serien für Jungen und Mädchen, für kleine Kinder ebenso wie für Erwachsene. Gerade letztere haben in Europa zum Teil für nicht unerhebliches Aufsehen gesorgt, da sie sich – ganz im Gegensatz zu dem, was hier geläufig mit Comics assoziiert wird – auch mit entsprechend «erwachsenen» Themen beschäftigen. Kann man in einen Disney-Film bedenkenlos mit der ganzen Familie gehen und bleiben Superman und seine Gefährten zumeist auch im hautengen Kostüm wunderbar geschlechtslos, so findet sich in entsprechenden Mangas nicht nur die explizite Darstellung von Gewalt, sondern auch von Erotik und hartem Sex. Obschon diese Sparte den Mangas teilweise ein anrüchiges Image bescherte, macht sie jedoch nur einen kleinen Teil der gesamten Bandbreite aus, denn die japanische Comicproduktion übersteigt die amerikanische oder europäische an Auswahl und Auflage bei Weitem.

Der hohe Output ist teilweise auf die extremen Arbeitsbedingungen der japanischen Zeichner zurück zu führen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Schaffer der Mangas in Wohngemeinschaften zusammen leben und täglich quasi aus dem Bett direkt an den Zeichentisch fallen, wo sie die nächsten zwölf Stunden verbringen, nur unterbrochen von kurzen Essenspausen.

Die Mangas werden zumeist – ähnlich wie eine Tageszeitung – auf billigem Papier und in Schwarzweiss produziert. Ebenfalls wie eine Zeitung werden diese Hefte oder auch umfangreichen Comicbücher nach einmaligem Lesen meist weggeworfen. Nur die aufwändigeren Sammelbände – Tankobons genannt – mit besserer Papierqualität und einzelnen Farbseiten, gehören zu den Sammlerstücken.

 

Abb. 1: Ein kleiner Ausschnitt aus den Papyrus von Hunefer - hier wird gerade von Anubis das Herz gewogen. Abb. 2: Ein Ausschnitt der Legende "Der fliegende Speicher"

Abb. 3: Deutscher Bilderbogen Abb. 4: Max und Moritz von Wilhelm Busch (1832-1908)

 

 Abb. 5: Mickey Mouse im Jahr 1930 Abb. 6: Tarzan - A Serial Story in Pictures! Noch fast mehr Text als Bild, aber doch einer der ersten Heldencomics. Abb. 7: Spiderman Abb. 8: Calvin and Hobbes von Bill Watterson Abb. 9: Heidi aus den Ghilbli-Studios in Japan      

Abb. 1: DUON, zu Deutsch: KAWUMM. Aus dem ersten Band der Serie X vom japanischen Zeichnerkollektiv Clamp. Gut zu erkennen ist die grafische Nähe von Schrift und Bewegungslinien (© Carlson Verlag, Hamburg)
Abb. 1: DUON, zu Deutsch: KAWUMM. Aus dem ersten Band der Serie X vom japanischen Zeichnerkollektiv Clamp. Gut zu erkennen ist die grafische Nähe von Schrift und Bewegungslinien (© Carlson Verlag, Hamburg)
Abb. 2: DOKA, zu Deutsch: BAMM Die mit japanischen Katakana belassene deutsche Übersetzung von Vagabond, neben der amerikanischen Übersetzung. (erschienen bei Egmont Manga & Anime / © I.T. Planning Inc.)
Abb. 2: DOKA, zu Deutsch: BAMM Die mit japanischen Katakana belassene deutsche Übersetzung von Vagabond, neben der amerikanischen Übersetzung. (erschienen bei Egmont Manga & Anime / © I.T. Planning Inc.)
Abb. 3: DOKA, zu Deutsch: BAMM Die mit japanischen Katakana belassene deutsche Übersetzung von Vagabond, neben der amerikanischen Übersetzung. (erschienen bei Egmont Manga & Anime / © I.T. Planning Inc.)
Abb. 3: DOKA, zu Deutsch: BAMM Die mit japanischen Katakana belassene deutsche Übersetzung von Vagabond, neben der amerikanischen Übersetzung. (erschienen bei Egmont Manga & Anime / © I.T. Planning Inc.)
Abb. 4: An die »Geduld«, die als Begriff  zentral ins Bild gesetzt ist, klammert sich einer Protagonisten dieses Bildes von 1818 (Aus Fukuchu meisho zue von Kyoden Santo, Kyozan Santo & Kunianao Utagawa)
Abb. 4: An die »Geduld«, die als Begriff  zentral ins Bild gesetzt ist, klammert sich einer Protagonisten dieses Bildes von 1818 (Aus Fukuchu meisho zue von Kyoden Santo, Kyozan Santo & Kunianao Utagawa)
Abb. 5: Körners Schriftstellerei (Kolorierte Federzeichnung von Schiller, entstanden 1786 als Geburtstagsgeschenk für seinen Gastgeber Gottfried Körner)
Abb. 5: Körners Schriftstellerei (Kolorierte Federzeichnung von Schiller, entstanden 1786 als Geburtstagsgeschenk für seinen Gastgeber Gottfried Körner)
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Text
Steffen Zillig und Sohyun Jung

PAT! BON! DOKAAAN! – Schriftgewitter und Lautmalerei in asiatischen Bildgeschichten

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Abb. 1: DUON, zu Deutsch: KAWUMM. Aus dem ersten Band der Serie X vom japanischen Zeichnerkollektiv Clamp. Gut zu erkennen ist die grafische Nähe von Schrift und Bewegungslinien (© Carlson Verlag, Hamburg)
Abb. 2: DOKA, zu Deutsch: BAMM Die mit japanischen Katakana belassene deutsche Übersetzung von Vagabond, neben der amerikanischen Übersetzung. (erschienen bei Egmont Manga & Anime / © I.T. Planning Inc.)
Abb. 3: DOKA, zu Deutsch: BAMM Die mit japanischen Katakana belassene deutsche Übersetzung von Vagabond, neben der amerikanischen Übersetzung. (erschienen bei Egmont Manga & Anime / © I.T. Planning Inc.)
Abb. 4: An die »Geduld«, die als Begriff  zentral ins Bild gesetzt ist, klammert sich einer Protagonisten dieses Bildes von 1818 (Aus Fukuchu meisho zue von Kyoden Santo, Kyozan Santo & Kunianao Utagawa)
 
 
Abb. 5: Körners Schriftstellerei (Kolorierte Federzeichnung von Schiller, entstanden 1786 als Geburtstagsgeschenk für seinen Gastgeber Gottfried Körner)

Ob klassischer Superheldencomic, gruseliger Mystery-Manga oder avantgardistische Graphic Novel – innerhalb der Sprechblase bleibt die Schrift im Comic allein dem klassischen Anspruch der Lesbarkeit verpflichtet. Sie ist kein Teil der dargestellten Bildwelt, sondern einer abstrakten, quasi unsichtbaren Bedeutungsebene zugehörig, die visuell kaum Aufhebens um sich macht. Spannend ist die Schriftgestaltung in Comics deshalb vor allem da, wo Wörter und Begriffe diesen vorgezeichneten Bezirk verlassen. Wenn sie sich direkt ins Bild setzen, auf eine Ebene mit dessen Figuren. Dort nämlich kann die Schrift selbst – ihre grafische Gestaltung und Konstruktion – zum aktiven Komplizen der Handlung avancieren. 

Vor allem Onomatopöien, Lautmalereien wie PENG, POFF und ZACK, oder Inflektive, also verkürzte Verben wie GLOTZ oder GRÜBEL, erfreuen sich ausserhalb der Sprechblase ihrer Bildwerdung. Tatsächlich sind sie so stark mit der Comicform assoziiert, dass wer sie allzu häufig zur Sprache bringt, schnell hören wird, er rede wie im Comic («Er so RUMMS und ich so AARGH!»). Derzeit sind es Kurznachrichtenformate wie SMS oder Twitter, die dazu beitragen, dass selbst Politiker ihren Tweet über verständnislose Journalisten mit einem knappen GRMPF besiegeln.

Blättert man sich nun in Bahnhofsbuchhandlungen oder Comicläden durch die Regale, gewinnt man schnell den Eindruck, in japanischen Mangas oder ihren koreanischen Pendants, den Manhwas, sei der Umgang mit den bildimmanenten Lautmalereien um einiges virtuoser und ausdrucksstärker als das ewige KRACH! BOOM! PENG! der westlichen Bildgeschichten. Asiatische Soundwords schlängeln, purzeln und springen durchs Bild, überwinden die Gehege der einzelnen Panels und füllen nicht selten ganze Doppelseiten. Das alles passiert zwar auch in den Abenteuern amerikanischer oder gallischer Superhelden und dennoch wirken die asiatischen Onomatopöien oft um einiges atmosphärischer und bildhafter.

Ursachen für die hohe grafische Qualität dieser lautmalerischen Bild-Text-Fusionen finden sich viele, und es mag naheliegen, den asiatischen Schriften selbst schon mehr bildhaften Charakter zuzusprechen als dem lateinischen Alphabet. Tatsächlich sind viele Elemente beispielsweise der chinesischen Schrift auf sogenannte ideografische Zeichen zurückzuführen, also Zeichen, die grafisch das imitieren, was sie darstellen. Aber wenn auch die Wissenschaft über die genaue Datierung ihrer ideografischen Schriftvorläufer streitet – sie je nach Betrachtung zwischen 5.000 und 9.000 Jahren vor unserer Zeit ansetzt – kann man doch mit Sicherheit sagen, dass sie längst zahlreiche Entwicklungsstufen durchlaufen hat. Kein chinesischer Leser wird also Bilder sehen, wenn er einen gewöhnlichen Text liest. Noch weniger die Leser japanischer Schrift, die sowohl Zeichen chinesischer Herkunft, als auch von diesen abgewandelte Varianten und sogar lateinische Zeichen umfasst. Die Lautmalereien von Mangas setzen sich in der Regel aus jenen Schriftzeichen zusammen, die einst als eine Art Stenografie chinesischer Zeichen entstanden: die Katakana. Im Alltag ist ihr Einsatz oft ähnlich unserer Kursivform. Man benutzt sie zur Hervorhebung, in der Werbung und bei Beschriftungen. Ihr stenografischer Charakter lässt sie flüchtig und strichartig erscheinen, weniger geschlossen als die lateinischen Grossbuchstaben, mit denen man im Westen die Onomatopöien zeichnet. 

In amerikanischen und europäischen Actioncomics machen sich die Zeichner gerade das Blockartige und Raumfüllende der Grossbuchstaben zunutze, um einem BOOM oder BOING eine bildlichere Erscheinung zu geben. Die Katakana verlangen schon aufgrund ihrer reduzierten Form eine andere Herangehensweise, die die japanischen Zeichner im Laufe der Jahre immer weiter verfeinert haben. So kann man die einzelnen Bestandteile der Zeichen besser über ein Bild verteilen oder auseinanderfliegen lassen. Explosionen und Erschütterungen erhalten so ein weniger gleichmässiges, eher splitterndes und krachenderes Timbre. Auch lassen sich die wenigen Striche der Katakana leichter in die Bewegungs- und Ausdruckslinien eines Bildes einflechten. Für westliche Leser sind Zeichen und Zeichnung daher oft kaum zu unterscheiden. ? Siehe Abb.1

Koreanische Lautmalereien wirken dagegen blockartiger, haben jedoch den zeichnerischen Vorzug, dass sich die einzelnen Silbenkästen, aus denen sich ein Wort zusammensetzt, abermals aus einzelnen Buchstaben bestehen. Diese kleinteiligere Konstruktion lässt innerhalb des Bildes auch mehr Möglichkeiten, Begriffe gestalterisch zu zerlegen und umzustellen. Ein zur Silbe gehöriger Kreis lässt sich beispielsweise statt unter den Zeichenkörper ebenso gut rechts daneben platzieren. Entgegen dem geläufigen Vorurteil vom bildhaften Charakter asiatischer Schriften ist die koreanische übrigens eine reine Buchstabenschrift, die erst im 15. Jahrhundert am Schreibtisch einer königlichen Expertenkommission entwickelt wurde. Hegel, der die chinesische Schrift aufgrund ihres geringeren Abstraktionsgrades gegenüber der phonetischen Schrift für unvollkommen hielt, hätte also nur etwas weiter westlich ins kleinere Korea schauen müssen, um vom dortigen Glanzstück logischen Sprachaufbaus Kenntnis zu nehmen.

Um die Kunstfertigkeit der Lautmalereien in Mangas und Manhwas zu erklären, lohnt ein Blick auf die lange Tradition der asiatischen Kalligrafie. Wenn sie auch längst nicht mehr die Bedeutung hat, den sie einst für Distinktion und Selbstverständnis der dortigen Oberschichten besass, ist sie als beliebte Freizeitbeschäftigung noch immer weit verbreitet. Die vom Buddhismus geprägte meditative Praxis wird von der Überzeugung geleitet, Geist und Charakter eines Menschen manifestierten sich in dessen kalligrafischer Linienführung. Vor diesem Hintergrund kann schon der Beschaffenheit eines einzelnen Pinselstrichs ein hohes Mass an Ausdruck abgerungen werden. Zwar wäre es übertrieben dem durchschnittlichen Mangaleser allzu viel kalligrafische Interpretation von umherwirbelnden Soundwords zu unterstellen, aber eine gewisse Grundsensibilität für das Handschriftliche wird doch nachhallen. Und im Gegensatz zu den typografisch gesetzten Sprechblasen werden die Onomatopöien meist von den Zeichnern selbst ins Bild gesetzt. Nicht immer so betont kalligrafisch wie in der Mangaserie Vagabond. In den 33 bisherigen Bänden zeichnet der Manga von Takehiko Inoue den historisch inspirierten Werdegang von Miyamoto Musashi nach, einem berüchtigten Samurai der Edo-Zeit (1603–1868), der auszieht, ein grosser Schwertkämpfer zu werden. ? Siehe Abb.2,3

In die Edo-Zeit verlegt man gemeinhin auch die historische Geburtstunde der vom Manga fortgesetzten japanischen Tradition visuellen Erzählens. Tatsächlich geht der Begriff des Manga auf den bis heute berühmten Grafiker Katsushika Hokusai (1760–1849) zurück, der seine Skizzenhefte als eben solche überschieb, nämlich als absichtslose (man) Zeichnungen (ga). Bei den von ihm und anderen verbreiteten Druckgrafiken (den Ukiyo-e) wurde die dazugehörige Schrift bereits direkt ins Bild gesetzt und griff sogar in ihrer Gestaltung schon atmosphärische Eigenheiten der Bilder auf, wie es die Soundwords heute in Comics tun. Man unterstützte zum Beispiel den Eindruck wehenden Windes durch eine wellenartige Laufrichtung des Textes. Auch die für die Bildsprache der Mangas so unverzichtbaren Bewegungslinien finden sich bereits; und wenn es auch noch keine lautmalerischen Darstellungen von Geräuschen gab, so doch Schlüsselbegriffe eines Textes, die an zentraler Stelle direkt mit den Figuren des Bildes interagierten. Wie sehr Bild und Text schon im damaligen Japan als visuelle Einheit begriffen wurden, lässt sich auch daran erkennen, dass man, obwohl die Technik des Typendrucks längst bekannt war, lange am älteren Blockdruckverfahren festhielt, da man mit diesem Bild und Text in einem Arbeitsschritt anfertigen konnte. ? Siehe Abb.4,5

Man kann dieses historisch gewachsene Bildverständnis, das die Schrift eben nicht als Fremdkörper begreift, sicher als Grundlage für die dynamische Schriftgestaltung heutiger Mangas sehen. Falsch wäre es aber, die Vorläufer der Mangas allein im asiatischen Raum zu suchen. Denn es waren nicht zuletzt die europäischen Karikaturen des 18. Jahrhunderts, die in vielerlei Hinsicht wegweisend waren für die Entwicklung der Erzählform. Sequenzbasierte Bildreihen, die Einteilung in einzelne Panels und sogar Sprechblasen kamen hier bereits zum Einsatz. Sogar Friedrich Schiller dürfte sich guten Gewissens in die Reihe europäischer Wegbereiter stellen, hinterliess er doch eine Zeichnung, die in Aufmachung und Gestaltung durchaus an die heutige Comicform erinnert. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren es vor allem die Karikaturen britischer und französischer Zeitungen, die in Japan für dort ansässige Europäer verlegt wurden, die die einheimischen Zeichner inspirierten. Selbst die frühen Arbeiten von Manga-Legende Tezuka Osamu, der mit Serien wie Astro Boy nach dem zweiten Weltkrieg entscheidend zur anhaltenden Popularität der Mangas beitrug, erinnern stark an ihre amerikanischen Vorbilder. Auch die japanische Lautmalerei zeigte damals noch wenig von ihrer heutigen Kunstfertigkeit. ? Siehe Abb.6

Für die Dynamik von Onomatopöien im Manga war aber weniger der westliche Einfluss entscheidend, als vielmehr das, was die asiatischen Zeichner aus ihm heraus entwickelten. Voran ging eine Diversifizierung der Leserschaft. Schon Tezuka Osamu begann in den fünfziger Jahren mit speziellen Mangaserien für Mädchen, was einem Startschuss für die Erfindung immer neuer Subgenres mit immer neuen Zielgruppen gleichkam. Anders die Comics in Europa und Amerika, wo sich in erster Linie Jungen und junge Männern für längere Bildgeschichten begeistern konnten. In der Folge diversifizierten sich auch die Erzählformen der asiatischen Comics. Man begann aus der konventionellen Panelaufteilung auszubrechen, kleine und grosse, gerahmte und ungerahmte Panels zu kombinieren. Die Perspektivwechsel wurden filmischer, und auch die für Manga typische Dehnung der Erzählzeit liess den Comic naher an den Film heranrücken. Auch die Soundwords lassen sich als Kompensation einer fehlenden akustischen Sinnebene verstehen, wie sie das Kino mit sich brachte. ? Siehe Abb.7,8

