Ausgabe #6
Oktober 2013

Tonspur

Tonspur

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Editorial
Barbara Mauck

HiFi muss mit!

FB

Mein erstes Mixed-Tape bekam ich von meiner besten Freundin. Ich war 12. Sie kannte sich aus – nicht nur in der Musik. Sie hatte ein Snoopy-Shirt. Im Erlebnis- und Selbststilisierungszimmer der 6b war sie das onomatopoetische Zeichen der Zeit. Vergleichbares habe ich später nur in den Räumen des FAZ Feuilletons gesehen. Dietmar Dath alias Buffy, the Vampire Slayer.[1]

Ich habe die Kassette wieder gehört. Wow! Sie klingt nach Zeitdokument – nicht nur meiner Sozialisierung. Von heute aus betrachtet ist sie – Baujahr 1981 – ein Nanoteilchen Technikgeschichte und hierbei insbesondere ihr Produktionsgeräusch. Bestehend aus abgebrochenen An- und Abmoderationen und dem Klicken, Rumpeln und Klackern damaliger Kassenrekorder-Technik. Die Musik ist kaum zu hören. Bette Davis’ Eyes, Tainted Love, Good Times oder Rapper’s Delight – alle mit der Zeit wundersamerweise entschwunden im stetigen Mehr der Nebengeräusche. Denn diese trotzen der Zeit, richtiger: sie leben von ihr. High Fidelity in BASF Qualität. 60 Minuten formale Abstraktion oder Geisterbeschwörung.
Und die Musik: Fade to Grey.
Vonwegen: Forever Young. Dieser Wahn kommt später!

Aber was kam zuerst? Die ZEIT beschäftigt sich in dieser Woche in ihrer Infographik mit Speichermedien – vielleicht feiert man den 50. Geburtstag der Audiokassette. Die Übersicht macht’s deutlich: die Geschichte der Archivierungsmedien ist Verlustgeschichte. Immer mehr, immer kürzer. Immer realer und immer verfügbarer. Naturnähe hat also ihren Preis, denn: immer wieder auch ‚perdu‘.[2]

Hätten wir also weiterhin in Stein gemeisselt? Oder Höhlenwände bemalt? Medien genutzt, in guter, alter Manufactum-Qualität? Aber schon in der Höhle war der Streit um den Urimpuls aller Kunst vorprogrammiert. Auf einer Zeitachse von 40.000 v. Chr. bis 2002 n. Chr., von der Höhlenmalerei bis zur Blu-Ray-Disc, zeigt sich – Abstraktion hin und Einfühlung her[3] – was mein Tape belegt. Und was George Didi-Huberman zum Abdruck schreibt, trifft hier den Ton, dass nämlich das Verfahren keine Garantie für dessen anschliessende Lesbarkeit darstellt: «Ein Kontakt hat stattgefunden. Doch Kontakt mit wem, mit was, mit welchem ursprünglichen Objekt?».[4]

Das Spurenlesen endet – Sinnbild der Treue – beim Hund. Der Schritt vom High Fidelity zum Wireless Fidelity ist Marketing. WiFi ist wie Tempo Taschentücher, WLan ist gemeint. Das hat vor allem mit Klangtreue zu tun, denn im Parcours der medialen Hundehaltung ist HiFi-WiFi nur eine Spielart paragrammatisch Fidelities. Treue ist, … sagt sie, dass nach dem Sich-Ähnlich-Werden von Hund und Herrchen das Networking kommt

Mit meiner Freundin ist das ebenso. Wir telefonieren heute manchmal lose. Wireless. Und trotzdem der Standard, die grosse Geste am juvenilen Kassettendeck unserer Erinnerung, bleibt. Erde an Mars! Roger – over? Am Horizont der Verfügbarkeiten, sagt die Infographik, zeichnen sich schon biologische Speichermöglichkeiten ab. Es scheint nun um die Wurst zu gehen. Man könnte den neuen Standard BiFi nennen. Die hat bekanntlich Biss!

[1] Dietmar Dath, Sie ist wach. Über ein Mädchen, das hilft, schützt und rettet. Implex-Verlag, 2003.
[2] www.zeit.de/2013/42/infografik-speichermedien
[3] Wilhelm Worringer, Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Bern. Neuwied: Heuser’sche Verlags-Druckerei 1907.
[4] Georges Didi-Huberman. Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronie und Modernität des Abdrucks. Köln, 1999. S. 36.
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Text
Jan Dutoit

YU-Tube – eine musikalische Reise durch das sozialistische Jugoslawien

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Das sozialistische Jugoslawien lebt auf YouTube mindestens musikalisch weiter. Das Internet-Videoportal bietet deshalb fast alles, um eine musikalische Reise durch den Staat, den es nicht mehr gibt, zu unternehmen. Eine Reise auf YouTube ist jedoch wie jede Reise: An einem Ort bleibt man zu lange, andere mag man nicht sehen, oft verirrt man sich, an gewissen Städten fährt man vorbei und liest erst später in Büchern von verpasster Schönheit. Die folgende Reise beginnt in den 50ern und endet um 1990. Bewusst schliesst sie gewisse Genres aus und hebt andere hervor.

Die Jugomexikaner

Mexikanische Musik war im Jugoslawien der 50er und 60er Jahre extrem in Mode. Es gab sogar eine eigene Genrebezeichnung: YU-Mex. Und auch die Sänger besassen einen Namen: Jugomexikaner (Jugomeksikanci). Manche Jugomexikaner, die auf Spanisch aber vorwiegend auf Serbokroatisch sangen, lebten ihre Leidenschaft vollkommen – man beachte neben der Musik auch ihre jugomexikanische Tracht:

Es gibt mehrere Theorien, weshalb diese Liebe zur mexikanischen Musik entbrannte. Eine nachgewiesene Spur führt zum 1950 gedrehten Film Un día de vida (Jedan dan života, Ein Tag des Lebens) von Emilio Fernández. Über die tragische Geschichte zweier Freunde, der eine Offizier und der andere Revolutionär, weinte angeblich ganz Jugoslawien. Der stolze Revolutionär ist zum Tode verurteilt. Durch die Hilfe des Offiziers kann er aber noch einmal seine Mutter, die nichts von dem Schicksal ihres Sohnes weiss, an ihrem Geburtstag besuchen. Ein Höhepunkt des Films, der auf YouTube nur mit serbokroatischen Untertiteln existiert, ist die Szene, in der er der Mutter das Geburtstagslied singt:

Das Lied wurde in Jugoslawien zu einem Hit und mehrfach gecovert. Unter anderem von Nikola Karovi?, der behauptete, Tito himself halte ihn für den besten Jugomexikaner:

Obwohl die Begeisterung für Mexiko Ende der 60er abflachte, finden sich immer wieder Spuren dieses skurrilen Genres. Die grandiose Anfangsszene des Films von Emir Kusturica Otac na službenom putu (Papa ist auf Dienstreise, 1985) ist eine davon:

Der Film liefert auch gleich eine der populären Erklärung zur Entstehung des YU-Mex. Der kleine Malik erzählt, Hausmeister Franjo sei der beste Sänger mexikanischer Lieder. Wenn Papa ihn frage, warum er denn mexikanische Lieder singe, antworte Franjo: «Das ist, Genosse Meša, heute am sichersten. So sind die Zeiten.» Der Film spielt kurz nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin 1948. Danach war es nicht mehr erwünscht, dass man russische Lieder sang. Auf der Suche nach politisch neutralem Liedgut habe man – so die auch in wissenschaftlichen Beiträgen geäusserte Theorie – die mexikanische Musik entdeckt. Dies ist aber nur eine der vielen Erklärungen über die Entstehung des YU-Mex.

Wer noch nicht genug hat, dem sei die CD-Box 101 meksikanska (101 mexikanische) empfohlen: 101 Songs auf vier CDs, ein Booklet, das alle Aufnahmen der Stücke feinsäuberlich dokumentiert und ein 75-seitiger Essay über das Genre (zwar kroatisch, aber mit kurzen Zusammenfassungen auf Englisch und Spanisch).

Zwischen den musikalischen Welten: Rock & Roll in den 70ern

In der jugoslawischen Musikszene tummelten sich aber nicht nur Jugomexikaner. Auch Verbindung zu zahlreichen anderen Ländern wie Frankreich, Italien, Kongo, Deutschland, Russland oder der Schweiz lassen sich ausmachen. Nach dem Konflikt mit der Sowjetunion liefen im Radio vorwiegend französische und italienische Schlager. Bei der Plattenfirma Jugoton arbeitete der Schweizer Kurt Grieder. Dieser war zwischen 1950 und 1958 für den Ton zuständig, später arbeitete er als technischer Supervisor. Zum Durchbruch des Rock & Roll Ende der 50er verhalfen angeblich Italiener. Als Betreiber der meisten Karusselle in jugoslawischen Vergnügungsparks sollen sie aus Italien die neuesten Hits mitgebracht und gespielt haben. Die Rock & Roll-Begeisterten hörten neben Radio Luxemburg auch österreichische Sendungen wie Autofahrer unterwegs. In Makedonien und Montenegro waren die Musiksendungen von Radio Beirut populär. Dem Zuhören folgte:

Mitte der Sechziger gab es in Jugoslawien eine äusserst lebendige Beat-Szene. Die Bands spielten zunächst vor allem instrumentelle Coverversionen. Die Belgrader Gruppe Elipse (Ellipsen) spielte beispielsweise eine Beat-Version des wohl bekanntesten Werkes von Marc-Antoine Charpentier (um 1643-1704):

Die Belgrader Zlatni De?aci (Golden Boys) waren geradezu spezialisiert auf Covers von klassischen Werken. Angeblich erhofften sie sich dadurch, im Radio gespielt zu werden. Hier ihre Interpretation von Schwanensee:

Die Zagreber Band Roboti coverte hingegen Marmor, Stein und Eisen:

LSD-Rock & regimefreundlicher Pop-Rock & Punk in den 70ern

In den 70ern wurde die Musik härter, die Texte erhielten mehr Gewicht. Pop Mašina aus Belgrad veröffentlichte 1973 das erste jugoslawische LSD-Album Kiselina (Säure). Um die Platte veröffentlichen zu können, änderten sie das Cover, die Texte und die Reihenfolge der Lieder. 35 Jahre später erschien dann das Album Originalna Kiselina – so hatte die Platte ursprünglich klingen sollen. Hier aber ein anderer Hit von Pop Mašina:

Die bekannteste Rockband der ersten Hälfte der 70er war Korni grupa. In einem Songtext feierten sie offen einen Helden des kommunistischen Jugoslawiens. Bei ihrem Auftritt als Vertreter Jugoslawiens beim Eurovision Song Contest 1974 spielten sie das patriotische Lied Moja Generacija (Meine Generation). Amüsant auch der vielsagende Kommentar des ORF-Reporters:

Um 1977 kam auch der Punk nach Jugoslawien. Ein Punkklassiker ist Narodna pjesma (Volkslied) von Paraf aus Rijeka:

Vier Professoren & Bijelo Dugme

Ende Januar 2010 erschien auf einem serbischen Internetportal der Text Grosse Verschwörung im YU-Rock (auf Serbisch). Die anonymen Verfasser zitieren einen angeblich langjährigen Mitarbeiter des jugoslawischen Staatssicherheitsdienstes und behaupteten, dass nahezu alle Stars der jugoslawischen Rockszene mit der Staatsicherheit zusammengearbeitet hatten. Der Plan sei gewesen, das revolutionäre Potenzial der Jugend, das sich 1968 bei den Studentenprotesten zeigte, durch die Rockmusik abzuschwächen. Der Verdacht, dass einzelne Bands enge Kontakte zum Regime hatten, existiert schon lange. Auch die Aussagen einiger serbischer Historiker gehen in diese Richtung. Beweise dafür gibt es jedoch keine.

Der oben erwähnt Artikel bietet zwar auch keine Beweise, dafür aber viel Unterhaltung. So wird beispielsweise davon berichtet, die besten Rockmusiker hätten zusammen mit Psychologen Konzeptalben entwickelt, die im Falle eines Krieges eingesetzt werden sollten. Die Alben enthielten auch Liebeslieder, die den Sexualtrieb anregende Hormone freisetzten. Im Falle eines Nuklearkriegs abgespielt, hätten diese Lieder die eingeschlossenen Bürger zum Liebesakt bewegt – und das Überleben der Bevölkerung gesichert. 

Bijelo Dugme (Weisser Knopf) wurde 1974 gegründet und war die erfolgreichste Band Jugoslawiens. Die Zusammenarbeit zwischen Goran Bregovi? von Bijelo Dugme und der Staatsicherheit war laut diesem Artikel besonders intensiv. Um Bregovi? bei dem Hit Lipe cvatu (Die Linden blühen) zu helfen, soll die Staatssicherheit drei Professoren der Musikakademie und einen Professor der Literaturwissenschaft engagiert haben. Auch der Song kann es nicht beweisen:

Die goldene Rockgeneration der 1980er

Jugoslawien hatte in den 1980ern eine der kreativsten Rockszenen Europas, über die schon viel geschrieben wurde. Zum Abschluss der Reise deshalb nur wenige Worte (unten einige Lektürehinweise zum Thema), dafür sechs Lieder. Viel zu wenig natürlich, aber dafür gibt es ja YU-Tube alias YouTube:

Zum Weiterlesen auf Deutsch und Englisch:
Barber-Kersovan, Alenka: Vom ‚Punk-Frühling’ zum ‚Slowenischen Frühling’. Der Beitrag des slowenischen Punk zur Demontage des sozialistischen Wertesystems. Hamburg 2005.
Herbst, Natalja (fälschlicherweise publiziert unter Friederike Herbst): Rechnet mit uns. Punk und neue Welle im sozialistischen Jugoslawien. In: Südost-Forschungen, 68 / 2009, S. 418-438.
Mišina, Dalibor: Shake, rattle and roll. Yugoslav rock music and the poetics of social critique. Farnham 2013.
Popovi?, Sven: Einheit, Brüderlichkeit und Rock ’n’ Roll. In: Jugoslavija revisited.Wespennest 159, November 2010, S. 84-87.
Reinkowski, Ljiljana: Die letzte Welle der Brüderlichkeit? Pop/Rockmusik im Jugoslawien der 1980er Jahre, In: Tanja Zimmermann (Hrsg.): „Brüderlichkeit“ und „Bruderzwist“: Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013 (erscheint im November 2013).
Vuletic, Dean: Yugoslav communism and the power of popular music. Columbia 2010.

 

Einige neuere Publikationen rund um das Thema aus Kroatien und Serbien:
Janjetovi?, Zoran: Od „Internacionale“ do komercijale. Popularna kultura u Jugoslaviji 1945-1991. Beograd 2011.
Krši?, Dejan: Velika o?ekivanja, bizarnosti i slijepo mjesto ideologije. Povodom knjige: Radina Vu?eti?: Koka-kola socijalizam – Amerikanizacija jugoslovenske popularne kulture šezdesetih godina XX veka, Službeni glasnik, Beograd 2012. http://dejankrsic.wordpress.com/2013/08/23/velika-ocekivanja-bizarnosti-i-slijepo-mjesto-ideologije/
Lokotar, Kruno: Uloga djece oficira JNA u jugoslavenskoj rock revoluciji. http://www.e-novine.com/entertainment/entertainment-tema/79140-Fender-umjesto-tandare.html
Rakovi?, Aleksandar: Rokenrol u Jugoslaviji 1956.-1968. Izazov socijalisti?kom društvu. Beograd 2011.Vu?eti?, Radina: Koka-kola socijalizam. Amerikanizacija jugoslovenske popularne kulture šezdesetih godina XX veka. Beograd 2012.Vuleti?, Dean: Lake note u teškim vremenima. http://www.novossti.com/2010/03/lake-note-u-teskim-vremenima/
Zubak, Marko: Pop-Express (1969.-1970.): rock-kultura u politi?kom omladinskom tisku. In: ?asopis za suvremenu povijest, Vol. 44, Nr. 1, Juni 2012, S. 23-35. Hier herunterladbar: http://hrcak.srce.hr/83393
 

 

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Text
Stefan Sulzer

Auditory slip-ups

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Die Affäre um Edward Snowden und das weltweite Entsetzen um die Herausgabe delikater Informationen bezüglich der Überwachungsmethoden der National Security Agency (NSA) wird von Ding-Dong zum Anlass genommen, auf  einige vergangene Highlights des auditiven Mitschnitts zu verweisen. 

Nixon’s rauchende Kanone

Die untern dem Namen «smoking gun tape» bekannte Aufnahme bewies eindeutig, dass Nixon seine Macht missbrauchen wollte, um laufende Untersuchungen seitens des FBI’s zum Watergate Skandal zu behindern. Auch wenn bereits vor Nixon’s Präsidentschaft Aufnahmevorrichtungen in gewissen Räumen des White House installiert wurden, so kam erst unter ihm ein «voice activated» (sprachaktiviertes) System zum Einsatz. Nur vier Tage nach der Veröffentlichung dieser Aufnahme trat Präsident Nixon am 9. August 1974 von seinem Amt zurück. Bis heute ist Nixon der einzige Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten, der vor Beendigung seiner Amtszeit aus seinem Amt schied.http://www.youtube.com/watch?v=_oe3OgU8W0s

Die totale Überwachung: kein neuzeitliches Problem. Trailer zu Francis Ford Coppola’s The Conversation aus dem Jahr 1974: http://www.youtube.com/watch?v=VD_CAJHIIQE

Gordon Brown und die «bigotte» Gillian Duffy: Ein nicht abgeschaltetes Mikrofon gewährt aufschlussreichen Einblick: Was sagen Spitzenpolitiker wenn sie in ihre Limousinen steigen?http://www.youtube.com/watch?v=jFl_evwML2M

Leveson Inquiry: Benannt nach Sir Brian Henry Leveson, einem Englischen Richter, untersuchte ein Ausschuss unter obigen Namen die rechtswidrigen Machenschaften englischer Boulevard Blätter, welche sich Zugang zu Telefon Nachrichten, Email Konten und Wohnungen verschafften um «News» zu generieren.Wer vorhat die nächsten drei Wochen krank im Bett zu verbringen, hier eine Alternative zu Breaking Bad, The Wire oder Homeland; an vielen Stellen nicht weniger spannend. Stundenlanges Befragen von Opfern und Tätern:www.youtube.com/results

Im Archiv der Fonoteca werden verschiedene Sammlungen gelagert, so auch sehr umfangreiche LP-Sammlungen der Schweizer Rockgeschichte.
Im Archiv der Fonoteca werden verschiedene Sammlungen gelagert, so auch sehr umfangreiche LP-Sammlungen der Schweizer Rockgeschichte.
Mit Hilfe des an der Fonoteca entwickelten Verfahrens «VisualAudio» ist es möglich, Schallplatten via Fotografie zu digitalieren.
Mit Hilfe des an der Fonoteca entwickelten Verfahrens «VisualAudio» ist es möglich, Schallplatten via Fotografie zu digitalieren.
Neben allen möglichen Formaten von Tonträgern, sind in Lugano auch alle dazu nötigen Abspielgeräte zu finden.
Neben allen möglichen Formaten von Tonträgern, sind in Lugano auch alle dazu nötigen Abspielgeräte zu finden.
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Text
Michael Spahr, Thomas Burkhalter und Simon Grab, norient.com

Radiofeature: Das akustische Archiv der Schweiz

FB

Was die Landesbibliothek in Bern für die Bücher ist, ist die Fontoca in Lugano für die Tondokumente: Sie bewahrt das akustische Erbe der Schweiz. 1987 gegründet erfüllt sie einen Teil der im Gesetz über die Nationalbibliothek festgehaltenen Aufgaben. Die Fonoteca sammelt und dokumentiert Tonträger, deren Inhalte einen Bezug zur Geschichte und Kultur der Schweiz haben, sowohl musikalische wie gesprochene Dokumente. Von klassischer Musik über Rock, Jazz, Volksmusik bis zu Hörbüchern, Theaterstücken und Interviews.

Michael Spahr, Thomas Burkhalter und Simon Grab haben für ihre Sendung «Sonic Traces» auf Radio RaBe die Fonoteca besucht und daraus eine sehr unterhaltsame Sendung gemacht. Sie haben dabei im Archiv gestöbert und zeigen einen Einblick in den Schätze der Fonoteca.