Wie beim Film gibt es auch beim Manga unterschiedliche Auffassungen über richtige Form der Übersetzung. Stellt sie innerhalb der Sprechblase noch eine lösbare Aufgabe dar, wird es bei der Lautmalerei schon komplizierter. Nicht nur weil sich Vieles nur mit Mühe aus seinen kompositorischen Zusammenhängen lösen lässt, gerade die beschriebenen Eigenarten japanischer Schriftzeichen sind mit lateinischen Grossbuchstaben nur schwer zu imitieren. Doch gibt auch erfreuliche Ausnahmen, wie Kia Asamiyas Science-Fiction-Reihe Silent Möbius, dessen Angleichung der lateinischen Schriftzeichen an die kantige Erscheinung der Katakana erstaunlich authentisch wirkt. Von Verkaufsschlagern wie One Piece oder Dragonball einmal abgesehen, werden heute immer mehr Lautmalereien schlichtweg untertitelt. In ihrer direkten Gegenüberstellungen wirkt ein lateinisch gesetztes DOMM oder WAMM zwar grafisch umso ärmlicher, gleichwohl muss nicht mehr auf die ursprüngliche Komposition verzichtet werden – wie im Kino, wo die Liebhaber auch lieber den durch Untertitel gestörten Bildgenuss in Kauf nehmen, als bei Schauspiel und Akustik Abstriche zu machen. Bei einigen Reihen, wie beim bereits erwähnten Vagabond, spart man die Übersetzungen der Onomatopöien gleich ganz, wohl weil man ihren grafischen Charakter atmosphärisch wichtiger findet als ihren phonetischen. So drosselt man gleichsam die Lautstärke der Leseerfahrung – nicht immer zum Nachteil mancher in Sachen Action noch ungeübten westlichen Leser. ? Siehe Abb.9

Dass Mangas und Manhwas auf akustischer Ebene oft viel dynamischer erzählt werden als die westlichen Comics, mag neben der speziellen Beschaffenheit ihrer Schriftzeichen, der langen Tradition von Kalligrafie und Bild-Text-Kombinationen sowie den mangaspezifischen Erzählformen auch im grundsätzlichen Reichtum von Eigenschaftswörtern etwa für Bewegungsarten (tippelnd, schleichend, etc.) oder Konsistenzen (weich, glibberig, etc.) begründet liegen, die die japanische und die koreanische Sprache bereit halten. Darüber hinaus werden in Mangas auch durchaus paradox anmutende Lautmalereinen ins Bild gesetzt, TOTENSTILLE etwa. Auch Begriffe, die eher die Atmosphäre eines Panels einfangen, als dass sie ein Geräusch darstellen. SPANNUNG ist so ein aus europäischer Perspektive  merkwürdig anmutender Begriff, dessen verlängertes japanisches Äquivalent ungleich klangvoller erscheint: BAAAAAN! Möglicherweise harren auch einige dieser Begriffe nur ihrer lautmalerischen Einbürgerung. Bisher jedenfalls fehlt dem Manga das diesbezügliche Talent einer Erika Fuchs. Die legendäre Übersetzerin und einstige Chefredakteurin der deutschen Mickey Mouse zeichnete in der Nachkriegszeit für eine ganze Reihe grossartiger deutscher Lautmalereien verantwortlich: Aus dem amerikanischen KA-RASH beispielsweise wurde bei ihr ein deutsches KLICKERADOMS.

Aber so fantastisch diese und andere Wortschöpfungen anmuten, halten die wenigsten von ihnen Einzug in den alltäglichen Sprachgebrauch – wenn ein getwittertes GRMPF auch immerhin ein Anfang ist. In Ostasien ist das gesamte Alltagsleben vielmehr von Schrift und speziell auch von Lautmalerei durchzogen als hierzulande. Das gilt nicht nur für das Strassenbild oder die omnipräsenten Werbebotschaften, auch Fernsehsendungen werden häufig mit Schrifteinblendungen begleitet, um das gezeigte Geschehen zusätzlich zu kommentieren. In Muhan Dochon beispielsweise, einer der populärsten Fernsehshows in Südkorea, werden die Sketche permanent von comicartigen Symbolen und Onomatopöien durchzogen: GLOTZ steht dann im Bildschirmvordergrund, wenn die Protagonisten dahinter in eine Richtung starren. Aber auch ohne eine solche alltägliche Zeichenflut schaffen es auch immer mehr europäische und amerikanische Zeichner ihrem Umgang mit Schrift neue darstellerische Ebenen abzugewinnen. So bei Habibi, dem kürzlich auf Deutsch erschienenen 700-Seiten-Epos des Amerikaners Craig Thompson. Den kalligrafischen Strang seiner orientalischen Erzählung setzt er häufig mit beeindruckendem Gespür für Komposition und das Ineinanderfliessen von Bedeutungsschichten ins Bild, etwa dann, wenn er arabischen Schriftzeichen über die ganze Seite verteilt in rauchartiges Ornament aufgehen lässt. Das Potential jener den Sprechblasen entkommenen Schrift, deren Aufwertung die Mangas Bahn brachen, es scheint noch längst nicht ausgeschöpft. ? Siehe Abb. 10, 11, 12

Zu den Autoren:
Steffen Zillig ist Künstler und Autor. Er studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Er schreibt für Texte zur Kunst, art – Das Kunstmagazin und Kultur & Gespenster. Sein Buch Albrecht erschien im Februar 2012 im Rhein-Verlag. Er lebt in Hamburg.
Sohyun Jung studierte Freie Kunst an der Ewah Womans University in Seoul, Südkorea und der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Seit 2011 betreibt sie das koreanisch-deutsche Weblog Kunst/slash – Translate German Art. Sie lebt als freie Künstlerin, Illustratorin und 3D-Grafikerin in Hamburg.
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Tipp
Hin Van Tran

«May» – Phillipe Parreno

Philippe Parreno hat im Verlauf der letzten zwanzig Jahre ein wechselvolles und komplexes Werk geschaffen, das voll von Bezügen, mentalen Evokationen und Verhandlungen der Spielarten von Literatur, Philosophie, Science Fiction, dem Film, des Theaters, der Informationsformate wie Radio, Fernsehen und Internet ist.

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Philippe Parreno hat im Verlauf der letzten zwanzig Jahre ein wechselvolles und komplexes Werk geschaffen, das voll von Bezügen, mentalen Evokationen und Verhandlungen der Spielarten von Literatur, Philosophie, Science Fiction, dem Film, des Theaters, der Informationsformate wie Radio, Fernsehen und Internet ist. Auffällig ist, dass nicht die Konventionen der visuellen Kunstgeschichte, also der Malerei und Skulptur, verhandelt, sondern durch das Spiel mit Zeit, Prozessen und Formaten, die klassischen Vorstellungen von Kunst erörtert werden. Dabei nehmen Erinnerungen und Projektionen immer wieder eine wichtigere Rolle ein als das Objekt selbst. 

«This film lasts for 11 minutes and 40 seconds but 48 hours after being removed from its sealed package it will disappear from the support through a process of oxidation. The film has stereo sound and a song featured at the end. There are no computer generated special effects in this production. What you see in the picture was constructed in order to be filmed. This is a story of a film that produced a building and the story of an architecture which provided the scenario for a film. The film is one element of a a two-headed mutant, one of two inseparable twins who share the same body. The building does exist somewhere in South East Asia.»

Diesen Klappentext schrieb Philippe Parreno für den Film «The Boy from Mars» (2003), den der Künstler 2005 in der Friedrich Petzel Galerie in New York zeigte. Er platzierte DVDs des Films in einer Bücherwand und gab sie als Geschenk an die Besucher ab. Der sich nach Öffnen der Packung auflösende Film bildete zusammen mit der Bücherwand eine Arbeit, die den Eingang zur Ausstellung in der Galerie blockierte. Durch einen mysteriösen Drehmechanismus öffnete sich die Wand wie eine Schwingtür und gab Einlass in einen Raum, in dem die Gemeinschaftsarbeit von Philippe Parreno und Rirkrit Tiravanija gezeigt wurde.

Die beschriebene Installation und der genannte Film stehen für zentrale Themen im Werk des Künstlers: So ist eine herausragende Eigenschaft die Transformation von Genres, besonders die des Films in das Format der visuellen Kunst. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Untersuchung des Themas der Ausstellung per se. Eine «Retrospektive» des Künstlers muss also eine Ausstellung als zentralen Gegenstand seiner Auseinandersetzung erfahrbar machen und ist mehr als eine Liste chronologisch relevanter und repräsentativer Werke.

Parreno schafft Situationen, die es den Dingen erlaubt, eine andere Form anzunehmen, wodurch spielerisch Neues in der bildenden Kunst etabliert wird. Diese Dinge werden genährt von den Geistern kunstfremder Formate: Er lässt sie zu Kino, Philosophie, Literatur, Wissenschaft oder Fiktionen werden, begrüsst und engagiert Mutanten und Hybride, die Imagination von Kreaturen und Wesen, die ihre Form in unserer Fantasie und Wahrnehmung immer wieder ändern. Dazu gehören Feen, Monster, Freaks, Geister und Gespenster, Phantome, Bauchredner, Doppelgänger, Hypnotiseure und Seher, Kinder, Roboter und andere intelligent handelnde Maschinen. Sie alle üben in den Werken imaginativ verwandelte, theoretisch begründete Kritik an den konventionellen Formaten von Exponat und Ausstellung mit den Mitteln des Märchens, des Films und der kollektiven Kreativität. 

Der Künstler kreiert selbstständige (Film-)Wesen, und er verortet seine Ausstellungen in der Zeit wie im Titel «May» angedeutet. In einer kontinuierlichen Transformation seiner Arbeiten findet Parreno zu immer neuen Formaten und Modellen möglicher Ausstellungsformen: Die Geister seiner Arbeiten kehren als Protagonisten ihrer eigenen Identität zurück.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich gibt einen Einblick in das Werk des Künstlers mit Arbeiten, die von den 1990er Jahren bis heute entstanden sind, auf mehreren erzählerischen und evokativen Ebenen: Neun «Marquee»-Arbeiten, die seit 2007 entstehen, verwandeln die Räume in ein glühendes Feld von möglichen Eintritten ins Filmtheater. Sie ähneln den mit Glühbirnen bestückten «Vordächern» der Entertainment-Kultur der Welt und sind ergänzt durch die Leuchtreklame «Boy from Mars» (2005), die den gleichnamigen, ebenfalls in der Ausstellung gezeigten Film von 2003 ankündigen könnte. Eine Reihe von Zeichnungen zieht sich als parallele Erzählung durch die gesamte Ausstellung: Monster, die der in New York lebende Kinderbuchillustrator Johan Olander zum Werk Philippe Parrenos entwickelt hat – Interpretationen eines Gesamtwerks – mutieren zu komischen, bedrohlichen, schockierenden und erheiternden Ungeheuern. Sie werden von Parreno selber nochmals neu gezeichnet werden, der hierdurch einen Doppelsalto der Interpretation veranstaltet. So stehen die Monster in Kommunikation mit Arbeiten, die Sprache, weit verzweigte Erzählungen oder Fiktionen als Geister anwesend sein lassen: Hunderte von Ballonen in Form von Sprechbla-sen, Glaslautsprecher, Marionetten, Fotografien vom Künstler, der zu Tieren spricht, ein Film, der «ein Gebäude produziert» hat und zahlreiche Geschichten, die die Monster der Zeichnungen beginnen wollen…

Philippe Parreno, geboren 1964 in Oran/Algerien, lebt und arbeitet in Paris. 
© Copyright Kunsthalle Zürich 2009

 

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Rezension
Jörg Becker

Storyboards – Vom gezeichneten zum bewegten Bild

Lange bevor die Dreharbeiten an einem Film beginnen, wird oft gezeichnet – vom Regisseur selbst oder von Zulieferern erster Bilder nach einem Drehbuch. Das resultierende Storyboard, eine Anordnung von Zeichnungen, ist ein Transformationsmedium zwischen Text und Filmbewegung.

FB

Rezension zur Ausstellung in der Deutschen Kinemathek im Jahr 2011

Das bewegte Bild dringt heute in alle Bereiche, doch seine grafische Vorstufe, ein hybrides Format, gilt es zu entdecken. Die Deutsche Kinemathek zeigt erstmals eine Ausstellung über das Storyboard, das wie eine operative Gebrauchskunst erscheint – sie verschwindet im Ergebnis. «Die Storyboards sind nicht der einzige Kommunikationsweg für das, was ich mir vorstelle, aber sie sind der Punkt, an dem ich beginne,» sagt im Interview mit den Kuratoren der Ausstellung Martin Scorsese, der zu jenen Regisseuren gehört, die selbst den Zeichenstift in die Hand nehmen, um sich Klarheit über die eigenen Vorstellungen zu verschaffen. «Während ich zeichne, denke ich über die Bildkomposition nach, darüber, welches Objektiv ich verwenden werde und wie eine Einstellung mit der nächsten eine Verbindung eingeht. Die Kamera, ihre Bewegung, der Bildaufbau, die Bewegung der Figuren und Objekte innerhalb des Bildes – das alles muss in einem Storyboard enthalten sein, wenn man darüber diskutieren will.»

Genese eines Films am Zeichentisch

Der Amoklauf von Travis Bickle zum Finale von «Taxi Driver» (1976), von Scorsese selbst mit Bleistift und rotem Filzstift für die Hervorhebung des Blut- und Splattermoments der Szene in TV-formatige Vordrucke gezeichnet, gehört sicher zu den Highlights dieser Ausstellung, die nur wenige Regisseure als ihre eigenen Storyboarder präsentiert; man sieht, wie der malerisch ausgebildete Fritz Lang sich zeichnerisch sehr gelungen mit der Gestaltung einer Szene seines «Ministry of Fear» (1944) auseinandergesetzt hat, entliehen aus Langs Nachlass in der Collection Cinémathèque française, dem auch die grandiosen, im charakteristischen low key lighting des Film noir gehaltenen Grafitzeichnungen des Illustrators Wiard Ihnen für Fritz Langs «Man Hunt» (1941) entstammen.

Im deutschen Teil der Ausstellung, vorwiegend aus Beständen der Kinemathek, wird der sogenannte Papierfilm des Szenenbildners Fritz Maurischat als frühes Beispiel eines durchgezeichneten Films gewürdigt. Beispiele des «Optischen Drehbuchs», das die Defa seit den 1960er Jahren unter Leitung des Filmarchitekten Alfred Hirschmeier kultivierte, finden sich ebenso wie Skizzenbeispiele der Gegenwart, unter anderem für Roland Emmerichs kommende Shakespeare-Phantasie «Anonymus», Wim Wenders‘ «Palermo Shooting» und Tom Tykwers «The International».

Neu an dieser Ausstellung ist, dass man sich dem Storyboard, der zeichnerischen Entstehungsvariante einer filmischen Geschichte auf ihrem Produktionsweg ins Kino, gewissermassen in einer Kunsthallen-Kinematheken-Symbiose nähert: Zu 21, den meisten Filmliebhabern wohl vertrauten internationalen Filmen (allerdings sucht man etwa Eisenstein oder Kurosawa vergeblich) werden auf chronologischem Parcours nicht allein Storyboard-Bilderfolgen präsentiert, die sich jeweils mit der entsprechenden Filmsequenz vergleichen lassen, ihnen werden auch Kunstwerke assoziativ zugeordnet, die den Zeichnungen, mithin dem vorbereitenden Gedankenfilm, eine eigenständige ästhetische Qualität verleihen.

Das in Walt Disneys Trickfilmstudios geborene Storyboard-System von untereinander kombinierbaren Zeichnungen, die an eine Korktafel geheftet wurden, um den Stand der Dinge zu fixieren, wurde 1939 vom Produzenten David Selznick für die bis dahin aufwendigste Produktion in Farbe, «Gone With the Wind», verwendet; hier zeichnete William Cameron Menzies für den Gesamtlook des Films erstmals als Production Designer verantwortlich. So entwarf er etwa die Szene des brennenden Atlanta, ehe man dafür alte «King Kong»-Kulissen, aus unterschiedlichsten Kameraperspektiven aufgenommen, in Brand setzte. Hein Heckroths Malereien für den Tanz in «The Red Shoes» (Powell/Pressburger, 1948) bilden ein farbexpressives, surreales Ensemble, das Einflüsse von Miró und Kandinsky erkennen lässt.

Zu Hitchcocks «Spellbound» (1945) ist das surrealistische Vokabular, nach Entwürfen von Salvador Dalí, hier flankiert von einer Max-Ernst-Zeichnung, rezitiert. Man kann den für seine Vorspanne in Hitchcock-Filmen berühmten Saul Bass als Illustrator des Films «Spartacus» (Stanley Kubrick, 1960) bewundern, dessen Storyboards Massenchoreografien und Kampfinszenierungen auf ihr kinematografisches Wirkungsmoment zuspitzen. Selbst das Kammerstück «Who‘s Afraid of Virginia Woolf?» (Mike Nichols, 1966) erhielt ein Storyboard, die Ausstellung placiert die bildästhetisch nahe Warhol-Zeichnung «Man and Woman» (1960) vorweg. 

Der Malerei gegenübergestellt

Zu den interessantesten Gegenüberstellungen von Malerei und Storyboard gehören die «Soldaten»-Radierungen von Baselitz neben Tavoularis‘ «Apocalypse Now»-Zeichnungen, Hokusai-Zweikampf-Skizzen neben «Star Wars – Episode IV» (1977), Marcel van Eedens Film-noir-inspirierte Quasi-Storyboard-Malerei für den Fritz-Lang-Kontext, das tachistische Gemälde Henri Michaux‘ neben Harold Michelsons Storyboard zu «The Birds» (1963) und Luzio Fontanas «Concetto Spaziale» (Raumkonzept), dieser Schlitz inmitten von glattem Weiss, im Kontext von David Finchers Zeichnungen zu «Panic Room» (2002), deren makroskopische Ausschnitte das Schloss, die Öffnung, das Eindringen herausheben. Trotz 3 D Previsualization Program kann auf die jahrhundertealte Tradition der klassischen Handzeichnung als Hilfsmittel der Filmproduktion nach wie vor nicht verzichtet werden. Um dem wechselseitigen Einfluss zwischen bildender Kunst, Storyboard und Film auf die Spur zu kommen, bietet diese Schau eine gelungene Übersicht.

Erschienen in: NZZ, 25. August 2011
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Text
Daniel Krause

Sprechkünstler Oskar Werner

Nicht viele nahmen Mass an Oskar Werner. Wie viel weniger Sprechkunst wird heute vernommen? Die Kunst, das Deutsche zu singen, verfällt. «Regietheater» heisst die Losung. Die Mimen geraten zum Werkzeug. Dergleichen kann gedankenreich und «stimulierend» sein, zuweilen erhellend. Aber eins scheint verloren: Die Sprech-, bald auch die Hörkunst.