Radiofeature: Das akustische Archiv der Schweiz, von Michael Spahr, Thomas Burkhalter und Simon Grab:

 

Im Archiv der Fonoteca werden verschiedene Sammlungen gelagert, so auch sehr umfangreiche LP-Sammlungen der Schweizer Rockgeschichte.  Mit Hilfe des an der Fonoteca entwickelten Verfahrens «VisualAudio» ist es möglich, Schallplatten via Fotografie zu digitalieren. Neben allen möglichen Formaten von Tonträgern, sind in Lugano auch alle dazu nötigen Abspielgeräte zu finden. 

Seit September 2013 steht in der Mediothek GKK der HKB an der Fellerstrasse ein Hörplatz zur Verfügung, der den Online-Zugang zu den Dokumenten der Fonotca ermöglicht.
Beatles: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band
Beatles: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band
Beatles: Yellow Submarine
Beatles: Yellow Submarine
Velvet Underground and Nico
Velvet Underground and Nico
Foo Fighters: One by one
Foo Fighters: One by one
Black Flag: My War
Black Flag: My War
Sonic Youth: Goo
Sonic Youth: Goo
Bob Dylan: Self Portrait
Bob Dylan: Self Portrait
Iggy Pop: Roadkill Rising
Iggy Pop: Roadkill Rising
David Bowie: Alladdin Sane
David Bowie: Alladdin Sane
Pink Floyd: Wish You Were Here
Pink Floyd: Wish You Were Here
Pink Floyd: Animals
Pink Floyd: Animals
Keith Jarrett: Clavichord
Keith Jarrett: Clavichord
Jay Jay Johnson
Jay Jay Johnson
The Tubes: What Do You Want From Live
The Tubes: What Do You Want From Live
Joy Division: Unknown Pleasures
Joy Division: Unknown Pleasures
Jefferson Airplane: At baxtors
Jefferson Airplane: At baxtors
Grateful Dead: Skeletons from the Closet
Grateful Dead: Skeletons from the Closet
Yes: Drama
Yes: Drama
Genesis: Nursery Cryme
Genesis: Nursery Cryme
Emerson, Lake & Palmer
Emerson, Lake & Palmer
Black Sabath
Black Sabath
Iron Maiden: Killers
Iron Maiden: Killers
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Text
Roli Fischbacher

Covermania – Schallplattencover-Ausstellung in den Loeb-Schaufenstern

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Mehrere tausend Schallplattenhüllen wurden vom Berner Sammler Robert Hasenböhler dem Fachbereich Gestaltung und Kunst der HKB als Schenkung übergeben. Darunter befinden sich visuell stilprägende Trouvaillen wie das Cover des Briten Peter Blake für das Sgt. Pepper’s-Album der Beatles und Andy Warhols Ikone mit dem Reissverschluss für Sticky Fingers der Rolling Stones. Für einmal steht damit nicht der Sound, sondern die Plattenhülle im Mittelpunkt. Die Ausstellung COVERMANIA zeigt eine Auswahl aus der umfangreichen Cover-Sammlung aus der Zeitspanne von 1960 bis Anfang 1990. Der Fachbereich Gestaltung und Kunst lädt zu einem Rahmenprogramm ein, das die Bedeutung der Plattencover-Gestaltung im Kontext von Kunst und Kommerz thematisiert.

Die Ausstellung ist in vier Themenbereiche gegliedert: 

Illustration

Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, das achte Album der Beatles, gilt als erstes Konzeptalbum in der Rock- und Popmusik. Sein Cover dürfte eines der bekanntesten der Musikgeschichte sein. Das Gruppenbild mit Blumen, zeigt die Beatles in bunten Fantasie-Uniformen, umringt von einer Gruppe von insgesamt 70 Persönlichkeiten aus aller Welt. Ebenfalls Geschichte geworden ist die Coverillustration zu Yellow Submarine von den Beatles. Gestaltet, wie auch der gleichnamige Zeichentrickfilm, vom deutschen Illustrator Heinz Edelmann. Von Andy Warhol stammt das Bananencover für The Velvet Underground. Der amerikanische Künstler Raymond Pettibon gestaltete Covers für die Foo Fighters, für Black Flag und Sonic Youth. Die Liste mit Namen international bekannter bildender Künstlerinnen und Künstler die für Rockbands Cover gestalteten oder deren Arbeit Teil des visuellen Auftritts wurde, ist lang und zeigt die Bedeutung der Illustration in der Covergestaltung.

Nicht alle illustrative Gestaltung ist mit grossen Namen verbunden. Und so manifestiert sich neben viel Eigensinn, auch viel handwerklich Bedenkliches. Und dafür, dass wenn die Musikerin/der Musiker selbst zu Zeichenstift oder Pinsel greifen, sich Qualität einstellt, ist auch nicht garantiert. Bob Dylans Selbstporträts kann man lieben oder eben nicht.?

Beatles: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band Beatles: Yellow Submarine Velvet Underground and Nico Foo Fighters: One by one Black Flag: My War Sonic Youth: Goo Bob Dylan: Self Portrait  

Fotografie

Seit den Anfängen des LP-Formats  –  7-Zoll (18 cm) – dominiert die Fotografie die Covergestaltung. In den 1950er Jahren sind zu Beginn die Stars oder Bands gesellschaftskonform auf den Covers abgebildet. Rock’n’Roll, aber auch Jazz gelten damals als sexuell stark aufgeladen, weshalb die Covergestaltung möglichst unverfänglich sein muss. In den USA wird auf den Cover-Fotografien u.a. die unschuldige Teenagerzeit thematisiert: Die Covers zeigen meist weisse Teenager in brav inszenierten Szenen, obwohl ein Grossteil der Musiker Schwarze sind. Die Musik wird so – mithilfe der Fotografie – für weisse KonsumentInnen mehrheitstauglich gemacht.

Die Porträt- und Bandfotografie hat ihren Platz als prägendes Gestaltungsmittel verteidigt: Selbstreferentielle Künstler wie Iggy Pop, David Bowie oder Prince setzen bis heute fast ausschliesslich auf das fotografische Porträt als Mittel der Covergestaltung.

Ab Mitte der 1960er Jahre entwickeln sich hingegen, parallel zu neuen Konzepten in der Rockmusik, auch neue narrative und surreale Ansätze in der Anwendung der Fotografie. Bekannte Beispiele dafür sind die Arbeiten von Storm Thorgerson für Pink Floyd: Wish You Were Here, der Handschlag mit dem brennenden Mann und Animals: das fliegende Schwein über dem Battersea-Kraftwerk – alles Ikonen einer erzählenden Fotografie, die bis heute nachwirken.

Iggy Pop: Roadkill Rising David Bowie: Alladdin Sane  Pink Floyd: Wish You Were Here Pink Floyd: Animals      

Konkrete Form und Typografie

Bis Ende der 1930er Jahre ist die Gestaltung von Schallplattencovers, wie wir sie heute kennen, kein Thema. Bis dahin werden die Schellackplatten – mit 78 Umdrehungen pro Minute – zu mehreren Stücken in Papiertaschen verpackt und am Rücken mit einer Gold- oder Silberprägung beschriftet. Typografie pur, aber eben: keine Covergestaltung. 

Als eigentlicher Erfinder des Schallplattencovers gilt Alex Steinweiss, Designer für Schallplattenhüllen bei Columbia Records. Mit seiner Entwicklung ist für die nächsten 10 Jahre auch erst mal Schluss mit reiner Typografie auf Tonträgern. Bilder müssen aufs Cover. Bei einigen Labels oder Bands hingegen spielen Typografie und konkrete Formensprache weiterhin eine zentrale Rolle. Zu erwähnen als herausragende Beispiele sind das Jazzlabel Blue Note und später das deutsche Label ECM. Dies sind konzeptionell ausgerichtete Labels, die sich klar vom Mainstream abheben und das mit formaler Reduktion deutlich machen. 

Erst mit Punk und New Wave wird das typografische Cover zum Identifikationsträger eines Genres der populären Musik. Speziell zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der englische Gestalter Neville Brody. Seine Arbeiten sind in den 1980er Jahren stilprägend. Seine kulturellen Wurzeln liegen in den revolutionären Arbeiten der Futuristen und Konstruktivisten wie Herbert Bayer, László Moholy-Nagy und Alexander Rotschenko. Ein Erbe, das nicht nur von Brody in der Covergestaltung immer wieder zitiert wird.

Keith Jarrett: Clavichord Jay Jay Johnson The Tubes: What Do You Want From Live Joy Division: Unknown Pleasures

Fantasy und Horror

Fantasy- und Horrorbilder sind in der Rockmusik ein wiederkehrendes Motiv und prägende Bildwelten für die Genres des Psychedelic, des Progressive und des Hard-Rock. Die Kunst- und Grafikszene erfindet in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre – im Summer of Love der Hippie-Bewegung – eine einzigartige Ästhetik, die grenzüberschreitend und berauschend daherkommt. Eine Ästhetik, die aus der Erfahrung mit der Droge LSD und der daraus veränderten Wahrnehmunung entsteht. Die US-Bands dieser Zeit – wie etwa Jefferson Airplane und Grateful Dead – suchen mit farbenfrohen und rauschhaft gestalteten Plattencovers den Dialog zwischen psychedelischer Kunst und musikalischer Gegenkultur.

Im Progressive Rock, der sich anfangs der 1970er Jahre mit Bands wie Yes, Genesis und Emerson, Lake & Palmer als eigenständiges Genre etabliert, werden neue Bildchiffren gebraucht. Diese Bands erarbeiten Konzept-alben mit narrativen bis hin zu surrealen Akzenten und Ansprüchen. Ihre Ansprüche manifestieren sich auf den Plattencovers in konzeptionellen Bildstrategien.

Im Hard-Rock und im verwandten Heavy Metal wandeln sich die Fantasywelten auf den Covers parallel zur schnörkellosen Einfachheit der Musik. Der Ton wird düster, die Bilder ebenfalls. Dieser Trend führt zu bestimmten künstlerischen Stilmitteln, die für ein eingegrenztes Musik-Genre stehen. So entwickeln etwa die Metal- oder Gothic-Szene eine wiedererkennbare Bildsprache, die sich mit der von Horror- und Splatterfilmen deckt.

Jefferson Airplane: At baxtors Grateful Dead: Skeletons from the Closet Yes: Drama Genesis: Nursery Cryme Emerson, Lake & Palmer Black Sabath Iron Maiden: Killers  

Rahmenprogramm

Do: 17.10.13
HKB-Forschung, Performance «Undercover»Christian Steulet zeigt – ausgehend von Jazz-Plattencovers –Verknüpfungen mit dem SNF-Forschungsprojekt «Growing up»;Special Guest: Hans HasslerWeitere Informationen 

Sa: 19.10.13 bis Mi: 23.10.13
Künstlerische Installation von Till Hillbrecht

Mi: 23.10.13 17.30 Uhr
Apéro: Meet and Greet in der Energy Kitchen, 4. Stock

Do: 24.10.13 19.00 Uhr
Talk: «Covermania»
Gespräch über die Gestaltung von Musik
Niklas Bärtschi – Musiker, Gestalter, Gründer des Labels «Oh, Sister»
Samuel Mumenthaler – Pop-Chronist, Musiker
Peter Bäder – Gestalter
Barbara Hiestand – Gestalterin
Roland Fischbacher – Studiengangsleiter
Moderation: Bernhard Bischoff

Do: 31.10.13
Concert à emporter
Überraschungs-Konzert am LOEB-Eggä

Fr: 01.11.13
DJ versus VJ mit François Chalet
Der Videokünstler Francois Chalet bespielt das LOEB-Schaufenster und die Passage mit Animationen zu Live-Musik.

Alle Veranstaltungen ausser dem Talk (im PROGR) finden im Schaufenster statt. 

Plan Nr. 214 aus dem Nachlass Hermann Meier zum «Stück für Orchester, Werner Heisenberg gewidmet» (1968), Masse: ca. 30 x 225 cm. (Bild: Paul Sacher Stiftung, Basel). 
Plan Nr. 214 aus dem Nachlass Hermann Meier zum «Stück für Orchester, Werner Heisenberg gewidmet» (1968), Masse: ca. 30 x 225 cm. (Bild: Paul Sacher Stiftung, Basel). 
Grafik aus dem Nachlass Hermann Meier zum Formverlauf des «Stück für grosses Orchester und drei Klaviere» (1964). (Bild: aart-verlag, Zürich / Paul Sacher Stiftung, Basel).
Grafik aus dem Nachlass Hermann Meier zum Formverlauf des «Stück für grosses Orchester und drei Klaviere» (1964). (Bild: aart-verlag, Zürich / Paul Sacher Stiftung, Basel).
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Text
Michelle Ziegler

Das Auge komponiert

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Wirft man einen Blick auf einen der über zweihundert Kompositionspläne von Hermann Meier, sieht man in der Regel drei Schichten, die übereinander angeordnet sind und so über mehrere Seiten verlaufen. Die einzelnen Schichten sind grafisch mit Farben und Symbolen versehen – so lassen sich die Felder Instrumenten, Lautstärken oder Strukturen zuordnen. Oft bezieht sich eine der drei Schichten auf grafisch kodierte Strukturen: Liege-Cluster, Wellen und Schläge. Eine zweite Schicht legt die Lautstärke fest und eine dritte die Instrumente. Mithilfe dieser grossformatigen Kompositionspläne hat der Solothurner Komponist Hermann Meier in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine eigenständige Klangsprache entwickelt. 

Diese «Mondriane», wie Meier selbst die Pläne nannte, radikalisierten sein Komponieren und führten ab 1960 zu teils monumentalen Kompositionen mit Klangschichtungen und Klangmassen. Klangelemente werden dabei in harten Schnitten aneinandergereiht, übereinandergelegt und im klanglichen Material verändert. Deshalb forderten Hermann Meiers Kompositionen in der Ausführung zunächst immer mehr Tasteninstrumente und schliesslich eine elektronische Umsetzung. In den «Klangschichten» von 1976 realisierte Meier seine Ideen erstmals mit elektronischen Mitteln, seine an elementaren grafischen Formen orientierte Kompositionsweise wird in den sich überlagernden Schichten ersichtlich. Auf diese Weise beabsichtigte der Solothurner Komponist «alles Entwickelnde»  –  die «Bandwurmform», wie er es nennt – zu vernichten. In einem Brief bekannte er im Jahr 1968: «Alles, was aus Melodik und Gesetzlichkeit stammt, und jede bisherige Form ist eliminiert.»  

Hermann Meiers Schaffen wird zurzeit in einem Forschungsprojekt der HKB untersucht, welches vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wird. Weitere Informationen dazu sind unter folgendem Link ersichtlich: 
http://www.hkb.bfh.ch/de/forschung/forschungsschwerpunkte/fspinterpretation/hermann-meier/.  

Plan Nr. 214 aus dem Nachlass Hermann Meier zum «Stück für Orchester, Werner Heisenberg gewidmet» (1968), Masse: ca. 30 x 225 cm. (Bild: Paul Sacher Stiftung, Basel).  Grafik aus dem Nachlass Hermann Meier zum Formverlauf des «Stück für grosses Orchester und drei Klaviere» (1964). (Bild: aart-verlag, Zürich / Paul Sacher Stiftung, Basel).

«And then comes autumn, and behind it winter» (2012)
«And then comes autumn, and behind it winter» (2012)
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Text
Johanne Mohs

Karin Lehmann – «And then comes autumn, and behind it winter»

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Die Installation «And then comes autumn, and behind it winter» (2012) der Künstlerin Karin Lehmann beruht auf dem kurzzeitigen Raumanschluss eines Materials, dessen Haftung mit der Zeit von Luft aufgehoben wird. Kügelchen aus weichem Ton werden an die Decke geworfen; bleiben dort kleben, bis sie anfangen zu trocknen, sich lösen und schliesslich herunterfallen. Gegen die Schwerkraft von Hand hochgeladen, setzt der Wurf in die Vertikale einen räumlichen Umkehrprozess in Gang – der platt gedrückte Ton deutet vorübergehend einen kopfüber stehenden Erdboden an. Schliesslich doch von der Erdanziehung zu Fall gebracht, quetschen die Schuhe der Besucher die in ihre Ausgangslage zurückgeorderten Bällchen dann endgültig ausser Form, in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Wenn Staub und Luft den Ton nicht zu sehr ausgetrocknet hätten, könnte er, dem im Titel aufgerufenen Kreislauf nach, von hier erneut zu Bällchen gerollt und wieder hochgeworfen werden. Auch ohne diese Wiederholung wird in «And then comes autumn, and behind it winter» ein Verlauf aus der Natur gänzlich mit Ton durchgespielt, der im Grunde nur von der Erde hervorgerufen wird. Das Material dient hier also nicht mehr der Nachahmung natürlicher Formen, sondern wird durchweg in einen Bewegungsablauf geschleust, in dem es naturgemäss eine fixe, aber entscheidende Position hat. Alles, was in der Natur vom Boden aus in die Wege geleitet wird, bleibt nur vorübergehend, für den Ablauf eines Zyklus’ in Form. Demnach greift auch die Kurzlebigkeit der Tonkügelchen Vergänglichkeit als einen natürlichen Vorgang auf, anstatt in Stein gegen sie an zu meisseln. Ganz so, als ob Bildhauerei bei Karin Lehmann zwar tatkräftig bleibt, aber wirft anstatt zu schlagen und sich dem verpflichtet, was mit Materialien im Sinne der Natur von uns geht oder auf uns zukommen kann.

 

«And then comes autumn, and behind it winter» (2012) 

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Quelle
rabe.ch

Das schwarze Gold – Die Vinyl-Langspielplatte feiert ihren 65. Geburtstag

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Die Sendung «Subkutan» hat sich der Vinyl-Schallplatte angenommen und verfolgt deren Spuren bis zum aktuellen Vinyl-Revival in den letzten Jahren. Unter anderem geben Barbara Mauck und Roli Fischbacher vom Fachbereich Gestaltung und Kunst Auskunft über die Plattencover-Ausstellung in den LOEB-Schaufenstern.

Beiträge:

Das Schwarze Gold
Die Vinyl-Langspielplatte feiert dieses Jahr ihren 65. Geburtstag. Peter Carl Goldmark hat sie erfunden und damit die Musikkultur revolutioniert.

Berner Platte
Herausgegeben 1974 vom Verkehrs- und Kongressbüro der Stadt Bern in Zusammenarbeit mit der Berner Sektion des Tonjägerverbandes.

Wenn nur die Hülle zählt: Covermania
Die Hochschule der Künste Bern bespielt vom 17. Oktober bis am 3. November 2013 die LOEB-Schaufenster mit Schallplattencovern aus der Sammlung des Berners Robert Hasenböhler. Die Studiogäste Barbara Mauck und Roland Fischbacher geben Einblicke.

Plattenpassion
Ein Porträt über Daniel Binggeli – Besitzer des legendären Oldies Shop an der Effingerstrasse 4 in Bern.

 

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Interview
CHRISTOPH GUNKEL

Tipp
Hin Van Tran

Hit und Weg

Best of Eintagsfliegen: Manche Bands schiessen wie Raketen in den Pop-Himmel und verglühen nach nur einem Hit. Die Musikgeschichte ist voll von Songs, die jeder mitgrölen kann – aber wissen Sie auch noch, wer den Ohrwurm sang? Wir erinnern an die grössten One-Hit-Wonder aller Zeiten. Ein Interview

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Best of Eintagsfliegen

Manche Bands schiessen wie Raketen in den Pop-Himmel und verglühen nach nur einem Hit. Die Musikgeschichte ist voll von Songs, die jeder mitgrölen kann – aber wissen Sie auch noch, wer den Ohrwurm sang? Wir erinnern an die grösten One-Hit-Wonder aller Zeiten.

einestages: Herr Frank, Sie sind seit 20 Jahren Radio-Redakteur und seit sechs Jahren Musikchef von SWR 3. Sie entscheiden mit, ob eine Band ein One-Hit-Wonder bleibt. Wie viele CDs landen bei Ihnen jede Woche im Postfach?