FB

Im Film, im Theater sind ‚Authentizität’, ‚Intensität’, nicht selten ‚Coolness’ gefragt. So konnte ein Til Schweiger Karriere machen. Eines haben Schauspieler seines Schlags niemals gelernt: sprechen. Einst war es anders: Schauspiel- war Sprechkunst. Ihre Heroen: Josef Kainz, Alexander Moissi und, nach dem Kriege, Oskar Werner. Er formt die Laute präzise, wie ausgestochen. Konsonanten werden zu unerhörter Plastizität gebracht. Vokale blühen melodiös auf, als wär’s Italienisch. Bei aller Deutlichkeit: Die Silben- und Wortgrenzen werden virtuos verschliffen. Ein wohlartikulierter Tonstrom entsteht, mit klug bemessenen Kadenzen. Die Tempi: flexibel, agogisch geschickt, stets in Entsprechung zum Textsinn. Die Stimme: klar, fokussiert, aber fein modulierend und mit der viel beschworenen ‚Träne’ versetzt, die ‚Künstler’ nach Carusos Art von bloßen ‚Sängern’ unterscheidet. Der Wiener Akzent, bar alles Dialektalen, geht leichthin im Hochdeutschen auf. Es ist dies Burgtheaterdeutsch, im Stande höchster Vollendung. Wer hat das Deutsche als „Sprache der Pferde“ verunglimpft? An diesen Lauten ist nichts grob, nichts spröde: Die «Sprache der Pferde» gerät zur Musik. Nicht viele nahmen Mass an Oskar Werner. Wie viel weniger Sprechkunst wird heute vernommen? Die Kunst, das Deutsche zu singen, verfällt. «Regietheater» heisst die Losung. Die Mimen geraten zum Werkzeug. Dergleichen kann gedankenreich und ‚stimulierend’ sein, zuweilen erhellend. Aber eins scheint verloren: Die Sprech-, bald auch die Hörkunst.

Erschienen auf: textem.de

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Interview
Lida Bach

«The Artist» – Ein Film ohne Worte gewinnt einen Oscar

Interview von Lida Bach mit dem Oscar-Preisträger Jean Dujardin über den modernen Stummfilm und stumme Co-Darsteller. Erschienen im «Titel Magazin».

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Lida Bach: Was war Dein erster Gedanke, als Du hörtest, dass Du in einem Stummfilm mitspielst?

Jean Dujardin: Wird das überhaupt finanziell machbar sein, bevor wir anfangen zu träumen? Es machte mir Angst, dass ich ein bisschen wie Chaplin sein sollte. Wie soll man sich mit solchen Menschen vergleichen? Das sind Genies! Zuerst einmal musste ich verstehen, was der Regisseur wollte. Einen Charlie Chaplin? Nein. Wir sahen zusammen Filme an. Ich dachte: «Okay, er möchte eine Liebesgeschichte», und verstand, worum es eigentlich geht.

Lida Bach: War die Umstellung auf stummes Schauspiel für Dich schwierig?

Jean Dujardin: Eigentlich nicht. Wir haben zwar den Eindruck, es sei ein Stummfilm, aber beim Spielen war es nicht so, dass ich nichts gesagt hätte.

Lida Bach: Hat Michel Dir für die stummen Szenen Dialoge geschrieben, die wir nicht hören?

Jean Dujardin: Ja. Es gab vorgegebene Dialoge, aber auch improvisierte Momente. In denen haben wir Französisch gesprochen, Englisch und manchmal haben wir auch einfach irgendwas gesagt: Nonsens.

Lida Bach: Trotzdem muss man beim Stummfilm anders spielen, um das Ungesprochene zu vermitteln.

Jean Dujardin: Michel handhabte es so, dass wir nicht seine Arbeit machen mussten. Es ist ja Aufgabe des Regisseurs, den Film zu erzählen. Wir mussten nicht so machen (guckt auf sein Handgelenk): Wie spät ist es? Und so (bibbert): Mir ist kalt. Der Körper macht seine Arbeit. Man muss sich ausdrücken, aber es ist sehr instinktiv.

Lida Bach: Hättest Du erwartet, dass ein französischer Regisseur dem Hollywood-Kino auf diese Art Tribut zollt?

Jean Dujardin: Es war natürlich vorstellbar, dass ein Franzose über Hollywood redet, aber in Schwarz-weiss und als Stummfilm hätte ich mir das nicht vorstellen können. Es ist deren Geschichte, aber gleichzeitig unsere: die Geschichte von der Entstehung des Kinos.

Lida Bach: Hast Du Dich an bestimmten Stummfilmstars orientiert? Douglas Fairbanks, Adolphe Menjou … ?

Jean Dujardin: Douglas Fairbanks, Gene Kelly, der Italiener Vittorio Gassman, der besonders viel Ausdrucksstärke hat. Man guckt sich viele Details bei vielen Leuten ab. In meiner Rolle habe ich schon stark an Douglas Fairbanks gedacht. Er war ein wenig mein Vorbild. Ich habe alle von Douglas Fairbanks Filmen gesehen. Er war immer der vollendete Schelm mit dem Bart und machte immer die gleichen Filme. Die Leute waren sehr froh darüber und er war selbst anscheinend auch sehr glücklich mit dieser Rolle.

Lida Bach: Käme man heute noch mit damit durch?

Jean Dujardin: Nun, heute gibt es auch Leute wie Nicholas Cage, die seit Jahren das Gleiche machen. Was Fairbanks erreichte, war der erste amerikanische Held zu sein.

Lida Bach: Wie war die Zusammenarbeit mit ihrem Nebendarsteller: Uggy?

Jean Dujardin: Bizarrerweise sehr einfach. Manchmal ist er mir hinterher gerannt, manchmal ich ihm. Allerdings musste durchaus beim Dreh improvisiert werden, denn ich kann keine Hundesprache. In der Frühstücksszene, in der ich ihn auf den Tisch setze, wusste ich nicht genau, was er machen würde, was ich dann nachahmen musste. Man guckt ihn mit einem Auge an und dann macht man das nach. Das ist das Schöne an diesem Beruf, dass es solche Improvisationen gibt.

Lida Bach: Welchen heutigen Schauspieler würdest Du gern in einem Stummfilm sehen?

Jean Dujardin: Jim Carrey. Der wäre perfekt dafür geeignet, weil es unglaublich ist, was er mit seinem Körper und seinem Gesicht anstellt. Als wir den Film drehten, habe ich ihn in L. A. getroffen. Ich weiß, dass er den Film sehr geschätzt hat, denn er hat gleich darauf Michel darauf angesprochen und gefragt, ob sie was zusammen machen könnten.

Lida Bach: Ist Carrey auch ein Vorbild für Deine komödiantische Arbeit?

Jean Dujardin: Ich mag ihn zwar, aber muss das deshalb nicht zwangsläufig übernehmen.

Lida Bach: Möchtest Du bei der Komödie bleiben oder zu anderen Rollen wechseln?

Jean Dujardin: Man kennt mich mehr aus Komödien, weil die sich besser verkaufen. Bertrand Blier, Nicole Garcia … ich habe auch Filme gemacht, die sehr ernsthaft sind – und versuche immer, die Chance zu wechseln zu nutzen.

Lida Bach: Hat die Auszeichnung in Cannes etwas verändert? Manchmal ist ein Preis auch ein Hindernis.

Jean Dujardin: Das kann sein. Manchmal denken die Leute, der ist zu teuer geworden. Aber eigentlich verschafft es mir mehr Möglichkeiten, weil ich nun besser eigene Projekte realisieren kann. Selbst zu produzieren interessiert mich sehr.

Lida Bach: Was für Projekte?

Jean Dujardin: Einen Film habe ich co-produziert. Einen Sketch, ein bisschen wie die italienischen Filme in den Sechzigern: Les Infidels – Die Untreuen. Im April kommt ein Film mit Cecile de France und einer mit Eric Rochant, der Les Patriotes gedreht hatte.

Lida Bach: Hat Michel Dein Interesse an Stummfilm geweckt oder war es schon vorher da?

Jean Dujardin: Erst Michel. Alle, die mitmachten, von den Technikern bis zu den Statisten, wurden von Michel in dieses Universum eingeführt.

Lida Bach: Welche Erfahrungen nimmst Du von diesem Projekt für andere Filme mit?

Jean Dujardin: Vielleicht mehr Sicherheit. Ich werde mich nicht in vielen anderen Filmen an den Sachen aus diesem Film bedienen. Aber man verändert sich schon, wenn man in so einem Film spielt. Man hat nicht diesen ganzen Lärm, auf den man reagieren muss. Man hat mehr Freiheiten dadurch, dass der Zuschauer nichts hört.

 

 

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Text
Constantin Alexander

Massenerfolg Poetry Slam

Freibier, Fans und Fahrtgeld – das war der Lohn, für den Poetry Slammer lange auftraten. Doch mit zunehmender Popularität verdienen viele Hobbydichter ordentlich Geld. Die einstige Subkultur ist auf dem besten Weg, zur gewöhnlichen Stand-up-Comedy zu mutieren.

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«Sebastian 23» erzählt Geschichten, das Publikum gibt ihm dafür Punkte. Hat er seine Zuhörer überzeugt und die meisten Punkte bekommen, gewinnt er eine goldfarben besprühte Bierflasche, oder auch mal ein Buch. Auf jeden Fall Applaus und anerkennende Schulterklopfer. Denn beim Poetry Slam geht es nicht um den Sieg allein, sondern darum, ein Publikum für lebendig vorgetragene Literatur zu begeistern.

In vielen Städten finden regelmässig Slams statt, in Workshops lernen Jugendliche in wenigen Stunden, eigene Texte zu performen, Lehrbücher bereiten das Thema für den Schulunterricht auf. Die Slammer, wie sich die Dichter selbst nennen, haben sogar den Sprung ins Fernsehen geschafft. Der Pay-TV-Sender «Sat.1 Comedy» widmete dem Format im vergangenen Jahr eine eigene Reihe, moderiert von Sarah Kuttner.

«Sebastian 23» ist spätestens seit dem Gewinn der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften 2008 in Zürich vor insgesamt mehr als zehntausend Zuschauern einer der Stars der Szene. Drei- bis viermal pro Woche tritt er auf einem Slam auf und bei Stefan Raabs «TV Total» war er auch schon. Der Erfolg des ehemaligen Philosophiestudenten aus Bochum zeigt: Die einstige Subkultur Poetry Slam ist auf dem besten Wege, sich zu einem gängigen Unterhaltungsformat zu entwickeln.

Im Grenzbereichstatt der Kommerzialisierung

«Poetry Slam wird immer grösser und dadurch stärker wahrgenommen. Die Szene bewegt sich inzwischen im Grenzbereich zur totalen Kommerzialisierung», fasst «Sebastian 23» die Entwicklung der vergangenen Jahre zusammen. «Die meisten Slammer sind Hobbydichter, doch die Gelegenheit, für einen Auftritt Gage zu bekommen, gibt es inzwischen immer öfter.» Traten die Wettkampfdichter einst noch für Fahrtgeld, ein paar Freibier und einen Schlafplatz auf dem Sofa des Veranstalters auf, werden heute für einige Wenige Künstlergagen gezahlt. Das weckt Begehrlichkeiten.

«Poetry Slam ist kein Underground mehr, es ist normale Abendunterhaltung», sagt auch Wolf Hogekamp, der als einer der ersten den Dichterwettstreit in Deutschland etabliert hat. «Es ist inzwischen völlig normal, dass sich Hunderte Zuschauer an einem Abend einen Slam anschauen. Das zieht natürlich auch viele an, die schnell bekannt werden wollen.» Poetry-Slam-Organisator Thomas Geyer bestätigt die Einschätzung seines Kollegen: «Poetry Slam ist zu einer Art Durchlauferhitzer geworden. Viele machen nur noch mit, weil sie denken, dadurch kommen sie leicht in die Zeitung oder ins Fernsehen.»

Geyer organisiert Poetry Slams in Konstanz und Stuttgart und betreibt mit dem Sprechstation-Verlag eines der Aushängeschilder der Szene. Sein Verlag hat nicht nur «Sebastian 23» unter Vertrag, sondern auch den Basler Gabriel Vetters, der von der «Schweizer Illustrierten» zu den hundert wichtigsten Schweizern gewählt wurde.

Nur mit Lachern zum Sieg

«Als ich anfing, war es egal, wer gewinnt. Die Punktewertung bei einem Slam war eher so eine Parodie der ernsten Literaturwettbewerbe», sagt Geyer. Doch heute gebe es viele Slammer, die ihre Texte so schreiben, dass sie gewinnen. Und in der Regel gewinnt der Text mit den meisten Lachern. Viele Poetry Slams entwickeln sich deshalb immer mehr zu Stand-up-Comedy-Bühnen. Ernste Themen, früher einmal zentral bei Slams, suche man oft vergebens.

Diesen Trend sieht auch Xóchil, die wohl bekannteste Slammerin Deutschlands: «Es ist inzwischen einfacher, Slams zu gewinnen, wenn man etwas Lustiges schreibt.» Das hat sie beherzigt, so einige Slams gewonnen – aber sich dabei «sehr schnell begrenzt gefühlt», sagt sie. «Ich habe mich auch ein wenig vor mir selbst geekelt.» Inzwischen distanziert sie sich von der Slam-Szene und konzentriert sich auf ihre Solo-Shows, bei denen sie Gedichte mit Musik verbindet.

So wie Xóchil geht es inzwischen vielen Slammern, die seit Jahren dabei sind. Die hohe Fluktuation von Teilnehmern, die die Bühne nutzen, um schlechte Pointen aneinanderzureihen, ein Publikum, das allein darauf aus ist, unterhalten zu werden und die Aussicht, wochenlang auf Tour zu gehen, ohne Geld zu verdienen, ermüden auch den grössten Literaturbegeisterten. Wer länger als ein Jahr von einem Slam zum nächsten tingelt, gehört schon fast zu den alten Hasen der Szene.

«Wenn man viel unterwegs ist, bekommt man wenig Möglichkeiten, sich wirklich mit den Menschen und seinen eigenen Texten auseinanderzusetzen», erzählt Jan Sedelies, der in der Szene Egge genannt wird. Sedelies gehört zu den Veranstaltern des Poetry Slams in Hannover. Er selbst tritt kaum noch auf. «Ich habe gemerkt, dass es nichts bringt, einen Text im Zug auf dem Weg zu einem Slam schnell fertigzuschreiben, den abends auszuprobieren, um dann am nächsten Tag wieder irgendwo anders auf einer Bühne zu stehen – da fehlt die Zeit für klassische Textarbeit – und das merkt man den meisten Slamtexten leider auch an.» 

Die Szene rückt in den Hintergrund

«Durch den Erfolg von Poetry Slam, aber auch die Weiterentwicklung der Slammer in Richtung Solo-Programm, rückt die Szene an sich in den Hintergrund. Der einzelne Künstler wird wichtiger», beschreibt Sedelis einen Trend. «Poetry Slams sind eigentlich zweitranging und gerade die Künstler, die Literatur mit anderen Medien wie Musik und Videos vermischen, sind momentan sehr erfolgreich.»

Die meisten Slam-Poeten können dennoch nicht allein von ihren Auftritten leben, sagt Sedelis. Auch er verdiene sein Geld, wie die meisten seiner Slam-Kollegen, mit Workshops, Solo-Lesungen und Literaturprojekten.

Anders Bas Böttcher: Seit mehreren Jahren bestreitet der Berliner seinen Lebensunterhalt mit seiner Kunst, tritt rund 110-mal im Jahr auf, reiste für das Goethe-Institut unter anderem nach China, Abu Dhabi, Brasilien und in die USA. Sein erfolgreichstes Projekt war die Textbox – ein Kasten, in dem Poeten ihre Texte vortragen, die dann von aussen über Kopfhörer zu hören sind. Die Texte werden in die jeweilige Landessprache übersetzt und mit Bildern und Musik begleitet – die Lesung wird so zur multimedialen Erfahrung.

Die Talente verlassen das Nest

In den Anfangsjahren des Poetry Slam wurde noch wütend gegen die grossen Printverlage und Literaturhäuser gewettert, sie würden die Szene und die Slams als neue Form der Literatur ignorieren. Heute haben die Slammer ein neues Selbstbewusstsein entdeckt: «Die etablierten Literaturbetriebe müssen sich uns und den neuen Zeiten anpassen, sonst verlieren sie eine ganze Generation Literaturbegeisterter, die mit Slams aufgewachsen ist und diese Lebendigkeit liebt.»

Das dies bereits geschieht, beweist nicht nur Böttchers Beitrag zu einem Reclam-Büchlein, in dem Poetry Slam für den Schulunterricht aufbereitet wird. Auch zahlreiche seiner Kollegen kommen nach und nach bei den etablierten Verlagen unter: Lydia Daher wurde für ihre CD, die bei Trikont erschienen ist, von der Presse gelobt, Mischa-Sarim Verollet veröffentlichte seinen Erzählband beim Carlsen Verlag und Xóchil neue CD erscheint im Frühjahr beim Musiklabel Edel.

«Grosse Verlage und Literaturhäuser schauen sich inzwischen sehr genau an, was im Slam passiert. Es ist gut, wenn viele Menschen aus ihrem Hobby Slam einen richtigen Job machen können», sagt Geyer. Gleichzeitig beschleunigt diese Entwicklung den Ausverkauf der Szene: «Mit dem Erfolg distanzieren sich viele Künstler und wollen nicht mehr mit Poetry Slam in Verbindung gebracht werden. Das ist so wie bei jeder Subkultur: Sobald die Talente gereift sind, verlassen sie das Nest und schauen sich nach etwas Grösserem um.»

Erschienen auf Spielgel online

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Filmtipp
Andreas Renner

14 Silben pro Sekunde

Der amerikanische Rapper Ricky Brown hat es ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft. Nicht durch seine Plattenverkäufe, sondern durch die Geschwindigkeit seiner Raps. Ein «Focus online»-Bericht.

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Filmtipp
Michael Jacobs

Der Urahn aller Musikvideos

Mit einer Mischung aus Coolness und Slapstick pfeffert der dürre junge Mann Pappkarten, eine nach der anderen, auf das Alleenpflaster hinter dem Londoner Savoy-Hotel. Sie tragen Aufschriften wie «Basement», «Look out», «Suckcess» und werden weitergeschrieben vom atemlosen Stakkato-Sound des «Subterranean Homesick Blues», der durch die schwarzweisse Buchstaben-Bildergasse fegt.

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Die Filmsequenz eröffnet D. A. Pennemakers Dokumentation «Don‘t Look Back» über Bob Dylans England-Tournee 1965, und Dylans lässig aus dem Hemdsärmel geschüttelter Kartenspielertrick ist längst zu einer ikonografischen Keimzelle der Popkultur geworden: «Subterranean Homesick Blues» war nicht nur der erste Rap der Musikgeschichte – der Clip mit den von Donovan, Allen Ginsberg, Bob Neuwirth und Dylan selbst bekritzelten Stichwort-Blättern, der mit seiner ungekünstelten, improvisierten Handkamera-Ästhetik bis heute unzählige Nachahmer fand, gilt als Vorreiter aller Musikvideos. Die immense stilbildende Wirkung dieses verfilmten Songs auf Werbung, Leinwandkünstler und natürlich Musiker reicht von Bands wie Flaming Lipps, The Matches, INXS oder Belle and Sebastian bis hin zu Parodien der Royal Canadian Airforce, Cartoons und einem Werbeauftritt 2010 für Google Instant.

 Quelle: www.allgemeine-zeitung.de/region/mainz/meldungen/11258100.htm

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Tipp
Hin Van Tran

Wie Sie Sprechblasen anpieksen

Sie kennen sie bestimmt – die scheinbar so Redegewandten, also die Menschen, die Sprache als Waffe einsetzen und andere dadurch ausgrenzen, nicht zu Wort kommen lassen oder übergehen.

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Sie kennen sie bestimmt – die scheinbar so Redegewandten, also die Menschen, die Sprache als Waffe einsetzen und andere dadurch ausgrenzen, nicht zu Wort kommen lassen oder übergehen.Sie begegnen ihnen nicht nur in der Schule, im Beruf oder in der Freizeit; auch im Fernsehen scheinen z. B. die meisten Politiker nur noch wie auf Knopfdruck geschwollenes Zeug zu reden. Vielleicht hinterlassen Begegnungen oder Konflikte, die Sie mit solchen Phrasendreschern hatten, ein ungutes Gefühl bei Ihnen, und Sie fragen sich vielleicht: «Wie kommt man dagegen an?» Gegen die folgenden Scheinargumente, die Sie in den kommenden Wahlkampfwochen sicher öfter hören werden, ist scheinbar kein Kraut gewachsen:

Nr.1: Ihr Vorschlag ist völlig unrealistisch!

Nr.2: Wären Sie so lange wie ich in der Politik tätig, würden Sie wissen, dass…

Nr.3: Ich hege natürlich große Sympathie für Ihren Vorschlag, aber ich sehe einfach nicht, wie wir das durch den Ausschuss bekommen sollen!

Nr.4: Ich sage Ihnen das ganz ehrlich, und Sie müssen auch sehen, dass ich in der Verantwortung, in der ich stehe, gar nicht anders kann, als…Kommen Ihnen solche Aussagen bekannt vor? Sie hören sich zunächst undurchdringbar an, sind aber relativ einfach auszuhebeln, wenn Sie sich nicht von rhetorischen Nebelwerfern einschüchtern lassen:Mit Killerphrasen wie dem ersten Satz (oder Formulierungen wie Das ist Quatsch! Sie haben doch keine Ahnung!) will man Sie als ernst zu nehmenden Gesprächspartner ablehnen. Warum sollten Sie das zulassen? Und warum versucht der Gesprächspartner, Sie so vehement loszuwerden? Eine sachliche Nachfrage, was an Ihrem Vorschlag von dem Gesprächspartner als schwer realisierbar angesehen wird, und Sie sind wieder im Boot.Zum Ausspielen von Alter/Erfahrung/Wissen (diese Technik wird von älteren Vereins- und Parteivorsitzenden immer wieder gern eingesetzt) wie im zweiten Satz, gehört immer jemand, der sich klein und unerfahren machen lässt.Doch Unerfahrenheit muss kein Nachteil sein, und ein Recht auf alleinige Entscheidungen der Erfahrenen gibt es dafür auch nicht. Mögliche Nachfrage Ihrerseits: «Was wäre denn mit Ihrer langjährigen Erfahrung Ihr Vorschlag, wie wir das Vorhaben umsetzen könnten?» – Und schon haben Sie den Gesprächspartner im Boot.Umarmungsstrategien wie in Beispiel drei hören sich erst einmal sehr positiv an, verschieben aber die Verantwortung an andere Stellen. Mit einer Nachfrage wie: «An welcher Stelle können Sie denn dann Ihren Einfluss auf unseren Vorschlag geltend machen?», nehmen Sie den Gesprächspartner beim Wort und schaffen sich vielleicht einen wirklichen Verbündeten.Kompliziert wird es eigentlich nur bei Vernebelungsstrategien wie im vierten Beispiel. Sie haben diesem Redner schon 15 Sekunden zugehört und immer noch keine Ahnung, worauf er mit seinem Satz hinaus will? Auf dieses Gefühl sollten Sie achten – und nicht etwa denken, dass es an Ihnen liegt, wenn das Gesagte unverständlich ist.Diese Strategie können Sie mit einfachen Nachfragen kontern: «Ich habe Sie nicht verstanden. Können Sie mir noch einmal in einfachen Worten erklären, welches Ihr Standpunkt ist?»

Dieser Artikel und weitere zum selben Thema sind zu finden unter: http://www.redenwelt.de/einzelansicht/tipp/wie-sie-sprechblasen-anpieksen.html
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Tipp
Hin Van Tran

Zweckentfremdete Comics

Comics der Situationistischen Internationale.

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1964 verschickte die Situationistische Internationale zweckentfremdete erotische Comics als Postkarten gegen die Diktatur von Franco nach Spanien. Die Situationisten haben die Texte bestehender Comics mit ihren Parolen ersetzt.

Patricia Schneider hat sich im Rahmen einer Arbeit zu der Situationistischen Internationale (1957–72) mit diesen Comics beschäftigt.

Verschiedene Comics aus «Leaving the 20th century: The Incomplete Work of the Situationist International».

Quelle: http://www.flickr.com/photos/didgebaba/sets/671958/with/29945360/

   

Mitte der 1950er Jahre entstand die Situationistische Internationale (S.I.), die frühzeitig einiges von dem theoretisch vorwegnahm, was später praktisch die 1968er-Bewegung kennzeichnen sollte: Eine radikal-moderne Infragestellung der kapitalistischen Gesellschaft. In den drei Jahren vor ihrer Auflösung 1972 sollte die S.I. wiederum zur schärfsten Kritikerin der Kurzatmigkeit jener Bewegung werden. Waren die SituationistInnen ursprünglich künstlerisch tätig, lösten sie sich von der Beschränkung auf diese Sphäre, weil sie eine «Verwirklichung der Kunst» nur im Umsturz der Gesamtheit der Verhältnisse für möglich sahen. Beeinflusst von Henri Lefèbvres «Kritik des Alltagslebens», von Dadaismus und Surrealismus unterzogen sie das Marxsche Werk, insbesondere die Frühschriften, einer intensiven Relektüre.

Weiter Informationen zur Situationistischen Internationalen unter: SI Revue

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Text
Ruth Littman, Galerie Bob Gysin

Tipp
Nadja Aebi

«Spuk» und «Der Rennschlaf» von Niklaus Rüegg

Humor und eine ausgesprochene Affinität zum Widersinnigen durchdringen das vielseitige Werk von Niklaus Rüegg. In seinen Gemälden verarbeitet Rüegg Bilder aus den Massenmedien und stellt deren vorgegebene Sinngebung in Frage, indem er ihre verkehrte, umgekehrte Bedeutung freilegt.

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Meist steht das «Verkehrte» in einer überraschenden Relation zum «Üblichen», «Normalen». So auch in seinen Tafeln, in denen er die Ästhetik von Comics Schritt für Schritt dekonstruiert und dabei den Handlungsablauf der zugrunde liegenden Geschichte in «Spuk» aufgehen lässt. Rüegg setzt sich seit Jahren mit Comics auseinander, die in der Pop Art einen zentralen Stellenwert einnehmen. In seinem Werkt «Der Rennschlaf» vollzieht der Künstler eine systematische «Entleerung» seiner Vorlagen und präsentiert eine Apotheose des Klischees.

Der Ausgangspunkt «Der Rennschlaf» bildet eine Comicgeschichte, die Rüegg künstlerisch nachgebildet hat. Das Neue an seiner Version dieser Geschichte besteht darin, dass sie von jeglichen Akteuren befreit ist und einzig die getreu imitierten Szenenwechsel wiedergibt. Auf zehn Blättern leuchten die schillernd bunten Bildsequenzen, die ohne Micky Mouse und Co. wie eingefroren wirken. Mit der Eliminierung der Protagonisten lenkt der Künstler die Aufmerksamkeit auf die sprunghafte Inszenierung der Handlungssequenzen. Bei der Durchsicht der Geschichte erscheint die Abfolge der Kulissen meist willkürlich. Die einzelnen Bilder werden selten durch eine kontinuierliche Blickführung, sondern meist durch spärlich wiederkehrende Motive und den wiederholt eingesetzten Farbtönen verbunden. Die Comic-Streifen sind ihrer eigentlichen Aufgabe, eine Geschichte zu illustrieren, enthoben und unter der Regie des Künstlers erlangen sie eine formale Eigenständigkeit, die den Blick auf die rasante Schnittfolge und die abstrakten Darstellungselemente lenkt. 

In seinen grossformatigen Acrylgemälden setzt Rüegg sein Projekt der Entleerung fort. Der plakative Stil der Comic-Strips mit seinen uniformen Flächen, der reduzierten Farbpalette und den schwarzen Konturen wird seines vielleicht prägnantesten Stilmerkmals beraubt: der leuchtenden Farben. Rüegg setzt seine Comicgeschichte in diverse Grautöne um und verstärkt so den Effekt der Ereignislosigkeit, der den einzelnen Bildsequenzen anhaftet. In der reproduzierten Comicgeschichte suggeriert die vorgegebene Abfolge der Blätter einen Handlungsablauf, auch wenn er formal und inhaltlich nicht länger nachvollziehbar ist. In konsequenter Fortführung seines Projektes und mit einer guten Portion Ironie will Rüegg die Geschichten, die sich in «Spuk» aufgelöst haben, in der Ausstellung nun neu «erzählen». und so bestimmt er nach freier Manier die Abfolge der grossen Bildtafeln, die jeweils eine Bildsequenz wiedergeben. Mit spielerischer Leichtigkeit verfremdet und variiert Rüegg die klassischen Comics von Walt Disney. In seinen klein- und grossformatigen Arbeiten zeigt er die idyllische Welt von Mickey Mouse sinnentleert und lässt sie in neuem Licht aufscheinen. 

© Copyright Ruth Littman, Galerie Bob Gysin

 

 

New York
New York
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Tipp
Hin Van Tran

Sharon Hayes – «In the Near Future»

«In the Near Future» ist eine performancebasierte Arbeit der amerikanischen Künstlerin Sharon Hayes, in welcher sie anachronistische und spekulative Protestaktionen inszeniert und mittels derer sie die Figur des Protestierers, den Sprechakt des Protestschildes und die zeitgenössischen politischen Konstruktion von öffentlichem Raum und Rede hinterfragt.

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Die Arbeit In the Near Future ist in vier verschiedene Abschnitte unterteilt, welche an Orten stattfinden, die eine aktuelle oder historische Bedeutung für die öffentliche Rede oder den öffentlichen Protest haben. Hierfür wählte Hayes vier Städte in der USA und Europa: New York, London, Warschau und Wien. Ein Publikum wurde eingeladen, um diese Aktionen zu dokumentieren. Manche der Plakate, die Hayes hält, stammen aus älteren Protestaktionen: »Ratify the E.R.A. Now!» «Who Approved the War in Vietnam?» «I Am A Man,» «Abolish H.U.A.C.». Weitere Schilder sind fiktional und wollen auf eine zukünftige Situation hindeuten oder auf Möglichkeiten, die schon in der Gegenwart exist- ieren: «Nothing Will Be As Before,» oder «The American President Might Have to Call in the National Guard to Put This Revolt Down.» Die performativen Aktionen aus In the Near Future sollen keine Wiederbelebungsversuche vergangener Proteste sein, sondern wirken vielmehr als eine Art Zitat, welches sowohl die Erinnerung eines vergangenen Protests, als auch die Möglichkeit eines zukünftigen bezeichnen.

In In the Near Future nutzt Hayes das kritische Potential der Performance und die Wiederaufnahme verschiedener historischer Reden und Ausdrucksformen, um unsere Teilnahme am gegenwärtigen politischen Diskurs – sowohl als Sprechende als auch Zuhörende – zu analysieren.

Sharon Hayes, 1970 in Baltimore geboren, lebt und arbeitet heute in New York. Sie studierte an der University of California, Los Angeles, wo sie ihren Masterabschluss machte, und nahm am Independent Study Programm des Whitney Museum of American Art teil. Sharon Hayes’ Arbeiten sind bekannt durch Ausstellungen wie der documenta 12 und in: Generali Foundation, Wien; P.S.1 Museum of Contemporary Art, New York; Museum Moderner Kunst (MUMOK), Wien; The Warhol Museum, Pittsburgh; Artists Space, New York; Art-in-General, New York; und New Museum of Contemporary Art, New York.

© Copyright by the artist Sharon Hayes and Tanya Leighton

 New York 

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Text
Jeff Sharlet

Inside Occupy Wall Street

How a bunch of anarchists and radicals with nothing but sleeping bags launched a nationwide movement.

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It started with a Tweet – «Dear Americans, this July 4th, dream of insurrection against corporate rule» – and a hashtag: #occupywallstreet. It showed up again as a headline posted online on July 13th by Adbusters, a sleek, satirical Canadian magazine known for its mockery of consumer culture. Beneath it was a date, September 17th, along with a hard-to-say slogan that never took off, «Democracy, not corporatocracy,» and some advice that did: «Bring tent.»

On August 2nd, the New York City General Assembly convened for the first time in Lower Manhattan, right by the market‘s bronze icon, «Charging Bull,» snorting in perpetuity. It wasn‘t the usual protest crowd. «The traditional left – the unions, the progressive academics, the community organizations – wanted nothing to do with this in the beginning,» says Marisa Holmes, a 25-year-old filmmaker from Columbus, Ohio, who was working on a BBC documentary called Creating Freedom, about why people rebel. «I think it‘s telling that, of the early participants, so many were artists and media makers.»

Even the instigators and architects present at the creation marvel at how things just happened. «It was a magic moment,» says Kalle Lasn, Adbusters‘ 69-year-old co-founder. «After that, things took on a life of their own, and then it was out of our hands.»

Adbusters‘ call to arms had been timid by the standards of the movement quickly taking form. The magazine had proposed a «worldwide shift in revolutionary tactics,» but their big ideas went no further than pressuring Obama to appoint a presidential commission on the role of money in politics. In Lasn‘s imagination, though, that would be just the start. «We knew, of course, that Egypt had a hard regime change where a torturous dictator was removed,» he says, «but many of us felt that in America, a soft regime change was possible.»

Possible, but not likely. They were still thinking in inches. «To be perfectly honest, we thought it might be a steppingstone, not the establishment of a whole thing,» says David Graeber, a 50-year-old anthropologist and anarchist whose teaching gig at Yale was not renewed, some suspect, because he took part in radical actions. It was Graeber who gave the movement its theme: «We are the 99 percent.» He also helped rescue it from the usual sorry fate of the left in America, the schisms and infighting over who‘s in charge. He had shown up at the August 2nd meeting thinking it was an Adbusters thing; he was surprised to find a rally dominated by the antiquated ideas of the Cold War left. «This is bullshit,» Graeber thought. He recognized a Greek anarchist organizer, Georgia Sagri, and with her help identified kindred spirits. «We looked around. I didn‘t recognize faces, everybody was so young. I went by T-shirts – Zapatistas, Food Not Bombs.» Anarchists in name or inclination. He calls them the «horizontal crowd» because they loathe hierarchy. «It was really just tapping on shoulders. And a lot of people said, ‚Shit, yeah.‘»

They set up a circle in a nearby park, dubbed it the New York City General Assembly and got down to talking about how they‘d pull off the occupation. They were inspired by something they‘d read on the Adbusters website, a quote from Spanish political theorist Raimundo Viejo, who was active in the revolts across Europe this year. «The anti-globalization movement was the first step on the road. Back then, our model was to attack the system like a pack of wolves. There was an alpha male, a wolf who led the pack, and those who followed behind. Now the model has evolved. Today we are one big swarm of people.»

But the reality was, they only numbered about 60 people. «You always fantasize,» says Graeber. «But at some level, you‘ve given up on thinking it‘s really going to work.» They had no money. And they were planning to take over one of the most heavily policed public spaces on the planet. «Everybody was talking about occupying Wall Street,» says Marina Sitrin, author of an oral history of revolution called Horizontalism. «Having been around NYPD for two decades, I kind of chuckled to myself and decided not to share what I thought at the time was a wise perspective, which is we should prepare for everybody to get arrested.» And that‘d be the end of it, another short, sharp chapter in the little-read book of the modern American left.

Adbusters had called for 20,000 bodies; only 2,000 showed up on September 17th. And maybe 100 of them slept over that first night in Zuccotti Park, a block-long granite plaza tucked between skyscrapers a couple of blocks from Ground Zero. The next night, there were a few more, and on Monday morning, they were still there. There was a police raid on Tuesday, and the little press the occupation got was mocking: The New York Times sent an entertainment reporter, who made fun of the protesters. In the days that followed, the few grew in numbers, a demographic that didn‘t conform to media clichés: a gritty spiral jetty of anarchist punks and out-of-work construction workers and teachers who sleep in the park and rise early to get to school. Cooks and nannies and librarians, lots of librarians, and Teamsters and priests and immigrants, legal and otherwise, and culture jammers, eco-warriors, hackers, and men and women in Guy Fawkes masks, an army of stunt doubles from V for Vendetta, all joined by young veterans of the Arab Spring and the revolts in Greece and Spain – actual revolutionaries who had overthrown dictators and made Western nations shake.