Uli Frank: Längst nicht mehr so viele wie früher. Wir werden überwiegend digital versorgt, die Plattenindustrie stellt eine Webseite zur Verfügung, dort können wir uns neue Titel anhören. Das sind jeden Tag etwa 20 Singles und fünf Alben. Das ist manchmal eine Qual, sich da durchzuhören, vor allem, wenn man ein paar Tage nicht da war.

einestages: Wie viele dieser neuen Lieder haben eine Chance, ein Hit zu werden?

Frank: Vielleicht 5 Prozent. Wir haben so fünf, sechs Songs pro Woche, von denen wir glauben: Die muss man unbedingt öfters hören.

einestages: Wie lange geben Sie einem Titel beim Durchhören, um sein Hit-Potential zu beweisen?

Frank: 20, 30 Sekunden. Dann kann ich schon entdecken, ob er eine Relevanz hat, zumindest für das Radio. Natürlich kann ich auch danebenliegen.

einestages: Sie haben seit Jahren etliche One-Hit-Wonder kommen und gehen sehen. Welche fallen Ihnen spontan ein?

Frank: Jede Menge. Zum Beispiel dieses Lied mit «Dabadee, dabada», von, von… Ach, Mensch, wie hiessen die denn gleich noch? Das ist genau das Problem mit den One-Hit-Wonder, da fällt einem schnell der Bandname nicht mehr ein…

einestages: Egal. Wir machen einfach einen Test. Wer hat denn «Kung Fu Fighting» gesungen?

Frank: Carl Douglas!

einestages: Und «Achy Breaky Heart»?

Frank: Billy Ray Cyrus. Da muss man auch sagen: Das war klar, dass er mit so einer Country-Nummer in Deutschland nicht noch mal landen würde. In den USA ist für solche Musik ein anderer Markt da.

einestages: Gefällt Ihnen irgendein One-Hit-Wonder besonders gut?

Frank: Mega-schön finde ich «It’s Raining Men» von den Weather Girls. Das ist immer noch eine absolute Party-Nummer. Ein Song hat es dann doch wirklich geschafft, wenn sich sein Publikum immer wieder erneuert. Heute kennen auch 18-Jährige das Lied, so etwas ist natürlich genial.

einestages: Wie kommt es überhaupt zu solchen phänomenalen Eintagsfliegen?

Frank: Eigentlich gibt es zwei Kategorien von One-Hit-Wonder. Einmal die Bands, von denen man denkt: Wow, die haben echt ein Riesenpotential, Talent, Superstimme, alles. Und dennoch landen die nur einen Hit. Dann gibt es noch die zweite Kategorie der Billigheimer, wo es einen nicht so wundert.

einestages: Was meinen Sie mit Billigheimer?

Frank: So tiefergelegte Latino-Sounds, mit ein paar hübschen Mädchen, die zu einem Lied tanzen, das sich irgendwer schnell im Studio zusammengebaut hat. Heute kann sich jeder DJ mit einer Software leicht einen Hit basteln. Die Bands treten dann einen Sommer lang in unglaublich vielen Diskotheken auf, werden durchgereicht.

einestages: Warum nur einen Sommer?

Frank: In dem Bereich ändert sich die Mode sehr schnell, vieles wird aus dem Mittelmeerraum beeinflusst, den Balearen, Spanien, Italien.

einestages: Und welche der Ihrer Meinung nach Erfolg versprechenden Bands hat es dann doch bisher nur zu einem Hit geschafft?

Frank: Zum Beispiel die Crash Test Dummies mit «Mmm Mmm Mmm». Da haben wir gedacht: Die haben wirklich Potential! Aber dann kam nichts mehr. Oder 1999 die New Radicals mit dem Hit «You Get What You Give». Alle Musikredakteure waren sich einig: Das wird eine tolle Band. Bei den deutschen Gruppen fällt mir Liquido mit dem Lied «Narcotic» ein. Das ist nun auch schon mehr als zehn Jahre her.

einestages: Woher kommt dieses Phänomen? Warum können Bands einen ersten Erfolg trotz vorhandenen Talents nicht wiederholen?

Frank: Nach einem Welthit werden sie durch eine Mühle gedreht. Da gibt es eine Tour auf vier Kontinenten, hier eine Pressekonferenz, da eine Promotion-Veranstaltung. Und die Plattenfirma versucht, den letzten Tropfen aus dem Erfolg rauszupressen. Ein Hit kann sich bis zu zwei Jahre halten, bis er weltweit auf allen Märkten durch ist. Dann, nach all den Touren und Auftritten, heisst es auf einmal vom Management: Jetzt aber bitte in drei Wochen das nächste Album! Das schaffen viele nicht.

einestages: Also ein psychologisches Problem?

Frank: Die Messlatte liegt ziemlich hoch. Man sagt: Für das erste Album hat man ein Leben Zeit, für das zweite nur ein Jahr. Beim zweiten sind auch die Kritiker viel schärfer. Es ist nicht einfach, unter Druck wieder ein Element in sein Lied zu bauen, das es zum Hit macht – eine starke Melodie oder einen eingängigen Gitarrenriff. An dem ersten Erfolg sind viele zerbrochen.

einestages: Für die Musiker muss es extrem frustrierend sein, als Eintagsfliege abgestempelt zu werden.

Frank: Ja, besonders, wenn sie es über Jahrzehnte immer wieder etwas versuchen und es nicht schaffen. Nehmen wir zum Beispiel Terence Trent D’Arby. Gut, der hatte neben «Sign Your Name» noch ein paar andere bekannte Lieder, aber er ist nie wieder an den ersten Erfolg herangekommen. Oder die Band Europe mit «Final Countdown». Solche Bands spielen dann ihren alten Hit erst noch vor 5000, dann vielleicht vor 3000 und irgendwann vor 300 Zuschauern. Oder sie bekommen irgendwann mal in einer RTL-Show das Gnadenbrot.

einestages: Kennen Sie auch den umgekehrten Fall? Eine Band, von der Sie dachten, dass die auf keinen Fall einen zweiten Hit schafft – und Sie dann überraschte?

Frank: Bei Justin Timberlake war ich mir nach seiner Trennung von der Boygroup N’SYNC überhaupt nicht sicher, ob der dauerhaft Karriere als Solokünstler machen kann.

einestages: Als Musikredakteur hören Sie die gerade angesagten Hits besonders häufig. Gibt es einen Einmal-Hit, der Ihnen persönlich fürchterlich auf den Geist gegangen ist?

Frank: Dieser „Rigga-Ding-Dong-Song“ zum Beispiel. Das war doch unter aller Kanone, da haben sich bei mir die Fussnägel aufgerollt, wenn ich das gehört habe.

einestages: Aber SWR 3 hat ihn doch auch gespielt.

Frank: Ja, aber heute würden wir das nicht mehr machen.

einestages: Viele Radiostationen setzten auf das Konzept der besten Hits aus den Achtzigern, Neunzigern und von heute. Macht man dadurch nicht künstlich Eintagsfliegen zu Evergreens?

Frank: Kann sein. Aber die Marktforschung hat auch gezeigt, dass die Masse der Zuhörer diese Lieder auch hören möchte.

einestages: Die Radiosender produzieren doch eigentlich die One-Hit-Wonder selbst – das Lied, das in die Computerrotation kommt, hat gewonnen und wird fortan häufig gespielt.

Uli Frank: Keine Radiostation kann allein einen Hit machen. Und auch die Computerrotation macht nicht von alleine ein gutes Programm, sie ist nur ein Hilfsmittel, das wir auch korrigieren können. Aber natürlich: Wenn wir einen Song entdecken, der gnadenlos gut ist, spielen wir den oft und geben der Band damit einen gewissen Push.

einestages: Haben Sie eine Prognose für den Sommer-Hit 2009?

Uli Frank: Nichts in Sicht. Ich müsste den eigentlich kennen, weil die Plattenfirmen mit viel Vorlauf arbeiten. Ich sage mal: DSDS-Star Daniel Schuhmacher wird es nicht, auch wenn seine Single gerade erfolgreich ist. Ich denke mal, dass Acts wie Pink und Mando Diao viel gespielt werden. Deren Musik ist gerade unkaputtbar.

Das Interview führte Christoph Gunkel

Quelle: einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/4370/1/hit_und_weg.html

Weather Girls – «It’s Raining Men»:
Der Hit:
Die Weather Girls landeten 1982 mit ihrer Disconummer einen internationalen Hit, der sich wochenlang auf Platz 1 der amerikanischen Dance-Charts hielt. Weitere Titel des Pop-Duos fallen jedoch wohl nur echten Fans ein. Bleibt zu klären: Wozu eigentlich der Schirm?
Was geschah davor?
Bevor sie zu den Weather Girls wurden, traten die beiden Schwergewichte Martha Wash und Izora Rhodes Armstead als The Two Tons o‘ Fun auf.
Das kam danach:
Ende der Achtziger trennten sich die Wege der beiden. Während Wash ihre Vocals verschiedenen House-Acts lieh und zusammen mit House-DJ Todd Terry zwei Hits landen konnte, zog Izora Rhodes Armstead Anfang der Neunziger nach Deutschland und belebte die Weather Girls wieder. Den Part von Martha Wash übernahm nun ihre Tochter Dynelle. 2002 traten die beiden beim Eurovision Song Contest an und erreichten mit dem Titel «Get Up» den 13. von 15 Plätzen.

Bobby McFerrin – «Don’t Worry, Be Happy»:
Der Hit:
Wenn der Liedtext zum Lebensmotto wird und gleichzeitig noch so luftig-leicht präsentiert wird, dann sind das genau die richtigen Zutaten für einen Welterfolg. Don’t Worry, Be Happy sprang 1988 an die Spitze der Charts und verkaufte sich 10 Millionen Mal. Dabei war Sänger Bobby McFerrin einfach nur durch New York spaziert, hatte ein Werbeplakat mit genau diesem Text gesehen – und angefangen, zu pfeifen.
Was geschah davor?
McFerrin stammt aus einer musikalischen Familie, sein Vater war Opernsänger in New York. Das Talent hat er geerbt – der junge Bobby ging einfach ohne Band auf die Bühne, improvisierte – und machte sich schon acht Jahre vor seinem Welthit mit seiner virtuosen Stimme einen Namen als «musikalisches Phänomen». Schon 1985 gewann er seinen ersten Grammy für die «Best Jazz Vocal Performance».
Das kam danach:
«Das Lied hat mein Haus finanziert und die Schulbildung meiner Kinder. Es gibt Tage, da kann ich es nicht mehr hören», sagte McFerrin einmal der «Neuen Zürcher Zeitung». Der plötzliche Erfolg war zuviel, er wollte irgendwann etwas anderes machen – und dirigiert heute symphonische Orchester.