Now there are more than 1,600 occupations around the country and the world, some big, most small, some no more than one angry soul on the side of the road with a sign that says «We are the 99 percent.» They are in Boston, Los Angeles, Philadelphia, Chicago, Oakland, Seattle and Nashville; in London, in Sydney, in Cape Town, Tokyo and Sao Paulo. By November, Occupy Wall Street was serving more than 3,000 meals every day from its free kitchen, stocked mostly with donated food. At night, a rotating cast of as many as 500 bed down in the park, many of them using blankets and sleeping bags provided by the occupation. There‘s a library with some 4,500 cataloged volumes – everything from the Communist Manifesto to He‘s Just Not That Into You – an all-volunteer medical staff to provide free health care, a station that gives out hand-rolled cigarettes if you want them.

Six weeks in, when Marina Sitrin sat down to collect her thoughts about the movement she had helped start, words failed. So she began with a slogan – «my favorite chant, preferably sung: This is what democracy looks like.» The kind of thing you‘d hear shouted at every rally against a war or a law or a reactor for the past 20 years. But it wasn‘t true anymore. This isn‘t just what democracy looks like, say the occupiers, it‘s what it feels like. 

One of the basic premises of the Occupy movement is the idea that democracy exists for most Americans as little more than an unhappy choice between two sides of the same corporate coin. «We‘ve been so alienated from our own sense of agency that being asked to be part of any real decision is exciting,» a woman in her late thirties who calls herself Beatrix tells me. She‘s one of the old hands, close to the core of nearly every major radical action in New York of the past decade. So she‘s a little jaded, but even so, she‘s startled by what‘s happening: «Movements usually spend a lot of time on education, telling people why they need to come to the demonstration. This is exactly the opposite. The people came. Now we‘re all deciding together what happens.»

«Right off the bat I was addicted,» says Jesse LaGreca, sipping a beer at a fireman‘s bar near the park. Two hundred and fifty pounds, with wiseguy eyes and a permanent ruddy flush, LaGreca looks like he grew up on a bar stool in a place like this. He has a decade-plus of dead-end jobs behind him. The best was managing a L‘Occitane store in the West Village – $15 an hour, no health insurance. Lately, he‘s been making his living as a writer, posting deeply researched rants against the Republicans on the liberal blog Daily Kos and asking for donations. «You put up a ­Pay­Pal link and tell people, ‚Dude, I‘m fucked. Can you help me?‘» Just before heading down to Occupy Wall Street, he wrote a post called «If I light myself on fire, do you think these bastards will notice?» It was a tribute to Mohamed Bouazizi, the Tunisian fruit vendor who did just that, igniting the Arab Spring. LaGreca also asked for a MetroCard.

«I‘m not gonna lie,» LaGreca says. «First thing I saw at the park was the topless girls.» He knows how that sounds. «Can‘t help it, dude. But then I saw the food lines» – the Occupy Wall Street kitchen, feeding all comers – «and then I saw the books. I‘m a nerd, man. I read and read.» He dropped out of high school in the 11th grade, but continued his education on the job as a school janitor in New Jersey. «Read all of Thoreau, Emerson, Shakespeare. Read a lot of Dostoyevsky. I was a shitty janitor.»

So there were books, free food and women, but that wasn‘t what kept him there. «I see people talking. Everybody‘s talking, man, and I can talk, too.» He didn‘t just have a voice. He had amplification – the human microphone. On the fourth day of the occupation, a former science teacher named Justin Wedes was speaking to the crowd through a megaphone when a policeman threw him to the ground, the first of a series of rough arrests that morning. «Just to intimidate people,» recalls Graeber. One man‘s face was ground into a flower bed, another dragged, cuffed, until his hands bled, another left gasping, denied his inhaler. The cops moved in, citing a law prohibiting the use of electronic amplification. This turned out to be a lucky break: Without conventional means, the occupiers would have to figure out a new way to hear one another.

Sitrin, schooled in the factory takeovers of Argentina, which followed that country‘s economic collapse, had an ingenious solution: «the people‘s mic.» One person speaks, all repeat, the words rippling through the crowd. «Mic check!» it begins with a single voice. «Mic check!» thunders the assembly. It‘s absurd, its inherent humor and brevity undercutting the wordy earnestness that usually makes political meetings unbearable. «My concern»/»MY CONCERN»/»is deeper»/»IS DEEPER»/»than sleeping bags!»/»THAN SLEEPING BAGS!»

«Cops made a huge mistake,» says LaGreca. «The people‘s mic, it‘s such a unifying force. Almost like a choir. Like a modern religious revival. But it‘s a civil revival. Down here, we‘re becoming citizens.»

The people came. And then they stayed. Occupations are literally about refilling space – parks and plazas, a hollowed-out public sphere. That begins with bodies, accompanied by noise. Which is where the drums come in, bongos and tablas and tambourines and full drum kits with snares. In the beginning, the drummers drummed as long as their arms could flail, sometimes 12 hours a day. The noise was so loud it was like a wall on the western edge of the park. At first the drums were exciting, even if you weren‘t really a drum-circle kind of person, which most of the occupiers weren‘t. But then they got annoying. Like when you were trying to sleep. Or talk. Or hold a general assembly.

One of the first times the General Assembly asked the drummers to quiet down, they simply moved their drums farther down the park. Another time, the drummers said what they were doing was sacred; they‘d quiet down in a little while (they didn‘t). «This movement would not be here right now if we didn‘t do what we did, by playing all day,» a drummer boasted. One night they grew so rowdy, they began to drown out the General Assembly altogether. So the first order of democracy was to bring the drummers, many of whom did not want to stop drumming long enough to talk, into the assembly. A lot of them weren‘t interested. «Aggro» was the word you started hearing around the camp. «Scary» was another. What was to be done?

The drummers did it themselves, imperfectly but «horizontally,» through self-regulation rather than «vertical» rule imposed from above. They pulled themselves into a «working group,» one of the key units of organization in the occupation – there are 82 as of this writing and there will almost certainly be more tomorrow. The drummers called their group Pulse and agreed to lay down their sticks for a while to attend general assemblies.

«John» – that‘s all – a compact man, all taut vein and muscle, with a shock of wiry gray-black hair, spoke for Pulse one night, arms twitching in just a T-shirt on a cold evening. «We,» he said. «We,» the crowd said. «Want to respect you.» Back came the echo, a call-and-response through which everybody, apparently, respected everybody. But John wasn‘t satisfied. «But we want respect too!» he shouted bitterly. The drummers, he reminded the General Assembly, had restricted themselves to two-hour sessions, noon to two and four to six. But there was a move afoot to cut them back to only one two-hour drumathon. «We are the movement‘s heartbeat!» John shouted. «You‘re cutting out your heartbeat!»

To which another speaker, an earnest young woman named Linda, responded, «I have a clarifying question. How is it that one group can claim to be my heartbeat?»

The first night that I stayed at Zuccotti Park, bodies were laid out like tiles, head to toe, in circles and blocked out in squares and the occasional heap. There were street-sleeping pros, homeless and crusty punks, wrapped up in tarps, a few people on air mattresses with fluffy pillows. I didn‘t actually sleep. I paced among the tarp-covered bodies, sat on the steps, browsed the library, drank coffee from the food trucks open 24/7. The second night, after beers with LaGreca and a few other occupiers, I followed his friend Austin, a college dropout – a casualty of his student loans – who works with autistic children, to the Comfort Station for some bedding of my own. «We‘ll set you up on the margins,» said Austin. «That way you can get out if you need to.»

Twice I woke up. Once when a squat woman with dreads down to her knees shuffled by with a broom, a cleaning detail, and woke another sleeper, who stood up with his sleeping bag wrapped around him, stumbled, and gave up, letting it drop to reveal a sculpted body, naked but for dog tags. And a second time when a deranged man, top-heavy like a bulldog, punched the air above my head, daring anyone to take a shot at him. The occupation‘s security, thin-limbed men with walkie-talkies, spread their arms out like birds and surrounded him. «We love you, man,» they said, over and over, containing but never touching. Finally he fled; the scene was too strange for conventional crazy.

If Occupy is «semireligious,» which is how many at the park describe it, and «a spiritual insurrection,» in the words of Adbusters senior editor Micah White, then its rituals might be counted as these: First, occupation itself. Second, the General Assembly. Third, the kitchen and the food line. And finally, sleep, lying among your comrades, everyone vulnerable, everyone absurd, stretched out between the coffee trucks and the police cruisers, under the watchful eye of a mobile NYPD surveillance tower jacked up over a truck.

When I returned a week later, the scene had darkened. «It started with punks and nice academic anarchists and grad students and labor organizers,» said a journalist who‘d slipped into the movement. «Then it got really mainstream. But now it‘s like a circus.» The human mic wasn‘t as loud. The sanitation group threatened to strike. There were more signs that made no sense at all (my favorite: «Alligator Fuck Housed Me,» followed by a frowny face). There were suspicions of police infiltration and accusations of treason. And the people who ran the kitchen, confronted by street people in need of more care than a protest camp can provide and sometimes given to violence, revolted, serving only rice. They even proposed a fast. The other organizers would have none of it. «In this camp, the bullshit flows in certain directions sometimes,» said one participant at a daily coordinators‘ meeting, but that would be no excuse for starving anybody. «Everybody eats,» chimed in another coordinator. «Junkie or tourist, a donator or a worker – everybody eats.»

And then there were the tents. Zuccotti, renamed Liberty Plaza by occupiers, had become a tent city. For some people, the turning point occurred the night the drummers tried to drown out the people‘s mic at General Assembly, but I think it was the tents. They have proved to be one of Occupy Wall Street‘s most contentious issues. At the start of the protests, the rapper Lupe Fiasco donated 50 tents, but the police tore them down. In mid-October, members decided to try again, putting up a medical tent. Police moved in to dismantle it, but Jesse Jackson happened to be visiting the camp and put his body in the way. Cops on the scene got the word from on high that it wasn‘t worth it to try and arrest him. «Jesse threw down for us,» LaGreca says. Soon, the park at night was filled with the clickety-click of tent legs crackling into assembly.

With the tents came a new kind of territory: turf, even private property. The park‘s sobriety, an agreed-upon principle, began to erode. The police reportedly started directing street people to the park but refused to help when some got out of control. «You‘ve got a right to express yourself,» went the cop‘s refrain. «He‘s got a right to express himself.» Junkies came and then the people who supply them. Some tents became shooting galleries. Rumors began to circulate – that there‘d been a stabbing, that someone was running around with an AIDS-infected needle, that the hacker group Anonymous had a plan to destroy the credit ratings of the cops. A man who worked in the kitchen was arrested for sexual assault.

By late October, there were three levels of internal security. The kitchen closed at eight. The 24/7 library rolled up around midnight. Liberty Park is a city now, and it has hours. There‘s even a town-planning committee that has held meetings at 16 Beaver Street, in an oddly shaped room with a movie screen and a grand piano.

But here‘s the thing: Anyone can still join. It‘s another old protest slogan metamorphosed. «Whose streets?» would go the call. «Our streets,» came the reply. Now it‘s personal. Whose city? Your city, there for the making. All you have to do is show up.

Reporters keep sniffing around for leaders, but while it‘s true that the movement has spawned celebrities – like LaGreca, who lambasted a Fox News reporter in a YouTube clip that went viral – its resistance to organized leadership has proved enduring. Kalle Lasn is simply watching in awe from his home in Vancouver. David Graeber left for Austin four days after the occupation started. Marina Sitrin stays active in the legal team dedicated to working with Occupy Wall Street‘s arrestees (there have been almost 1,000 arrests in New York and more than 3,000 movementwide, as of this writing), but she‘s far enough removed from the action that LaGreca has never heard of her, just as the thousands who have joined the camp for a night have never heard of him, either. The evasion of organized leadership that for many began as a tactic – leaders are targets and weak links, subject to prosecution and co-option – has now grown into a principle.

Which left the biggest questions – What is Occupy trying to say, and who will be its voice? – with no conventional answers. The press found this maddening. It «doesn‘t really take you to a particular bumper-sticker action,» declared a puzzled Gerald Seib at The Wall Street Journal – he couldn‘t imagine any other worthwhile outcome. Even some within the movement have their doubts. «You don‘t seriously believe this is a leaderless movement, do you?» Cecily McMillan, a 23-year-old graduate student at the New School, asks me one day. Not possible, she says, that‘s an illusion crafted by the OWS secret elite, who she insists are unresponsive to the demand for a concrete agenda by the «actual 99 percent.»

McMillan is Northeast regional organizer for the youth section of the Democratic Socialists of America, which bills itself as the largest socialist organization in the United States. She‘s been involved with the Occupy movement since August, despite sharp differences with most of the people in the park. «I believe in a constrained view of revolution,» she says, by which she means putting pressure on mainstream politicians. And for this, she says, she has suffered. «I have been called a terrorist. I have been called CIA, FBI. I have been called a Democrat!» Like Lasn, she wants regime change. Unlike most of the occupiers, she believes it requires the guidance of those, like her, possessed of what she calls «cultural capital.»

She‘s a former cheerleader; she used to want to be a politician. She says her studies and her work – she‘s also a nanny – prevent her from sleeping in the park. But she‘s not afraid to put her body on the line. She was arrested after she charged Wall Street three times, a «direct action» that even some veteran anarchists – militant and masked – considered wildly courageous, if foolish. A cop thought so, too, blasted her with pepper spray, knocked her down, stepped on her head and snarled at her, «Shut up. You get what you deserve, cunt bitch.»

We met in the atrium of 60 Wall Street, built in 1989 as a headquarters for JP Morgan and sold to Deutsche Bank right after 9/11. It looks like a bad Italian restaurant – white-tiled columns, mirrored ceiling, a grotto, stunted palms. This is where many of the movement‘s working groups meet. At any given time there might be a half-dozen of them – the People‘s Kitchen, Alternative Banking, Tactics, Medics, Sanitation. McMillan had just come from a gathering of one of the biggest and most influential groups, Facilitation, responsible for setting the agenda of the daily General Assembly. She was there as the least bristly representative of the working group that bluntly calls itself Demands, and her first demand was a place on the agenda, which she claimed had been denied by «infiltrators.» She wasn‘t talking about police; she meant other occupiers opposed to her ideas.

The question of demands, in all their variety – whether to make them, when to make them, what to demand – is a peculiar one in that it‘s at the heart of the national occupation debate, and yet mostly irrelevant to the occupiers at Wall Street. Their demand is simply for a better world, which, as far as they‘re concerned, they‘ve already started building. So to say that McMillan‘s group didn‘t have broad support would be kind. The divide in the park might be better expressed as between those who didn‘t believe that the demands group even counted as a part of the occupation, and those willing to let them propose their demands before shooting them down.

McMillan seems to see her role as an underground leader almost as a genetic birthright. «My grandfather is Harlon Joye,» she told me almost immediately and emphasized several times across a number of conversations. «He drafted the SDS constitution» – as in, Students for a Democratic Society, one of the key organizations of 1960s revolt. She sees herself as giving «a voice to the voiceless.» To do that, she says, the movement needs concrete demands. Any demands. The demand at which the group arrived – «Jobs for All,» meaning a public-works program providing 25 million union-wage jobs – was not her first choice. But McMillan‘s will did not matter – she was a servant of «the workers.»

While we were talking, a tall, beautiful woman with olive skin and a black leather coat was giving me the eye. The evil one. She was part of a little squad of four that became a nucleus around which more gathered, until they became about a dozen, and that‘s when they surrounded me, close up, cutting me off from McMillan. They were, I learned, a «swarm,» and they were performing an «intervention.» On me.

«We were hearing there‘s a Rolling Stone interview about demands,» said a longhaired man in shorts and only wool socks on his feet, a leaf pinned to his sleeve.

«We‘re actually just talking about my history?» said McMillan.

«There‘s been a lot of issues with the demands,» no-shoes said, ignoring McMillan. «As well as the kind of press we‘re getting. The place we‘re in now, as a movement, is actually slaying co-opters. Any political, ideological co-optation of the movement.»

«That‘s actually where our conversation started,» said McMillan.

«Right. But a lot of people see the discussion coming from the groups you‘ve been working with.» He mimed out the problem with his hands, one socked foot balancing on the other. «Demands are pretty much speaking for the whole group.»

«All we want is a voice,» McMillan said.

Next to her, a small pale woman with a quiet face and quick eyes tilted a shoulder away from McMillan and declared to me and the rest of the swarm, «I want to be clear. We can have a voice without having demands.» She was Marisa Holmes, the filmmaker who‘d been there since the beginning. She seemed egoless, her confidence precise.

From there, the conversation devolved into a dense thicket of the intricacies of process. What is consensus? Where‘s the threshold? 90 percent? 75 percent? 80 percent? At issue were reports that McMillan had attempted to strong-arm decisions based on a simple majority vote. McMillan seemed frustrated by the accusation, which she couldn‘t quite deny. Two months ago, she was a perfect organizing machine – disciplined, articulate, working-class roots with a grad-school veneer. But she was discovering she didn‘t function as well on the new terrain of the occupation, where the traditional methods of the left no longer meant as much as they once had. She had no idea that providing «a voice for the voiceless» was not a service in demand in a movement built on the idea that everyone can speak for themselves. To her, the occupation was a symbol more than a community. When we walked by the camp later that night she seemed surprised: «They have tents now?»

Almost everyone you meet in the park will tell you some variation of one thing. They aren‘t doing this for 2012, they don‘t want to go to Washington, they don‘t care what Congress or The New York Times or Bill Maher or Kanye West thinks of them. They aren‘t trying to provide a voice for the voiceless. They are doing it for themselves, and they speak for no one but themselves. They are the 99 percent; so am I, so are you. Make your own demands if you want to.

Late one night, I met a woman named Elisa Miller at the Occupy Library. It was 2 a.m., and people were still up talking, a group of four Hasidic Jews sitting on the broad steps of the park‘s shallow stone bowl, singing quiet Hebrew harmony around a soft guitar. Miller, a 38-year-old former landscape architect who took a bus up from New Orleans, had been in the park since the beginning. She said she hadn‘t really laughed since Katrina: «We‘ve been occupying New Orleans for six fucking years.» But something had changed. She had long straight brown hair and the loose rubbery gestures of someone who‘s exhausted and yet glad to be awake. «You come here with what you‘ve been OCD‘ing about,» she said. «First day, you‘ve got a sign: ‚Tax the rich!‘ And it‘s, like, sure, that‘s a good idea. But then you‘re here for a couple of days, you work in the kitchen or in the library, you speak up when you want to, and you get to thinking, here‘s exactly what you need. You can march if you want to, but here?» She turned a circle, sweeping it all in, cops included. «This is where we‘re rebooting history.»

So it seemed on my last day at Liberty Plaza, the Sunday following last month‘s freak snowstorm. «What will happen in the winter?» has been a refrain almost as incessant as the drumming. The answer, of course, is that nobody knows. Nobody has «known» anything that would happen so far. Maybe they will endure; maybe they will retreat; maybe Mayor Bloomberg will, like the mayors of Oakland and Denver, attack with gas and horses. «Subzero sleeping bags» are a topic of constant conversation, three words murmured or proclaimed with defiance and shivers. The morning after the big snow, I expected to find the occupiers blue-lipped and worried. Right before the storm, the city had confiscated their generators, used for emergency heat, among other things, and the bicycle-powered batteries they‘d been building for just such a contingency were not yet ready to pedal. The wet snow collapsed tents, and the wind blew away tarps and signs and extra clothing. Copies of the Occupied Wall Street Journal whipped up into the night and plastered sidewalks.

But as I made my way to the park the next morning, the camp was sparkling. The snow had melted, tents clean, books dry, jeans strung on clotheslines. The kitchen was serving up roast turkey for all comers. And they came from everywhere, occupiers and street people and tourists, drawn, like me, to what they‘d thought would be a scene of disaster. Some of the tourists picked up signs. «I guess I am the 99 percent,» said an electrical engineer from New Jersey. An elegantly dressed white-haired woman leapt at a chance to work in the kitchen: «I can do that,» she declared. Another woman brought a bag of helium-filled yellow balloons. The drummers, led by a dark-skinned man whose face was hidden by a green bandanna, sounded energized, as if the night‘s cold had taught them all a new, less angry rhythm, like they were laughing behind their bandannas. That night, the General Assembly would be dedicated to a battle over demands; but that morning, the first of what will likely be a long and hard winter at Liberty, was a reprieve, a fantasy, a multitude, an imaginary city raising its flags. 

Artikel erschienen in: Rolling Stone Magazine
Copyright © 2012 Rolling Stone; Jann S. Wenner, editor and publisher

 

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Text
Lera Boroditsky

Wie die Sprache das Denken formt

Pormpuraaw ist eine kleine Siedlung der Aborigines am Westrand der Halbinsel Cape York in Nordaustralien. Ich bitte ein fünf Jahre altes Mädchen, nach Norden zu zeigen. Ohne zu zögern, deutet sie in eine bestimmte Richtung. Mein Kompass bestätigt: Sie hat Recht.

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Nach meiner Rückkehr in die USA stelle ich dieselbe Frage in einem Hörsaal der Stanford University. Vor mir sitzen angesehene, mehrfach ausgezeichnete Gelehrte; manche besuchen seit 40 Jahren Vorträge in diesem Saal. Ich bitte sie, die Augen zu schließen und nach Norden zu zeigen. Viele weigern sich, weil sie keine Ahnung haben, wo Norden liegt. Die Übrigen denken eine Weile nach und deuten dann in alle möglichen Richtungen. Ich habe diesen Versuch nicht nur in Harvard und Princeton wiederholt, sondern auch in Moskau, London und Peking – stets mit demselben Resultat.

Eine Fünfjährige aus einer bestimmten Kultur bringt ohne Weiteres etwas fertig, was angesehene Forscher einer anderen Kultur überfordert. Was ist der Grund für die höchst unterschiedliche kognitive Fähigkeit? Die überraschende Antwort lautet: die Sprache. Die Idee, dass Sprachunterschiede die Kognition beeinflussen, ist an sich jahrhundertealt; in Deutschland vertraten sie vor allem Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Wilhelm von Humboldt (1767–1835). Seit den 1930er Jahren wird sie oft den amerikanischen Linguisten Edward Sapir (1884–1939) und Benjamin Lee Whorf (1897–1941) zugeschrieben. Die beiden untersuchten die Grammatik nordamerikanischer Indianer und mutmassten: Wenn Menschen grundverschieden sprechen, dann denken sie auch unterschiedlich.

Zwar fand die Idee zunächst grossen Anklang, doch empirische Belege fehlten fast völlig. In den 1970er Jahren verblasste der Ruhm der Sapir-Whorf- Hypothese. Sie wurde fast völlig zu Gunsten einer neuen Theorie aufgegeben, der zufolge Sprache und Denken universelles menschliches Gemeingut sind. Doch nun, Jahrzehnte später, liegen endlich überzeugende Indizien dafür vor, wie Sprache das Denken formt. Sie stürzen das lange herrschende Dogma von den Sprachuniversalien und liefern faszinierende Erkenntnisse über den Ursprung des Wissens und die Konstruktion der Wirklichkeit.

Der Einfluss der Wörter

Rund um den Globus kommunizieren Menschen miteinander auf vielfältige Weise, und jede der schätzungsweise 7000 Sprachen verlangt von denen, die sie verwenden, ganz unterschiedliche Leistungen. Angenommen, ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich Anton Tschechows Drama «Onkel Wanja» auf einer Bühne in der 42. Strasse New Yorks gesehen habe. Auf Mian, das in Papua-Neuguinea gesprochen wird, würde das Verb aussagen, ob das Stück soeben, gestern oder vor langer Zeit gespielt wurde. Das Indonesische dagegen gibt damit nicht einmal preis, ob die Aufführung bereits stattfand oder noch bevorsteht. Auf Russisch enthüllt das Verb mein Geschlecht. Wenn ich Mandarin verwende, muss ich wissen, ob Onkel Wanja ein Bruder der Mutter oder des Vaters ist und ob er blutsverwandt oder angeheiratet ist, denn für jeden dieser Fälle gibt es einen speziellen Ausdruck.

Tatsächlich besagt die chinesische Übersetzung eindeutig, dass Wanja ein Bruder der Mutter ist. Und mit Pirahã, einer in Amazonien beheimateten Sprache, könnte ich «42. Strasse» gar nicht ausdrücken, weil es darin keine exakten Zahlwörter gibt, sondern nur Bezeichnungen für «wenige» und «viele». Sprachen unterscheiden sich auf unzählige Arten voneinander, aber das muss nicht automatisch heissen, dass die Sprecher auch unterschiedlich denken. Lange war unklar, ob der Gebrauch von Mian, Russisch, Indonesisch, Mandarin oder Pirahã wirklich zu jeweils eigenen Wahrnehmungen, Erinnerungen und Überlegungen führt. Doch zahlreiche Forschungen – unter anderem in meinem Labor – haben inzwischen gezeigt, dass die Sprache sogar die grundlegenden Dimensionen menschlicher Erfahrung prägt: Raum, Zeit, Kausalität und die Beziehung zu anderen.

Kehren wir nach Pormpuraaw zurück. Anders als Englisch oder Deutsch enthält die dort gesprochene Sprache Kuuk Thaayorre keine relativen Raumausdrücke wie links und rechts. Wer Kuuk Thaayorre spricht, gebraucht absolute Hauptrichtungen wie Norden, Süden, Osten, Westen und so weiter. Zwar geschieht das auch im Deutschen, aber nur bei grossen Entfernungen. Wir würden beispielsweise nie sagen: «Diese Banausen platzieren die Suppenlöffel südöstlich von den Gabeln!» Doch auf Kuuk Thaayorre werden immer Himmelsrichtungen verwendet. Darum sagt man etwa «Die Tasse steht südöstlich vom Teller» oder «Der südlich von Maria stehende Knabe ist mein Bruder». Um sich in Pormpuraaw verständlich auszudrücken, muss man daher immer die Windrose im Kopf haben.

Raum- und Zeitvorstellungen

In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben Stephen C. Levinson vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nimwegen (Niederlande und John B. Haviland von der University of California in San Diego nachgewiesen, dass Menschen, die Sprachen mit absoluten Richtungen verwenden, auffallend gut in unbekannten Gegenden oder Gebäuden zurechtkommen. Sie orientieren sich besser als Personen, die dort zu Hause sind, aber nicht solche Sprachen sprechen – ja sogar besser, als die Forscher dies für menschenmöglich gehalten hatten.

Die Erfordernisse dieser Sprachen erzwingen und trainieren demnach eine erstaunliche kognitive Fertigkeit. Wer anders über den Raum denkt, hat vielleicht auch eine andere Zeitvorstellung. Meine Kollegin Alice Gaby von der University of California in Berkeley und ich legten daher Kuuk Thaayorre sprechenden Aborigines Bildfolgen vor, die Zeitabläufe zeigten: Ein Mann altert, ein Krokodil wächst, eine Banane wird verspeist. Dann baten wir sie, die durchmischten Fotos zeitlich zu ordnen. Wir führten den Test je zweimal durch, wobei die Person jedes Mal in eine andere Himmelsrichtung schaute. Jemand, der englisch oder deutsch spricht, ordnet die Bilder so, dass die Zeit von links nach rechts fortschreitet. Hebräisch oder arabisch Sprechende legen die Karten eher von rechts nach links.

Dies zeigt, dass die Schreibrichtung beeinflusst, wie wir Zeit organisieren. Doch die Aborigines sortierten die Karten weder grundsätzlich von links nach rechts noch umgekehrt, sondern stets von Osten nach Westen. Wenn die Testperson so sass, dass sie nach Süden schaute, verliefen die Karten von links nach rechts. Schaute sie nach Norden, ordnete sie die Bilder von rechts nach links. Hatte die Person Osten vor sich, lief die Kartenfolge auf den Körper zu, und so weiter. Dabei sagten wir den Probanden nie, welche Himmelsrichtung sie vor sich hatten – die Aborigines wussten das ohnehin.

Zeit wird je nach Kultur ganz unterschiedlich dargestellt: Wir zum Beispiel betrachten die Zukunft als «vorn» und die Vergangenheit als «hinten». Im Jahr 2010 entdeckte Lynden Miles von der University of Aberdeen (Schottland), dass englisch Sprechende unwillkürlich ihren Körper vorwärtsneigen, wenn sie an die Zukunft denken, und rückwärts bei Gedanken an die Vergangenheit. Aymara, eine in den Anden verbreitete indigene Sprache, verlegt die Vergangenheit dagegen nach vorne und die Zukunft nach hinten. Dem entspricht auch die Körpersprache: Wie Raphael Núñez von der University of California in San Diego und Eve Sweeter von der University of California in Berkeley 2006 feststellten, deuten die Aymara vor sich, wenn sie über die Vergangenheit reden, und hinter sich, wenn sie die Zukunft meinen.

Fassetten der Erinnerung

Die Sprache beeinflusst auch, wie Menschen Ereignisse beschreiben – und wie gut sie sich daran erinnern, wer was getan hat. Vorgänge darzustellen ist stets kompliziert, selbst wenn sie nur Sekundenbruchteile dauern, denn wir müssen sie rekonstruieren und deuten. Nehmen wir als Beispiel den Jagdunfall, bei dem der frühere US-Vizepräsident Dick Cheney seinen Freund Harry Whittington verletzte. Man könnte sagen «Cheney schoss auf Whittington», wobei Cheney die unmittelbare Ursache ist, oder «Whittington wurde von Cheney angeschossen», wodurch Cheney etwas in den Hintergrund tritt, oder «Whittington bekam eine Schrotladung ab», wobei Cheney ganz aus dem Spiel bleibt. Der Vizepräsident selbst sagte: «Letztlich bin ich derjenige, der den Abzug betätigte, welcher die Ladung abfeuerte, die Harry traf.» Damit stellte er eine lange Ereigniskette zwischen sich und das Resultat.

Eine noch raffiniertere Reinwaschung gelang Präsident George Bush mit dem Ausspruch: «Er hörte eine Wachtel auffliegen, drehte sich um, drückte ab und sah, dass sein Freund verwundet war.» Der Satz verwandelt Cheney vom Täter zum blossen Zeugen. Unsere Öffentlichkeit lässt sich von solchen sprachlichen Tricks allerdings kaum beeindrucken, denn Passivkonstruktionen wirken ausweichend – typisch für Drückeberger und Politiker. Wir bevorzugen sogar für ein Missgeschick meist aktive Transitivkonstruktionen wie «Hans zerbrach die Vase». Hingegen erwähnt man im Japanischen oder Spanischen den Verursacher eher ungern. Auf Spanisch sagt man lieber «Se rompió el florero», was übersetzt heisst: »Die Vase zerbrach sich.« Wie meine Studentin Caitlin M. Fausey und ich 2010 herausgefunden haben, beeinflussen solche linguistischen Unterschiede die Rekonstruktion von Ereignissen, was beispielsweise Konsequenzen für Zeugenaussagen hat. Wir liessen englisch, spanisch und japanisch sprechende Personen Videos betrachten, auf denen zwei Männer entweder absichtlich oder unabsichtlich Luftballons zerstachen, Eier zerbrachen und Getränke verschütteten. Später mussten die Versuchspersonen einen Gedächtnistest bestehen. Für jedes Ereignis, das sie beobachtet hatten, sollten sie den Täter identifizieren – wie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung. Eine andere Gruppe von englisch, spanisch und japanisch sprechenden Personen beschrieb dieselben Vorkommnisse.

Was kam dabei heraus? Vertreter aller drei Sprachen beschrieben absichtliche Ereignisse aktiv – etwa «Er zerstach den Ballon» –, und alle erinnerten sich im Mittel gleich gut daran, wer diese Taten begangen hatte. Das zeigte auch, dass keine der Gruppen ein grundsätzlich schlechteres Gedächtnis aufwies. Doch wenn es um unabsichtliche Missgeschicke ging, ergaben sich deutliche Unterschiede. Spanisch und japanisch Sprechende waren weniger geneigt als englisch Sprechende, die Unfälle aktiv zu beschreiben – und sie erinnerten sich auch schlechter an die Verursacher.

Darüber hinaus beeinflusst die Struktur einer Sprache auch, wie leicht es ist, etwas Neues zu lernen. Zum Beispiel geben die Zahlwörter in manchen Sprachen die Dezimalstruktur eingängiger wieder als im Englischen, Deutschen oder Französischen; so gibt es im Mandarin keine Ausnahmen wie 11 oder Zifferndreher wie 13 oder 21. Darum lernen chinesische Kinder schneller, mit dem Dezimalsystem umzugehen. Und: Je nachdem, wie viele Silben die Zahlwörter haben, fällt es leichter oder schwerer, eine Telefonnummer zu behalten oder Kopfrechnungen auszuführen.

Von der Sprache hängt sogar ab, wie schnell Kinder herausfinden, ob sie Jungen oder Mädchen sind. Im Jahr 1983 verglich Alexander Guiora von der University of Michigan in Ann Arbor drei Gruppen von Kindern, die Hebräisch, Englisch oder Finnisch als Muttersprache hatten. Das Hebräische bezeichnet das Geschlecht ausgiebig – sogar das Wort «du» variiert dementsprechend –, Finnisch macht keine solchen Unterschiede, und Englisch liegt dazwischen. Dementsprechend finden hebräische Kinder ihr eigenes Geschlecht rund ein Jahr früher heraus als finnische; englische nehmen diesbezüglich einen Mittelplatz ein.

Was formt was?

Aber rufen nun Sprachunterschiede unterschiedliches Denken hervor – oder ist es eher umgekehrt? Wie sich zeigt, trifft beides zu: Unsere Denkweise prägt die Art, wie wir sprechen, aber der Einfluss wirkt auch in der Gegenrichtung. Bringt man Menschen zum Beispiel neue Farbwörter bei, verändert dies ihre Fähigkeit, Farben zu unterscheiden. Lehrt man sie, auf eine neue Weise über Zeit zu sprechen, so beginnen sie, anders darüber zu denken. Man kann sich der Frage auch anhand von Menschen nähern, die zwei Sprachen fliessend sprechen. Nachweislich ändern bilinguale Personen ihre Weltsicht je nachdem, welche Sprache sie gerade verwenden. Wie zwei Studien 2010 zeigten, hängen sogar grundlegende Vorlieben und Abneigungen von der Sprache ab, in der danach gefragt wird.

Teams um Oludamini Ogunnaike an der Harvard University sowie um Shai Danziger an der Ben-Gurion University of the Negev (Israel) studierten arabisch-französische Bilinguale in Marokko, spanisch-englische Zweisprachler in den USA und arabisch-hebräische in Israel. Dabei testeten sie die unausgesprochenen Neigungen der Teilnehmer. Beispielsweise forderten sie arabisch-hebräische Zweisprachler auf, unter verschiedenen Bedingungen auf Wörter mit einem schnellen Knopfdruck zu reagieren. Die Teilnehmer einer Gruppe sollten «M» drücken, sobald sie einen jüdischen Namen wie «Yair» oder eine positive Eigenschaft wie «gut» oder «stark» sahen bei einem arabischen Namen wie «Achmed» oder einem negativen Wort wie «schlecht» oder «schwach» sollten sie «X» drücken. Bei anderen Probanden wurde die Paarung vertauscht, so dass nun jüdische Namen und negative Eigenschaften denselben Knopfdruck verlangten, während arabische Namen und positive Bewertungen zusammengehörten. Die Forscher massen, wie schnell die Teilnehmer unter den beiden Bedingungen reagieren konnten. Diese Aufgabe dient dazu, unwillkürliche oder automatische Voreingenommenheiten zu messen: etwa, wie selbstverständlich positive Eigenschaften und bestimmte ethnische Gruppen im Kopf der Leute zusammengehören. Je besser für die Menschen die beiden Vorstellungen harmonierten, bei denen sie auf denselben Knopf drücken sollten, desto schneller erfolgte die Reaktion.

Überraschenderweise verschoben sich bei den Zweisprachlern diese unwillkürlichen Vorurteile je nach der Sprache, in der die Tests durchgeführt wurden. Wenn die arabisch-hebräischen bilingualen Teilnehmer auf Hebräisch getestet wurden, zeigten sie gegenüber Juden eine positivere Grundhaltung als bei den gleichen Tests auf Arabisch. Anscheinend spielt die Sprache eine viel grössere Rolle für unser geistiges Leben, als die Wissenschaftler früher annahmen.

Selbst wenn Menschen einfache Aufgaben lösen – etwa Farbflecken unterscheiden, Punkte auf einem Bildschirm zählen oder sich in einem kleinen Raum orientieren –, brauchen sie die Sprache. Wie meine Kollegen und ich herausgefunden haben, sinkt die Fähigkeit, solche Aufgaben auszuführen, wenn man den Zugriff auf die Sprachfertigkeit einschränkt. Dies lässt sich bewerkstelligen, indem man die Versuchsperson zugleich mit einer anspruchsvollen verbalen Aufgabe wie dem Wiederholen einer Nachrichtensendung konfrontiert.