Opus – «Live Is Life»:
Der Hit:

Manchmal sind es die einfachen Songtexte, kombiniert mit einem simplen Rhythmus, die Musikgeschichte schreiben. Wer würde schon der Aussage Live is Life widersprechen? Und das «Na-na-nanana» im Refrain macht das Lied auch ziemlich mitgrölgeeignet – auch ein knappes Vierteljahrhundert nach Veröffentlichung.
Was geschah davor?
Die österreichische Gruppe formierte sich Anfang der siebziger Jahre als Garagenband. Opus coverte Rock-Grössen wie Deep Purple, schrieb aber auch eigene Stücke. 1980 erschien die erste Platte, in Österreich schaffte Opus ein paar Achtungserfolge, der internationale Durchbruch kam aber erst mit Live is Life.
Das kam danach:
Nach dem Riesenerfolg und Tourneen durch die USA, die DDR und Bulgarien schrumpfte Opus wieder auf die Grösse einer Regionalband zusammen, deren Alben meist nur in Österreich ganz gute Platzierungen errangen – bis heute.

Das geschulte Ohr. Eine Kulturgeschichte der Sonifikation. Herausgegeben von Andi Schoon und Axel Volmar.
Das geschulte Ohr. Eine Kulturgeschichte der Sonifikation. Herausgegeben von Andi Schoon und Axel Volmar.
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Text
Andi Schoon

Auditive Kulturen

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Das geschulte Ohr. Eine Kulturgeschichte der Sonifikation. Herausgegeben von Andi Schoon und Axel Volmar.

Überall klingt es. Das Smartphone und der Laptop, das Hörbuch und der Podcast, die Werbung und das Auto, das Dröhnen der Städte und das Rauschen der Natur. Egal, wo wir hinkommen, es empfängt uns eine komplexe und häufig dichte Klangsphäre. Welche wissenschaftlichen Mittel braucht es, um sie zu beschreiben? Die traditionelle Musikwissenschaft stellt sie nicht parat, denn sie ist in der Pflege des klassisch-romantischen Repertoires dem klingenden Alltag enthoben. Soziologie und Cultural Studies interessieren sich ihrerseits zwar für den Alltag, aber kaum für die darin enthaltenen Klänge. Indes formieren sich seit einigen Jahren die Sound Studies, ein Feld mit noch unfertiger Ausformung, aber vielversprechenden Ansätzen. Auch an der HKB gibt es ein Forschungsfeld, das sich mit dem Verhältnis von Klang, Wissenschaft und Gesellschaft befasst. Es ist im Forschungsschwerpunkt Intermedialität angesiedelt und heisst «Auditive Kulturen».

Als Gründungsmythos der Moderne gilt der Übergang von einer primitiven Oralität zu einer zivilisierten visuellen Kultur. Buchdruck, Zentralperspektive, Aufklärung – all dies sind Begriffe und Entwicklungen, die das Sichtbare betonen und uns von einem vermeintlich dunklen Zeitalter trennen. Dass die Wissenschaften stets auf dem visuellen Beweis beharren, scheint unumstösslich – und doch sind all diese Annahmen einer «Okulartyrannis» letztlich nur Teil der vom kanadischen Medienhistoriker Jonathan Sterne so benannten «audio-visuellen Litanei». In Wahrheit habe das Ohr stets auch seinen Platz in der exakten Beweisführung besessen. Eindrücklich ist etwa das Beispiel Galileo Galileis, der mutmasslich über das Gehör herausfand, dass sich die Dinge im freien Fall beschleunigen. Sein Experiment mit der schiefen Ebene operierte mit quer über die Laufbahn einer Kugel gespannten Saiten, die ihm klingenderweise von zunehmender Geschwindigkeit kündeten.

Angesichts der geschichtlichen Dimension von Klängen stehen wir vor der Frage, auf welche Quellen es sich beziehen lässt und welche Methoden gewinnbringend einzusetzen sind. Mark M. Smith hat in seinem Buch «Listening to Nineteenth-Century America» eine klangterritoriale Abgrenzung beschrieben. Im Amerikanischen Bürgerkrieg war die Klanglichkeit Teil gegenseitiger Zuschreibung: Im industrialisierten Norden sei es laut und lärmig, während im Süden Grabesstille herrsche, schliesslich seien hier keine Maschinen, sondern Sklaven am Werk. Diese Episode zeigt uns, dass Klänge jeweils eingebettet in grössere soziale und politische Zusammenhänge zu betrachten sind.

Auch R. Murray Schafers «World Soundscape Project» sieht die uns umgebende Klanglandschaft in einem umfassenderen Kontext: Seit den frühen 1970er Jahren widmet sich seine Unternehmung der präservatorischen Dokumentation von geräuschhaften Situationen. Er und seine Mitarbeitenden dokumentieren den Soundscape ganz unterschiedlicher Orte. Seine These: Klang ist historisch determiniert, und wir haben es mit einer zunehmenden Lärmverschmutzung der Umwelt zu tun. Wo sich die Geräusche in vormoderner Zeit deutlich voneinander unterscheiden liessen, ist unsere Gegenwart von einem alles nivellierenden Grundrauschen gekennzeichnet. Hier aber stellt sich die Frage: Ist es wirklich so entscheidend, wie etwas geklungen hat, oder geht es nicht vielmehr darum, was die Klanglandschaft für die Menschen bedeutet hat? Schliesslich unterscheiden sich nicht nur die Klänge selbst, sondern auch ihr Umgang mit ihnen. Selbst Lärm ist ein sehr relativer Begriff – nach Tucholsky ist es immer das Geräusch der Anderen.

Mehr zum Forschungsfeld:
http://www.hkb.bfh.ch/de/forschung/forschungsschwerpunkte/fspintermedialitaet/auditivekulturen/
HKB-Publikation zum Thema:
www.hkb.bfh.ch/de/forschung/forschungsschwerpunkte/fspintermedialitaet/publikationen/dasgeschulteohr/
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Text
Stefan Sulzer

Ghost Train

Ja, ja, ja, ja genau. ja das isch guet. Ah, Aha so, dem ghört, ja, ja , ja ja jog, ja, ja , ja so ja ja, soscht halt, ja, ja, ja, ja isch klar, so isch es, ja, ja. yo, soscht alles in ordnig. Isch okay so für mich. Nein, ja, ja, isch perfekt. Im Verglich zum Vorjahr zwar nöd riesig, aber jo, genau. Ja, ja, das isch es yo. yog, yog, ja, ja, ja sicher, ich han immer dänkt..., ja so lauft das halt, gäll. yo, denn würd ich mich mälde, ja genau, wär doch lässig, und guet, nüt tstanke, machs guet, tschau Gloria, tschautschautschautschau. Weiterlesen...

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Die Besprechung eines Problems, welches in jedem, sich mit dem Thema der Sozialen Etikette beschäftigenden Medium bereits dutzendfach besprochen und verhandelt wurde, scheint müssig, ja geradezu verschwenderisch. Wie soll das gehen ohne missionarisch oder verbittert zu wirken? Wie lässt sich ein gesunder Optimismus bewahren (what does an optimist say when he jumps of a building? «So far so good»). in Anbetracht der inflationären Verrohung zwischenmenschlicher Umgangsformen? Bleibt am Schluss lediglich die Konversion zum devoter Jünger der Misanthropie? Mein zutiefst persönlicher Impuls diese Zeilen zu verfassen, fusst weder auf dem Glauben an Veränderung, noch auf einer mir angeborenen präzisen Beobachtungsgabe sozialer Phänomene und Verwerfungen, sondern wurzelt in schlichter, tiefgreifend archaischer Wut.Es ist so: Ich hasse Leute die im Zug telefonieren. Abgrundtief und ohne Ausnahme. Dabei geht es nicht einzig um die Tatsache, dass mich jemand mit der Hälfte eines Gesprächs belästigt, nach dessen Inhalt ich mich nicht erkundigt habe; ebenfalls drängt sich mir unfreiwillig die Gedankenwelt so erbärmlicher und uninspirierter Existenzen wie folgender auf: «Ja, ja, ja, ja genau. ja das isch guet. Ah, Aha so, dem ghört, ja, ja , ja ja jog, ja, ja , ja so ja ja, soscht halt, ja, ja, ja, ja isch klar, so isch es, ja, ja. yo, soscht alles in ordnig. Isch okay so für mich. Nein, ja, ja, isch perfekt. Im Verglich zum Vorjahr zwar nöd riesig, aber jo, genau. Ja, ja, das isch es yo. yog, yog, ja, ja, ja sicher, ich han immer dänkt…, ja so lauft das halt, gäll. yo, denn würd ich mich mälde, ja genau, wär doch lässig, und guet, nüt tstanke, machs guet, tschau Gloria, tschautschautschautschau.»

All das geschah in Echtzeit, gerade eben, Wort für Wort.? Auch äussert sich hier nicht die vakante Seele eines mit kläglichem Selbstmitleid behafteten Teenagers, sondern eine anzugtragende Gestalt mit nicht undistinguiertem Geschmack in der ersten Klasse (ich kann Ihnen versichern, die Seuche wütet klassenübergreifend und ist in der 1. Klasse genauso virulent wie in Coach). Auch bedurfte dieser kurze Auszug keiner mehrtägigen Feldstudie, nein, sobald sich die Magnetic Fields aus meinen Ohren durch Herausziehen meiner noise canceling in ear headphones verabschiedet haben, ist er da: der sein Umfeld ostentativ mit Geschmacklosigkeiten penetrierende Unhold.Noch nie in der Geschichte des Natels (Nationales Autotelefon) hat jemand auch nur ein marginal interessantes Halbgespräch eines Mitfahrenden im Zug erlebt. Denn ebensolche sind selten spannender als Salsa tanzende Nordeuropäer. Oder sind sie schon mal neben Bradley, sechzehn, gesessen und dachten «oh, so habe ich Leibniz’ Monadentheorie im Verhältnis zu Spinoza noch nie betrachtet». Eben. Allerdings beteuerten zwei mir befreundete klinische Psychiater unabhängig voneinander, dass sie Händygespräche im Zug nicht im geringsten stören. Im Gegenteil, die Möglichkeit des konspirativen Mithörens mache die Fahrt erst wirklich amüsant. Ungläubig schockiert habe ich mich nicht weiter gefragt, ob diese pervertierte Form der professionellen Deformation daher rührt, dass sie nach 8 Stunden des gespannten Zuhörens und Diagnostizierens* noch nicht tief genug in den Abgrund menschlichen Elends geschaut haben oder, ob sie selbst der delinquierenden Majorität angehören, welche das Zugabteil mit ihrem Wohnzimmer verwechselt. Bis jetzt hat diese eklatante Dissonanz unserer persönlichen Überzeugungen noch keinen nennenswerten Effekt auf unsere Freundschaft gehabt. Die beiden fahren allerdings auch nicht 1. Klasse.Im TGV, dem Zug, der gemäss einem aktuellen Ranking des World Economic Forum durch eines der gastunfreundlichsten Länder par excellence tingelt (Platz 80 von insgesamt 140 untersuchten Nationen), wird man sinnigerweise darauf hingewiesen, Gespräche in den eher unwirtlichen Zwischenbereichen der Züge zu führen. ?Natürlich kann jemand einwenden, dass man (zumindest in der 1. Klasse) noch sogenannte Ruheabteile hat. Hierzu zwei Dinge: Die Stimmung ist nirgends so angespannt wie in diesen sogenannten Ruheabteilen. Das hat einerseits mit den Ruheabteil-Nazis zu tun, die jeden Fahrgast in aggressivster Weise zurechtweisen, sobald sein dreijähriges Kind einmal hustet. Andererseits gibt es immer wieder Gäste die nicht realisieren, dass sie sich in einem Ruheabteil befinden. Wenn man Schweizer vielleicht noch höflich darauf aufmerksam machen darf, sollte bei Touristen dies tunlichst unterlassen werden. Als würden wir international nicht eh schon als bieder und verkrampft gelten. Das Wort «Bünzli» ist nicht zufällig eine rein schweizerische Wortschöpfung.Unnötig zu erwähnen, dass ich im Zug prinzipiell nie telefoniere oder dann ausserhalb des Abteils mit einer maximalen cut-off Limite von 90 Sekunden. Ich tue dies allerdings nicht aus Rücksicht auf mein Umfeld, welches diese Rücksichtnahme eh nicht verdient hätte (siehe oben). Ich tue es, weil ich das Telefonieren immer noch als höchst intimen Akt der zwischenmenschlichen Interaktion erachte (ich belästige meine Mitfahrenden auch nicht ölfaktorisch aufgrund nachlässiger Duschroutinen oder frittierten Essens).Da sich frühere Befürchtungen, ein übermässiger Handy Gebrauch werde zu schwersten neurologischen Schäden und zahlreichen Hirntumoren führen, leider nie wirklich bewahrheitet haben, sind all die Kommunikationszombis ‚alive and kicking‘. Natürlich bedarf eine solch ausgewachsene Reiseneurose probaterer Mittel, als sie sich in einer kleinen Ding-Dong Glosse von der Seele zu schreiben. Hier bietet die österreichische Firma Handyblocker im grenznahen Bregenz Abhilfe (auch erhältlich bei Harrods oder Selfridges in London). Sie vertreibt Geräte, welche alle Funksignale im Radius von 20m des Auslösers kappt. Das ganze soll illegal sein. Das ist das Foltern eines Mitmenschen jedoch auch, so who cares. Der einzige Grund warum der Extinguisher 4000 nicht schon lange Teil meines Tascheninventars ist hat mit der Annahme zu tun, dass sobald ausgelöst, ich für den Rest der Fahrt mit ungeduldigen «Hallo? Gloria? Ghörsch mi no? Gloria?» Oder «Entschuldigung, händ sie au kei Empfang meh?» belästigt würde. Mir bleibt also lediglich die Hoffnung auf das epidemische Auftreten zerebraler Insulte, Hämorrhagien und Glioblastome, welche in Kürze mehrere Generationen mitteilungsbedürftiger Versager dahinraffen und uns hoffentlich vor allem eins bescheren werden: Ruhe.

* Mein Favorit unter den Angstdiagnosen ist übrigens die Anatidaephobie (Die Angst von Enten beobachtet zu werden). Sicherlich muss es auch Leute geben die unter Antidaephilie leiden (Der Lust von Enten beobachtet zu werden)
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Bericht
Mario Torriani, SRF

Unterwegs mit dem Geräuschemacher

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Die Tonspur zum Film führt oft ein Eigenleben: Viele Geräusche werden künstlich erzeugt. Ob quietschende Türen, Schritte im Unterholz, das Laden eines Gewehrs – immer kommt der Geräuschemacher zum Einsatz. Erst seine Arbeit macht den eigentlichen Film aus. «Einstein»-Moderator Mario Torriani versucht sich beim einzigen Schweizer Geräuschemacher in der Kunst des Nachvertonens. 

http://www.srf.ch/sendungen/einstein/einstein-vom-29-januar-2009

 

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Text
PAULA VAN BRUMMELEN

Soundscape

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Paula van Brummelen’s work places itself at the junction of Music and Installation art, combined with a desire to involve the viewer in a playful interaction with her work. As technically complex and advanced her piece Soundscape is, as visually engaging it presents itself to an audience. Her concern in bringing together different strands of her interests lead to a very particular way of engaging with her audience. A way that we as an institution found striking and fresh. The impossibility of conclusively placing her piece in a confined frame touches on something pertinent in contemporary practice today, whether it is in music, art or performance. The fact that her work manages to be formally attractive within its technical complexity makes it all the more compelling for an audience. We believe that Paula’s work has the potential to be placed within the exhibition in Amsterdam in an unexpected and challenging manner. That is why we nominated Soundscape for the Neu/Now festival.

Soundscape is an installation which concerns itself with the complex relationship between shape, haptic and sound. Soundscape is a flexible surface, which produces synthesised sounds when touched or deformed. The sound is affected by the degree and type of deformation. The agile  surface consists of folded, three-dimensional paper pieces, which are attached onto textile. The component parts of the movable structure are coated with conductive material on the outside and connected among each other with a conductive yarn that is fixed onto the backing material. Depending on which proximate surfaces touch each other during the movement of the fabric, particular circuits are closed. The conductive yarns are connected to an Arduino “Lilypad”-micro controller, which sends the signals to a programme called MaxMSP. Depending on which circuits are closed, MaxMSP converts these inputs into different sounds. The user can explore the acoustic effects of the surface by touching and moving it in different areas with different intensities and can therefore play it like an instrument.

Artistic Statement

Focussing on the characteristics of a material is an important part of my practice. Often, and especially in the context of an exhibition, it is predominantly the formal aspect of a material which is experienced. I intend to focus on a more holistic approach in my piece Soundscape. The interconnectivity of the formal, haptic and acoustic attributes lies at the core of my interest. The play between these aspects should be experienced freely on a individual level. Through my work I try to examine the idiosyncratic qualities of the sound that is produced by the curtain and how a person can interact with it on an individual level.The ambition of Soundscape was the development of a visually and acoustically interesting haptic surface, witch invites the viewer to touch and move it on his or her own volition. Therefore the haptic qualities and the acoustic effects of the surface can be explored on a personal level by touching and moving it in different areas with different intensities.

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Recherche
Patricia Schneider

Klangarchive im Internet

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Die Musikbibliothek der Hochschule der Künste ist eine öffentlich zugängliche Spezialbibliothek mit Medien zur Musikpraxis. Ihr Bestand umfasst rund 45’000 Notendrucke (inkl. Aufführungsmaterialien), 6000 Fachbücher, 5000 CDs/DVDs, 1000 Rara und 60 laufende Musikzeitschriften. Über einen Hörplatz kann auf die Tondokumente der Schweizerischen Nationalphonothek online zugegriffen werden. http://www.hkb.bfh.ch/de/campus/bibliotheken/musikbibliothek/http://www.stub.unibe.ch/aleph/biblinfo/b420.html

Die British Library stellt eine Auswahl von 50000 Aufnahmen mit Audiodateilen zur Verfügung. Hier der Link mit Beispielen zu Arts, Literature & Performance. Unter der Rubrik Between Two Worlds: Poetry & Translation, werden seit 2008 Aufnahmen von zeitgenössischen Autoren gesammelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. http://sounds.bl.uk/Arts-literature-and-performance/http://sounds.bl.uk/Arts-literature-and-performance/Between-two-worlds-poetry-and-translation#sthash.LCveFMPB.dpuf

Das Tierstimmenarchiv des Museums für Naturkunde Berlin enthält mehr als 30 000 Aufnahmen, welche in Form einer Online-Datenbank angehört werden können. http://www.tierstimmenarchiv.de/http://www.tierstimmenarchiv.de/schuelerportal/

Geräusch-Schatulle: Das Schweizer Radio DRS bietet eine kleine  Auswahl von Tönen und Geräuschkulissen zum freien Download an: http://drs.srf.ch/www/de/drs1/sendungen/top/hoerspiel-drs-1/119277.geraeusch-schatulle.html

Auf tonarchiv.de und tonarchiv.net können viele verschiedene Sounds, Klänge, Loops und Geräusche im MP3-Format kostenlos und lizenzfrei heruntergeladen werden. Mit einem Abonnement erhält man Zugriff auf ein grösseres Archiv. http://www.tonarchiv.de/http://www.tonarchiv.net/index.php,http://www.tonarchiv.net/service/tonarchiv/

Klangarchive und Museen: Katalog der Fachhochschule Norwestschweiz http://www.schulfachmusik.ch/klangarchive-und-museen

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Recherche
Hin Van Tran

Musikindustrie unter der Lupe

«Als nicht gewinnorientierter Verein vertreten wir die Interessen unserer Mitglieder in allen Belangen des Urheberrechts, der Leistungsschutzrechte, der Bekämpfung von Missbräuchen und arbeiten mit den gesetzgebenden Instanzen sowie mit Kreisen zusammen, die ähnliche Interessen verfolgen.»