All diesen Forschungsergebnissen zufolge wirken die Kategorien und Unterscheidungen, die in speziellen Sprachen existieren, stark auf unser geistiges Leben ein. Was die Forscher «Denken» nennen, ist offenbar in Wirklichkeit eine Ansammlung linguistischer und nichtlinguistischer Prozesse. Demnach dürfte es beim Erwachsenen kaum Denkvorgänge geben, bei denen die Sprache keine Rolle spielt. Ein Grundzug menschlicher Intelligenz ist ihre Anpassungsfähigkeit – die Gabe, Konzepte über die Welt zu erfinden und so abzuändern, dass sie zu wechselnden Zielen und Umgebungen passen.

Eine Folge dieser Flexibilität ist die enorme Vielfalt der Sprachen. Jede enthält eine Art und Weise, die Welt wahrzunehmen, sie zu begreifen und mit Bedeutung zu füllen – ein unschätzbarer Reiseführer, den unsere Vorfahren entwickelt und verfeinert haben. Indem Wissenschaftler erforschen, wie die Sprache unsere Denkweise formt, enthüllen sie, wie wir Wissen erzeugen und die Realität konstruieren. Diese Erkenntnis wiederum hilft uns zu verstehen, was uns zu Menschen macht.

Quelle: www.spektrum.de/alias/linguistik/wie-die-sprache-das-denken-formt/1145804
Bibliografie:
Boroditsky, L., Gaby, A.: Remembrances of Times East: Absolute Spatial Representations of Time in an Australian Aboriginal Community. In: Psychological Science 21, S. 1635 – 1639, 2010
Danziger, S., Ward, R.: Language Changes Implicit Associations between Ethnic Groups and Evaluation in Bilinguals. In: Psychological Science 21, S. 799 – 800, 2010
Fausey, C. M. et al.: Constructing Agency: The Role of Language. In: Frontiers in Cultural Psychology 1, Artikel 162 (online), 2010
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Essay
José van Dijck

Sign Here! Handwriting in the Age of New Media

«WRITING THE SELF: OF DIARIES AND WEBLOGS» is an essay by José van Dijck, professor of Comparative Media Studies at the University of Amsterdam, published in the book «SIGN HERE! HANDWRITING IN THE AGE OF NEW MEDIA»

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A cartoon that recently appeared in a Dutch newspaper shows a man and a woman lying in bed, smoking a cigarette apparently after having sex. «Do you keep a diary?» the man asks his partner, and upon her response of «no», he comments: «Good. I don’t like it when a woman immortalizes her intimate experiences with me on paper». In the last frame, we see the woman sitting behind a computer screen and typing «Dear weblog…», while the man snores away on the bed behind her. In this short cartoon, we can detect a number of preconceived notions about diaries and weblogs, but the clue to this joke is the paradox that a weblog is not considered a digital equivalent of the diary and yet it is. more

 

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Interview
Stefan Wagner

«Painting Manifesto» von Christian Vetter

Interview von Stefan Wagner mit Christian Vetter erschienen in Artcollector 4, 2011 

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Stefan Wagner: Vor einiger Zeit hast du ein «Painting Manifesto» verfasst. Ging es dir darum, das Verhältnis von Zeichen und Gegenständen in der Malerei zu klären?

Christian Vetter: In erster Linie wollte ich mit Schrift arbeiten. An der Sprache interessiert mich, dass es eine Referenz gibt, ohne dass das Zeichen in einem formalen Bezug zum Gegenstand steht. Ich setze Schrift in der Malerei so ein, dass sie das Wort – oder den Gegenstand, auf den sie sich bezieht – nicht unbedingt preisgibt. Ich wollte hingegen auch nicht gänzlich referenzlos arbeiten, weil die Arbeit sonst Gefahr läuft, beliebig zu werden.

Stefan Wagner:Was meinst du mit beliebig?

Christian Vetter: Malerei wird zum Formalismus, wenn sie Aussagen vermeidet. Ursprünglich komme ich aus der gegenstandslosen Malerei, was mir jedoch lange Zeit unbehaglich war. Jetzt befinde ich mich an einem Punkt, wo ich nach einem langen Umweg über die figurative Malerei wieder zur Gegenstandslosigkeit zurückkehre, aber mit einem erweiterten Werkbegriff. Anfänglich war das Manifest lediglich eine sprachliche Reflexion, eine vorläufige Definition von Malerei, die ich in Form eines Texts auf Papier verfasste. Als Maler bin ich aber mehr daran interessiert, den Diskurs innerhalb der Malerei selbst zu führen, weshalb ich den Text wieder zum Bild machen wollte. Erst nach der Rückführung meiner Überlegungen in die Malerei, wählte ich den Titel «Painting Manifesto». Ganz wörtlich verstanden ist der Werkkomplex also eine Manifestation von Malerei und keine Proklamation.

Stefan Wagner: Was sind die Referenzpunkte, die über das Manifest hinausweisen?

Christian Vetter: In einem weiten Sinn verstehe ich Malerei als Sprachform. Sie kann also als Werkzeug dienen, um Fragen zu behandeln, die das In-der-Welt-Sein des Menschen betreffen. Malerei ist für mich nicht nur Selbstzweck.

Stefan Wagner: «Painting Manifesto» besteht aus 33 einzelnen Bildern. Wie stehen diese zueinander?

Christian Vetter: Man kann das Werk, wie ich es in der Galerie Yvon Lambert in New York gemacht habe, als Block hängen oder linear. Auch ein einzelnes Bild aus der gesamten Menge kann für sich stehen.

Stefan Wagner: Folglich gibt es keine beabsichtigte Reihenfolge?

Nein, eine solche gibt es nicht. Je nach Hängung entwickeln sich neue Bedeutungen. Deshalb wählte ich das Medium Bild. Bilder lassen Mehrdeutigkeiten zu. Mit der Malerei kann ich Widersprüche erzeugen. «Painting Manifesto» ist nicht auf eine umfassende oder abschliessende Aussage angelegt.

Stefan Wagner: Auf den Bildern finden sich einzelne Wörter aber auch Sätze. Zum Beispiel «Vanity» oder «I’m not your mirror». Beziehen sich diese auf Theorien oder kunsthistorische Motive?

Christian Vetter: In «I’m not your mirror» steckt meine Beschäftigung mit der Frage, inwiefern Bilder eine Spiegelfunktion einnehmen.

Stefan Wagner: Allenfalls wie es Jacques Lacan in seinem Begriff des Spiegelstadiums andeutet, als Moment der Selbsterkenntnis?

Christian Vetter: Ich bin zurzeit nicht mehr so sicher, ob Bilder es tatsächlich ermöglichen, dass man sich selbst in ihnen erkennen kann, oder ob man nicht vielmehr im Bild durch sich selbst hindurchsieht.

Stefan Wagner: Ist die Arbeit letztlich eine Momentaufnahme deiner Beschäftigung mit Malerei?

Christian Vetter: Ja, mit Betonung auf dem Moment. Das Ergebnis muss jedoch immer wieder neu debattiert werden, das gehört meiner Ansicht nach zum Wesen der Malerei.

Stefan Wagner: Ist «Painting Manifesto» also nicht beendet?

Christian Vetter: Die Werkgruppe mit diesem Titel ist es schon. In den nachfolgenden Arbeiten veränderte ich beispielsweise die Schriftart. Auch wenn ich ein Bild abschliesse, ist das Thema für mich noch nicht beendet. Mein Werk verstehe ich als Kontinuum, obwohl darin einzelne Kapitel abgeschlossen werden können.

Stefan Wagner: Dein Manifest ist die Formulierung eines ästhetischen Programms mit den eigenen Mitteln, nämlich denjenigen der Malerei. Wie ist dieses Programm in dein gesamtes Werk einzuordnen?

Christian Vetter: «Painting Manifesto» ist die zweite Werkgruppe, in der ich mich mit Sprache beschäftige, wobei sich mit der Verwendung von Schrift ein komplett neues Feld öffnet und ich erst nach und nach merke, wie komplex das Ganze wird. Wenn man in einem Bild einen Satz schreibt, kann das sehr einschränkend sein, weil man dazu neigt, das Bild sofort auf den sprachlichen Inhalt hin zu deuten. Es geht mir aber mehr um eine allgemeine Tatsache der Sprachlichkeit. Ich möchte weiter am Thema «Sprache» arbeiten, auch wenn es schwierig ist, befriedigende Lösungen zu finden, die nicht nur konzeptuell angelegt sind.

Stefan Wagner: Wie ist die Wahl der einzelnen Schriftarten zu deuten?

Christian Vetter: Ich habe eine einfache Schrift gewählt mit einem möglichst unspezifischen typografischen Charakter. Es geht mir um Schrift und nicht um Gestaltung, also mehr um deren kompositorische Möglichkeiten auf der Malfläche. Deswegen habe ich ein System entwickelt, das ausschliesslich aus geraden Linien besteht und einem einfachen quadratischen Raster folgt. Ich bin zurzeit daran, dieses Schriftsystem als Font (Zeichensatz) umzusetzen, damit ich diesen schliesslich auch digital verwenden kann.

Stefan Wagner: Beschäftigst du dich deswegen mit Graphic Design oder Typografie?

Christian Vetter: Nein, für mich bleibt der Schriftentwurf auf einer Gebrauchsebene, als funktionales Mittel für einen bestimmten Zweck. Ich habe eben einen Film mit dem Titel «Painting Manifesto» fertig gestellt, in dem diese Schrift wieder auftaucht. Es bestehen also mehrere mediale Formen dieser Arbeit. Vielleicht werde ich auch versuchen, installativ, z. B. mit Neonröhren, mit Sprache zu arbeiten. Die Schrift funktioniert wie ein formales Werkzeug und wird bestimmt in weiteren Arbeiten wieder auftauchen.

Stefan Wagner: Steht das Manifest für einen radikalen Umbruch in deiner künstlerischen Arbeit?

Christian Vetter: Dieser Bruch erfolgte bereits vor rund vier Jahren und «Painting Manifesto» ist einfach eine weitere Ausprägung davon. Für mich bedeutet dieser Schritt, dass ich auf eine neue Art inhaltlich zu arbeiten versuche.

Stefan Wagner: Greift deine Position in Bezug auf die historischen Avantgarden, die mit Manifesten arbeiteten, auf das Leben aus? Auch vielleicht nur mit dem sehr breit getretenen Begriff der «condition humaine»?

Christian Vetter: Ich habe tatsächlich eine stark politisch und moralisch geprägte Vergangenheit, wobei es mich heute nicht interessiert, mit Kunst Politik zu machen. Vielmehr ist es die Beschäftigung mit ganz grundlegenden Themen, die unser Menschsein betreffen, wofür man den Begriff «condition humaine» durchaus verwenden kann.

 

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Daniel Bouhs, dapd

Twitter, Facebook und Co.: Was die Deutsche Bahn vom Zwitschern hat

14.000 Facebook-Anfragen, 24.000 Tweets: Seit die Deutsche Bahn in den sozialen Netzwerken mitmischt, kommen die Mitarbeiter aus dem Zwitschern und Kommentieren nicht mehr raus.

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14.000 Facebook-Anfragen, 24.000 Tweets: Seit die Deutsche Bahn in den sozialen Netzwerken mitmischt, kommen die Mitarbeiter aus dem Zwitschern und Kommentieren nicht mehr raus. Auch Airlines reagieren im Web 2.0 auf Kunden-Postings – mal ist wertvolles Feedback dabei, mal Spott und Häme.

Wenn sich früher ein Abflug verzögerte oder ein Zug auf der Strecke stehen blieb, haben Bahn- oder Airline-Kunden ihren Frust häufig schweigend hinuntergeschluckt. Heute regen sich immer mehr Passagiere öffentlich auf: in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Mit Kommentaren wie «Liegengebliebener Zug? Wie wäre es mal seine Technik ordentlich zu warten?» oder «Nur damit ihr‘s wisst: Ich kann ‚Max Maulwurf – Held der Baustelle‘ nicht leiden» hat die Bahn inzwischen täglich zu tun.

Oft jedoch sind die Nachrichten der Kunden auch sachlicher: «Aufzug Gleis 5 Bahnhof Dieburg funktioniert nicht.» Dank solcher Meldungen können die Unternehmen auf Missstände und Qualitätsmängel reagieren. In der Touristik nutzen die Konzerne diese Möglichkeit inzwischen recht intensiv.

Air Berlin, Bahn und Lufthansa beschäftigen teils mehr als ein Dutzend Mitarbeiter für den digitalen Austausch. «Soziale Netzwerke können nicht mal eben nebenbei gepflegt werden», sagt Bahn-Managerin Antje Lüssenhop. Sie leitet die Öffentlichkeitsarbeit des Berliner Konzerns, der 18 Mitarbeiter für digitale Gespräche abgestellt hat. Für die Managerin ist das ein «grosser Schritt».

Lüssenhops Mitarbeiter im Berliner Bahn-Tower pflegen gleich mehrere Profile bei Twitter und Facebook, darunter @DB_Bahn. Hier kommen der Frust und die Fragen der Reisenden an. Neu dabei: Jeder Internetnutzer kann die Gespräche mitlesen, alles ist transparent. Bis vor kurzem kriegte man nicht mit, was bei den Mitarbeitern aufschlug.

Viele Kommentare beantworten die Mitarbeiter binnen weniger Minuten, Beschwerden reichen sie an Fachabteilungen weiter. Die kümmern sich darum, dass etwa ausgefallene Rolltreppen anlaufen. Die grosse Mehrheit der Nutzer habe konkrete Fragen, Bitten oder Anregungen. Allerdings gebe es «vereinzelt immer wieder User mit (speziellem) Humor», heisst es bei der Bahn zum sogenannten Klopapier-Eklat. Im Frühjahr hatten sich viele im Netz über folgenden Hilferuf amüsierten: «Im IC2372 von Gö nach Hannover ist in der vordersten Toilette kein Klopapier mehr – Ich sitze auf der Toilette». Die Bahn antwortete auf den Tweet, gab Tipps und ging damit einem Spassvogel auf den Leim.

Allein 14.000 Anfragen auf der Facebook-Seite des Personenverkehrs will die Bahn bereits beantwortet haben, in gerade einmal einem halben Jahr. Hinzu kommen Reaktionen bei Twitter – und das häufig im Minutentakt: Seit @DB_Bahn vor exakt einem Jahr zum Juni 2011 in die Spur geschickt wurde, haben die Berater auf 24.000 Tweets reagiert.

Soforthilfe am Check-in-Automat

Auch die Lufthansa macht sich die Hinweise ihrer Kunden über soziale Netzwerke zunutze. Sie schickt dann etwa Techniker zur Reparatur streikender Check-in-Automaten. Marketing-Manager Torsten Wingenter, zuständig für soziale Netzwerke, hat eine Verschiebung «in den Eingangskanälen der Kundenfeedbacks» festgestellt. Übersetzt heisst das: Immer mehr Lob und Kritik laufen bei Facebook und Twitter auf statt auf den klassischen Kanälen wie Telefon, Fax oder E-Mail.

«Wir möchten unsere Kunden dort erreichen, wo sie sind», erklärt Wingenter. Lufthansa werte dafür Facebook rund um die Uhr aus – die Kunden der Fluggesellschaft befinden sich schliesslich in allen Zeitzonen. Als nächstes will Wingenter den «24/7-Support» auch bei Twitter starten.

Aller Anstrengung zum Trotz: Bei akuten Problemen wird die offene Kommunikation schwierig. Als Anfang Mai bekannt wurde, dass der Berliner Grossflughafen deutlich länger auf sich warten lassen würde als geplant, kam das nicht zuletzt für die Fluggesellschaften überraschend. Sie mussten sich erst mal sammeln.

Nutzer, die Air Berlin und Lufthansa damals auf Twitter fragten, was mit ihren bereits auf den neuen Flughafen ausgestellten Tickets sei, liefen einen halben Tag ins Leere. Im Web 2.0 ist das eine Ewigkeit.

Auf die massive Präsenz in sozialen Netzwerken verzichten wollen die Konzerne trotz mancher Schwierigkeiten aber auf keinen Fall. «Die Themen werden in den sozialen Netzwerken so oder so diskutiert», sagt Lufthanseat Wingenter. Er wolle da viel lieber mitreden.

Und auch bei der Bahn heisst es, mit dem Engagement seien nicht nur die kritischen bis teils hämischen Fragen an den Konzern öffentlich, sondern auch die Antworten: «Hier sehen wir unsere grosse Chance.»

Quelle: http://www.spiegel.de/reise/aktuell/wie-die-bahn-und-lufthansa-mit-kritik-bei-twitter-und-facebook-umgehen-a-836992-druck.html
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Bildkolumne
unfolded × mr. colourful party

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Bildkolumne von unfolded x mr. colourful party

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platzhalter unterwegs nach murten. die kolumne hat anspruch auf vollständigkeit, dafür braucht es natürlich hinzugefügte kommentare und bildtiteleien.

«comments uses social signals to surface the highest quality comments for each user. comments are ordered to show users the most relevant comments from friends, friends of friends, and the most liked or active discussion threads, while comments marked as spam are hidden from view.»

unfolded x mr. colourful party, frühling 2012 (fotografiert auf fuji instax filmen)

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Tipp
Hin Van Tran

Geschichten mit ein paar wenigen Zeichen

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Die häufigsten und gebräuchlichsten SMS Zeichen, Emoticons und Smileys:

!-( Blaues Auge, Veilchen
#-) Was für eine Nacht!
#*) Nacht noch nicht vorbei, völlig betrunken
#:-) Ahnungslos, naiv
$-) geldgierig, geldgieriger Smiley oder auch Hurra, im Lotto gewonnen
%-( Verwirrt oder Brille kaputt oder konfus
%-) schielen, Smiley schielt oder beschwipst
%-\ betrunken oder übermüdet oder verkatert
%-^ Picasso, Pablo Picasso
&-| Tränen in den Augen
(#):-)  Chaotisch
(-) Smiley hat Haarschnitt nötig
(*_*)  Strahlendes Lächeln, strahlt vor Glück
(-: Linkshänder, linkshänder Smiley mit guter Laune
(:-$ Krank
(:-& Wütend
(:-( traurig, sehr traurig
(:-) Smiley hat Glatze oder trägt Helm oder Smiley ist überrascht
(:I Smiley ist ein Eierkopf
-)  Zuzwinkern oder hochnäsig
.-) lachender Zyklop oder einäugiger Smiley
…—… S.O.S. (Notruf) als Morsezeichen
:-! Raucher oder Übelkeit, dem Smiley ist übel
:-“ schmollender oder pfeifender Smiley
:-# Smiley trägt eine Zahnspange oder geheim oder Smiley schweigt
:-$ Smiley ist krank
:-& Smiley ist sprachlos oder Zunge ist verknotet
🙁  Smiley ist traurig oder schlechte Laune
:‘-( weinen, Smiley weint
🙁 Traurig, trauriger Smiley, unglücklich
:-(*) Mir ist schlecht, mir ist übel, kranker Smiley, sich übergeben
🙂  Gute Laune, lachender (Zwerg) Smiley
:‘-) Smiley weint vor Freude
🙂 Lachen, lachender Smiley, gute Laune (Ursprungsform)
:-)(-:   Kuss, Küsschen
:-)) Sehr glücklich, Steigerung von 🙂 oder Smiley hat Doppelkinn
:-)~ Smiley sabbert oder erkältet oder streckt Zunge raus
:-)8 Smiley trägt eine Fliege
:-)-8 Smiley ist eine Frau, Smiley ist ein grosses Mädchen
:-)ss Smiley erzählt nur Mist
:* Kuss senden, küssen
:-* Küsschen, Kuss, küssender Smiley oder Smiley hat was Saures gegessen
:*) Smiley ist betrunken
:*} Betrunkener Smiley
:,( Smiley weint
:-/ Smiley ist skeptisch, unentschlossen
:-: Smiley ist ein Mutant
::-) Brillenträger, Smiley mit Brille
😕 Smiley raucht eine Pfeife, Pfeifenraucher
:?) Smiley ist Philosoph
:-@ wütend, brüllend, schreiend
:@) Schweinchen, Schwein, Glück. Smiley ist ein Schwein
:-[ Vampir oder Smiley schmollt
:-\ Smiley ist skeptisch, unentschlossen
:^) Smiley hat eine gebrochene Nase oder Stupsnase oder lange Nase
:-` Kaugummi kauen
:-{) Smiley trägt einen Schnurrbart, Oberlippenbart, Schnauz
:-{} Smiley trägt Lippenstift oder mit dicken Lippen
😐 Ernst, grimmig, gleichgültig, schweigend
:-} Schmunzeln oder Smiley mit schönen Lippen
:~( heulender, trauriger Smiley oder Smiley mit Nasenbeinbruch
:~-( Heulen, heulender Smiley
:~) Nase tropft, Smiley hat Schnupfen, Smiley hat sich erkältet
:-~) Nase tropft, Smiley hat Schnupfen, Smiley hat sich erkältet
:~-) Vor Freude weinend
:-~/ verschnupft
:’-( Weinen, weinender Smiley
:=) Smiley hat zwei Nasen oder breite Nase
:-> Zynisch, sarkastisch
:-7 Ironisch, Smiley hat ironische Bemerkung gemacht
:8) Smiley ist ein Schwein oder Miss Piggy
:-9 Smiley leckt sich die Lippen, lecker
:-B Begeisterung, begeisterter Smiley oder Smiley ist verschwiegen
:-c Unglücklich, unglücklicher Smiley
:-C Sehr unglücklich, sehr unglücklicher Smiley, deprimiert
😀 Gelächter
😀 Lautes Lachen
:-e Smiley ist enttäuscht
:-I Gleichgültig oder Smiley schläft
😮 Erschreckt, erschreckter Smiley oder erstaunter Smiley
:O Schreiend, Smiley schreit
:-O Erstaunt, erstaunter, verblüffter Smiley
:o) Freude, gute Laune
:-p Zunge rausstrecken
😛 Zunge rausstrecken. Smiley zeigt die Zunge oder Kein Kommentar
:-Q Raucher, Smiley ist Raucher, rauchen
:-s ich verstehe nicht
:-S Unverständliche Aussage, ich verstehe nicht
:-t bitteres Lächeln oder Smiley ist beleidigt
:-T Smiley mit Pokerface oder meint es ernst
:-V Smiley flüstert oder Schreiender Smiley von der Seite
😡 Schweigen oder Kuss, Küsschen
:-X Schweigen, schweigender Smiley oder Kuss
;-( Weinen, weinender Smiley
😉 Augenzwinkern, zwinkender Smiley
@:-) Smiley trägt einen Turban
@->–  Rose
[:-) Smiley trägt eine Walkman, Kopfhörer, MP3 Player, iPod
[:] Smiley ist ein Roboter
[]  Umarmung
{:-)     Smiley trägt ein Toupee, Toupeeträger
|-0 gelangweilt
|-O Schlafen und Schnarchen oder gähnen
}:-( Smiley mit ungepflegtem oder verrutschtem Toupee
+-:-)   Papst, Priester, kirchlicher Würdenträger
<:-(     Enttäuscht, Smiley ist enttäuscht
<:-) Besserwisser oder Clown
<:-I Dummkopf oder Ignorant
=:-o Smiley ist erschrocken oder verblüfft
=:-O   Smiley ist geschockt oder erschrocken oder verblüfft
>:) Teufel, Smiley ist ein kleiner Teufel
>:-<   Ärgerlich, verärgert, wütend
😎 Brillenträger oder Smiley trägt eine Sonnenbrille
8:-) kleines Mädchen mit Haarschleife
8-?     Smiley versteht die Welt nicht mehr
8-o Erstaunt, erstaunter Smiley
😯 Oh nein oder gutgläubig
B-) ich trage Sonnenbrille oder cool oder trägt Hornbrille
B:-) Smiley trägt Sonnenbrille auf der Stirn
C=:-)  Ein Koch, Chefkoch
d:-) Smiley trägt Mütze, Arbeiter, Baseballkappe
o-) Zyklop
O-) Smiley ist Taucher
o:-) Engel, heilig, Heiliger
O:-) Engel, heilig, Heiliger
Q:-) Prüfung bestanden

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Recherche
Petra Dollinger

Typomotion – The Child

The materialization of text in an urban landscape is nowhere more in evidence than in French designer Antoine Bardou-Jacquet's video for Alex Gopher's The Child.

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Text as urban landscape

The materialization of text in an urban landscape is nowhere more in evidence than in French designer Antoine Bardou-Jacquet’s video for Alex Gopher’s The Child. Bardou-Jacquet’s all-textual rendering of New York city borrows its basic concept from Jeffrey Shaw’s Legible City project from the late 1980s, while stripping narrative volition away from the viewer. Whereas Shaw’s project allows reader-users to simulate moving through geographically and architecturally correct streets of Amsterdam, Manhattan, or Karlsruhe on a stationary bicycle while reading the text of a story mapped onto buildings in the city, The Child delivers a high-speed chase through the streets of New York City with both landmarks and people rendered as all text. The tension that exists in these works hinges on the conflict between real and constructed environments, as well as the insistent interplay of surface and depth.

Quelle: http://criticalcommons.org/Members/adiab/clips/MV_Antoine_TheChild.mov/view

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Text
Rémi Jaccard

Die Zähmung der Chimäre – Reflexionen zum Comiclesen

Das Lesen eines Comics ruft spezifische Empfindungen hervor, das Erleben ist zwar durchaus vergleichbar, unterscheidet sich aber doch vom Erfahren anderer Kunstformen.

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Das Lesen eines Comics ruft spezifische Empfindungen hervor, das Erleben ist zwar durchaus vergleichbar, unterscheidet sich aber doch vom Erfahren anderer Kunstformen. Die besondere Faszination des Comics stellt folglich einen wichtigen Bestandteil zu seinem Verständnis dar und somit zur Frage, wie mit ihm umzugehen ist.

Zähmung der Chimäre [pdf]

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Tipp
Hin Van Tran

Tags und anderes «Geschmiere»

Das Wort und die Buchstaben. Beim Schreiben der Buchstaben ging es schon auch um die Wörter, die sie bildeten. Aber die Wörter waren nicht als Begriffe gemeint, sondern als Namen, als Zeichen. Und oft eben um ein Name, der präsent sein sollte, in einem Milieu, in einer Stadt, überall.

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EL (ein Pseudonym) schreibt über Graffiti in einer Kolumne. Mehr auf: REBEL:ART das internationale Medium und Netzwerk für Culture Jammer & Adbuster, Hacktivisten & Net Aktivisten, Street Artists & Street Vandalen, Post-Dadaisten & Retro-Neoisten, notorische Nervensägen & subversive Störenfriede.

Bitte besucht: www.rebelart.net sehr empfehlenswerte Beiträge.

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Text
Michael Flückiger

«Winder» von Michael Flückiger

In der Abschlussarbeit von Michael Flückiger, Grafiker und Spezialist für interaktive Systeme, ist eine IPhone-App entstanden, mit der sich Text- und Bildnachrichten mit Hilfe des Windes über die ganze Erde versenden lassen. Flaschenpost goes digital!

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Botschaften im freien Flug

Längst ist das Internet nicht mehr primär Hypertext und kommt auch nicht länger nur aus der Steckdose. Seit Kevin Ashton 1999 den Begriff des «Internet of Things» geprägt hat, greift die Vernetzung zunehmend in die Realität über. Schon länger können z.B. Kaffeemaschinen selber Nachschub bestellen, Drucker bestellen neue Farbpatronen und Kühlschränke können selbständig online-shoppen. Mit der Einführung der Smartphones und der flächendeckenden Versorgung von Mobile-Internet gibt es fast keinen Offline-Zustand mehr. Das Internet legt sich wie eine zusätzliche Schicht über unsere Umwelt. Konzepte wie Physical Computing, Augmented Reality, Internet of Things, Hyperlocality und das Outernet formen die strikte Trennung zwischen real und virtuell zu einem stufenlosen Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum um. Schon früh entstehen im Internet Foren, Boards und Chatrooms. Die Palette der Möglichkeiten der sozialen Interaktion wird erweitert und Schwellen werden abgebaut. Mit dem Web 2.0 fassen schliesslich auch ganze soziale Netzwerke Fuss in der Virtualität. Ein verändertes mediales Umfeld erfordert auch neue Kompetenzen in der Wahl des Kommunikationsmittels, der (Selbst-) Kommunikation, aber auch der selektiven Wahrnehmung von kommunizierten Inhalten.

Michael Flückiger ist im Rahmen seiner Masterarbeit in Communication Design der Frage nachgegangen, welche poetischen Möglichkeiten diese Technologien bieten. Es ging ihm darum, moderne Kommunikationsmittel auf die ihnen entgegengebrachten Erwartungen zu untersuchen und neue Schnittstellen zwischen digitaler Information und der Umwelt zu finden. Entstanden ist daraus eine Applikation für Smartphones, die den Äther als Übertragungsmedium und den Wind als Boten für Nachrichten nutzt. Einer Flaschenpost gleich, werden Nachrichten vom Telefon aus versendet und abhängig von der Windgeschwindigkeit und -richtung davongetragen. Auf einer Website kann die Flugbahn der Nachrichten verfolgt werden. Empfangen werden die Nachrichten ebenfalls via Smartphone – sobald eine Nachricht nah genug von einem Empfänger ist, landet diese bei ihm im digitalen Postfach. Der Föhn bringt Botschaften von den Gipfeln ins Tal, der Westwind Zürichs Lärm ins Hinterland und mit Michael Flückigers Entwicklung das nächste Azorenhoch vielleicht Bilder aus Madrid.
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Text
Baunetz

Sprechblasengebäude

Vergangene Woche wurde bekannt, dass Superman seine US-Staatsbürgerschaft abgibt, da er «die Nase voll davon» habe, dass seine Taten als Instrumente der amerikanischen Regierungspolitik verstanden werden. Weltweiter Applaus und Zustimmung. Der Einfluss von Comic-Helden auf das politische Weltgeschehen ist zwar gering, aber vorhanden.

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Eine Woche später melden die Architekten MVRDV den Wettbewerbsgewinn für ein Comic-Museum in China. Sie haben sich im Wettbewerbsverfahren  gegen internationale Konkurrenz wie EMBT Arquitectes (Barcelona), Atelier Bow Wow, Tongji Institute of Architectural Design and Tsinghua Architectural Design durchgesetzt. Nun soll das niederländische Büro das China Comic and Animation Museum CCAM in der ostchinesischen Großstadt Hangzhou realisieren und den Comic-Helden der Volksrepublik ein neues Zuhause bieten. Die Architekten schlagen acht gebaute Riesen-Sprechblasen vor, die sich als abstraktes Bubble-Ensemble mit dem Charme eines gelandeten Raumschiffes in das Stadtbild einfügen. Auf insgesamt 30.000 Quadratmetern Nutzfläche soll der Gebäudekomplex verschiedene Funktionen wie Ausstellungsflächen, drei Kino- und Theatersäle, eine Comic-Bibliothek sowie eine Lobby, Café, Restaurant und Shops enthalten. Die einzelnen Gebäudevolumen sind spiralförmig erschlossen, sodass ein Rundgang entsteht. Die aufgeblasene Formensprache soll nicht nur für Aufmerksamkeit sorgen, sondern auch  ein vielseitiges, wandlungsfähiges Raumprogramm in der Ausstellungsgestaltung ermöglichen. Die Fassade ist als eine feine weiße Betonoberfläche geplant, die an chinesische Vasen erinnern soll. Durch die monochrome Farbgebung lässt sich die Fassade auch bespielen –Texte sollen auf die Ballonhüllen projiziert werden und die Gebäude-Bubbles in wahre Sprechblasen verwandeln. Die Fassadengestaltung stammt von dem Amsterdamer Graphic-Designer JongeMeesters. Schon 2012 soll mit dem Bau der neuen Comic-Ikone begonnen werden, 92 Millionen Euro wird der Gebäudekomplex kosten. Es ist eines dieser Prestigeprojekte, die nicht nur durch ihre experimentelle Formensprache, sondern vor allem durch ihren politischen Kontext bei Fertigstellung weltweit für Aufregung sorgen werden. Vielleicht wird China dann dazu auch freie Weltenbürger wie Superman einladen.

Erschienen unter: www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-MVRDV_gewinnen_Comic-Museum_in_China_1601083.html
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Text
Selina Lauener

«Wertewerkstatt» von Selina Lauener

«Die Anglo Irish Bank wurde auf die Stufe B abgewertet.» «Beim Swiss Market Index beträgt der Wertverlust 11%.» Durch die aktuelle Wirtschaftskrise haben sich sicher geglaubte Finanzwerte in Luft aufgelöst.

FB

In den Nachrichten wird deshalb zurzeit viel über Werte gesprochen. Gleichzeitig formiert sich Widerstand in der Politik und auf der Strasse. Viele Menschen sehen den Zeitpunkt für einen Wertewandel gekommen. In den Läden gibt es Preisschilder so weit das Auge reicht. Jedes Ding hat seinen Wert. Jeder Mensch hat seine eigenen, ganz persönlichen Werte. Daneben wird viel von gesellschaftlichen Werten gesprochen. Werte umgeben uns. Immer und überall.

?Wertigkeit, Wertpapier, Grundwerte, wertlos, liebenswert, Werturteil. Der Begriff  «Wert» hat Hochkonjunktur und wird wie ein Modewort in allen möglichen Situationen benutzt. Gibt es so etwas wie absolute Werte, die für alle gelten? Wahrscheinlich nicht, denn Werte werden heute vermehrt als relativ und instabil wahrgenommen. Gesellschaftliche Werte können sich nur durch einen ununterbrochenen Aushandlungsprozess der Gesellschaft bilden. Für die Entstehung und Änderung der gesellschaftlichen Werte ist der Dialog über Werte grundlegend. Auf der Grundlage dieser Überlegungen schaffte Selina Lauener mit ihrer Arbeit «Wertewerkstatt» einen Denkraum, um über Werte nachzudenken und mit anderen in einen Wertedialog zu treten, zu Beginn in der Form eines Workshops und später als partizipative Installation in einem Einkaufszentrum in Bern.?

Am Workshop nahmen 12 Personen im Alter zwischen 20 und 80 Jahren mit unterschiedlichen sozialen und beruflichen Hintergründen teil. Aus diesem Wertedialog entstanden am Schluss kurze Statements und Fragen, die als Diaprojektionen Teil der Installation im Einkaufszentrum wurden. Das Einkaufszentrum ist als Sinnbild für die Reizüberflutung in der modernen Gesellschaft zu verstehen und als Ort des permanenten Handels mit materiellen Werten. In diesem Kontext schuf Selina Lauener einen Denkraum, durch den die einseitige Besetzung des Wertebegriffs im Einkaufszentrum durchbrochen wird. Die Statements und Fragen aus dem Workshop sind auf Sitzüberzüge gedruckt und über die Polster der Sitzgelegenheiten gestülpt. Sie werden von einigen Menschen irritiert wahrnehmen, während andere achtlos daran vorbeigehen. Setzt sich jemand, verschwinden die Fragen vorübergehend.

?Die eigentliche Wertewerkstatt befindet sich auf einer der Flächen für temporäre Verkaufsstände im Einkaufszentrum. Es geht darum, die sehr persönlichen Wertvorstellung der Leute sichtbar zu machen und in dieser Weise einen sichtbaren Dialog über Werte zu erzeugen. «Was macht Ihr Leben wertvoll?», «Was bräuchte mehr Wertschätzung?», «Was ist überbewertet?»: Zu diesen Fragen können die Passanten ihre Gedanken und Ideen abgeben. Die Antworten werden von der Künstlerin in der Werkstatt vor Ort mit einer Andruckpresse aus dem Bleisatz-Verfahren auf Taschentücher und Servietten gedruckt. Die Inszenierung einer Werkstatt an einem Ort, an dem nur noch verkauft und nichts mehr produziert wird, hat etwas Anachronistisches, ist ein Fremdkörper, der Aufmerksamkeit generiert.

?Taschentücher und Servietten wiederum sind wie die individuellen Werte sehr persönliche Gegenstände. In ihrer Benutzung und Aufbewahrung sind sie eng mit unserem Körper verbunden. Diese persönlichen Stofffetzen hängen als Installation an Bettdecken, die aus ihrer horizontalen Lage gehievt wurden und nun vertikal im Raum hängen. Aus den einzelnen Stofffetzen mit individuellen Werten wird nach und nach ein Patchwork der gesellschaftlichen Werte. Im Tausch für die Abgabe der eigenen Werte erhalten die Personen das Exemplar eines bereits gedruckten Wertes ihrer Wahl. Werte können getauscht, mitgenommen und übernommen werden. Ein Werteaustausch.?