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«Als nicht gewinnorientierter Verein vertreten wir die Interessen unserer Mitglieder in allen Belangen des Urheberrechts, der Leistungsschutzrechte, der Bekämpfung von Missbräuchen und arbeiten mit den gesetzgebenden Instanzen sowie mit Kreisen zusammen, die ähnliche Interessen verfolgen.» So steht es als Begrüssung auf der Homepage und man muss dieser Tage kein Schelm sein, um sich bei den Begriffen «Interessenvertretung» und «Kreisen mit ähnlichen Interessen» eher an düster-verschwurbelte Formulierungen aus einem Mafia-Film erinnert zu fühlen als an die Selbstbeschreibung eines schweizerischen Wirtschaftsverbandes. 

In der Schweiz geht es gerade nicht mit rechten Dingen zu

Es liest sich wie eine Mustervorlage für Lobbyverbände: «Als nicht gewinnorientierter Verein vertreten wir die Interessen unserer Mitglieder in allen Belangen des Urheberrechts, der Leistungsschutzrechte, der Bekämpfung von Missbräuchen und arbeiten mit den gesetzgebenden Instanzen sowie mit Kreisen zusammen, die ähnliche Interessen verfolgen.» So steht es als Begrüssung auf der Homepage und man muss dieser Tage kein Schelm sein, um sich bei den Begriffen «Interessenvertretung» und «Kreisen mit ähnlichen Interessen» eher an düster-verschwurbelte Formulierungen aus einem Mafia-Film erinnert zu fühlen, als an die Selbstbeschreibung eines schweizerischen Wirtschaftsverbandes. Die IFPI Schweiz ist der Dachverband der dortigen Musikindustrie. Der Tonträgerumsatz in der Schweiz ist aus deutscher Sicht eher beschaulich, lässt sich auf grob ein Zehntel veranschlagen, aktuell irgendwo im Bereich um 150 Millionen Euro. Die Verbindungen zu deutschen Plattenfirmen sind eng, vor allem im Majorbereich, denn natürlich werden deutsche Stars auch in weiten Teilen der Schweiz vertrieben und vermarktet. Man kann den Schweizer Musikmarkt so auch als eine Art Anschauungsmodell betrachten, alles ist kompakter, kleiner ausgelegt, übersichtlicher. Und wer im Moment genau hinschaut, kann Erstaunliches entdecken: ein Kartell, das die Charts manipuliert, Konkurrenten heraushält, «Steuersparmodelle» anwendet, die Medien gern am Gängelband hätte und in dem man sich gern gegenseitig die Taschen füllt. So zumindest die Vorwürfe, die jetzt handfest im Raum stehen. Die Anzahl der Mitglieder der IFPI ist mit 31 Labels und Vertrieben sehr überschaubar, dazu gehören natürlich auch alle «Majors». Nicht dazu gehören darf die Firma iMusician Digital, eine digital aufgestellter Vertrieb, der immerhin rund 5.000 Künstler in den einschlägigen Online-Stores unterbringt. Shigs Amemiya ist der Chef der Firma, seit gut einem Jahr legt er sich mit der IFPI an. Jetzt hat er erreicht, dass die Schweizer Wettbewerbskommission eine Untersuchung gegen den Branchenverband anstrengt. Auslöser war ein Hit der Band Da Sign & The Opposite, der von iMusician Digital vertrieben wird. «Slow Down Take it Easy» war 2009 der Song einer Verkehrssicherheitskampagne und – so zumindest hört man aus der Schweiz – äusserst präsent. Die Verkaufszahlen waren sehr gut, wochenlange Spitzenplätze in den iTunes-Charts belegen das. Ein klarer Fall für einen Einstieg in die offizielle Schweizer Hitparade – sollte man meinen. Aber nichts da. Ermittelt wird die Hitparade von der Firma Media Control, und zwar im Auftrag der IFPI. Wobei man den begrifflichen Kern von «ermitteln» offensichtlich nicht so wörtlich nehmen darf. Das Regularium, nach dem die Hitparade entsteht, wird nicht veröffentlicht. Klar ist nur, dass es keine flächendeckende, statistisch saubere und vor allem unabhängige Erhebung gibt. Möglich scheint dabei nicht nur, den Song eines Konkurrenten aus der Hitparade herauszuhalten, sondern auch, einen hineinzubringen. Das zumindest legt der Fall TinkaBelle nahe.

Aus dem Nichts heraus landete der bis dato völlig unbekannte Act des Majors Warner im September 2010 auf Platz zwei der Charts. Pikant dabei: Drummer der Band ist Andy Renggli – General Manager der Media Control in der Schweiz und früher bei der schweizerischen Warner. Enge Beziehungen hegt er zu seinem früheren Warner-Kollegen Chris Wepfer, jetzt Chef der schweizerischen Phononet, des Promotion- und Vertriebsnetzwerks der Majors, das eine Schlüsselstellung einnimmt, wenn es gilt, Musik in Läden und Medien zu positionieren. Die Vermutung, TinkaBelle sei ein gemeinsames Projekt der Marktinsider, liegt zumindest nicht allzu fern. Das ursprüngliche Prinzip der Charts – Erfolg abzubilden – hat sich natürlich schon lange ins Gegenteil verkehrt. Wenigstens nach den kommerziellen Kriterien der Musikindustrie benötigt man erstmal einen Charteinstieg, um überhaupt bekannt und damit potenziell erfolgreich zu werden. Jahrzehntelang drehte sich die Veröffentlichungspolitik von Popmusik demzufolge um das eherne Gebot, einen schnellen und möglichst hohen Charteinstieg zu erreichen. Denn nur der sichert eine Präsenz in den Medien, die sich wiederum auf die Verkäufe auswirkt. Manipulationsversuche gibt es in allen relevanten Musikmärkten zuhauf, beginnend bei der überall gern kolportierten Story vom Manager einer Band, der in den chartsrelevanten Läden Stapel von CDs seiner Künstler kauft. Auch in der Schweiz gab es in den Neunzigern einen aktenkundigen Fall. Eine Insider-Manipulation wäre hingegen eine ganz andere Liga. Aber was sind solche Charts noch wert? Eine Menge Geld. Denn die «Offizielle Schweizer Hitparade» ist eine Marke, deren Nutzung verkauft wird. Zum Beispiel an DRS3, das wichtigste Musikradio der Schweiz, öffentlich-rechtlich organisiert und demzufolge mit öffentlichen Mitteln finanziert. Deren allsonntägliche Ausstrahlung der Hitparade verleiht der erst die eigentliche Marktmacht. Musikchef von DRS3 ist Michael Schuler, von dem man wissen sollte, dass er erst 2006 zum Radio kam. Vorher war er bei – klar – der Musikindustrie, zum Beispiel als A&R bei der damaligen SonyBMG. Schwer vorstellbar, dass er nicht schon damals Einblick in die zweifelhafte Charterhebungs-Praxis hatte. Gegenüber der NZZ – deren Sonntagszeitung hatte das Thema am 10. April aufgegriffen – forderte er jetzt allerdings dringende Aufklärung über das Charts-Reglement. Ob der Ausschluss von Konkurrenten auch offiziell ein Verstoss gegen das Schweizer Kartellrecht ist, wird jetzt zumindest vorgeprüft. Hellhörig sind aber auch deutsche Steuerbehörden geworden. Ziel des Interesses: die Firma IPGate. Die verfolgt im Auftrag der IFPI sogenannte «Urheberrechtsverstösse» – im Volksmund: Raubkopierer – und treibt saftige Schadenersatzzahlungen ein. Geschäftsführer und Minderheitsaktionär der IPGate ist Beat Högger – der Geschäftsführer der IFPI. Hauptsächliche Besitzer der IPGate sind jedoch Deutsche. Die müssten ihre Einkünfte in Deutschland versteuern, wenn sie nicht davon freigestellt würden, weil – vereinfacht formuliert – die Geschäftstätigkeit vorwiegend im Ausland stattfindet. In dem Fall allerdings ganz schlecht: Eine Briefkastenfirma in der Schweiz ohne eigene Adresse und ohne eigene Angestellte. Genau das liesse sich allerdings unschwer vermuten, wenn die Adresse der IPGate in der Schweiz identisch wäre mit der IFPI und wenn die Arbeit ausschliesslich von IFPI-Angestellten erledigt würde. So, wie es offensichtlich bis 2009 der Fall war, bevor die IFPI eine quasivirtuelle Adressänderung vornahm (und im gleichen Haus verblieb) und gleichzeitig dafür sorgte, dass zwei Arbeitsplätze mehr oder weniger pro forma von der IFPI an die IPGate wechselten. Berichtet hatte darüber Anfang April die Aargauer Zeitung, die damit scheinbar in ein Wespennest stoch; der faktenreiche und mit Dokumenten unterfütterte Artikel verschwand – vorerst, so der Autor – nach kurzer Zeit aus dem Webangebot der Zeitung, nachdem die IFPI sich meldete und Rechtsmittel androhte. So kann es also zugehen in der kleinen Schweizer Musiklandschaft. Beschaulich nennt das niemand mehr.

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Text
Jens Dewald, Johannes Maibaum und Matthias Rech, KULTURWELLE.HU-BERLIN.DE

Klanggeschichten – Spuren aus dem Tonarchiv

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Reproduzierte Klänge gehören heute fest in unseren Alltag. Zumeist hören wir Musik, egal ob auf unseren Mp3-Playern oder über das Radio. Als am Ende des 19. Jahrhunderts das Grammophon und der Phonograph das Aufzeichnen von Klängen erstmals erlaubten, war an Musikaufnahmen noch kaum zu denken. Die eigentliche Faszination der Geräte lag zunächst in der Möglichkeit der Stimmaufnahme. Schallplatten und Walzen aus Wachs wurden so zu Zeitzeugen, die den Klang des Vergangenen lebendig hielten. Die neue Technik fand schnell ihren Platz in der Wissenschaft und ganze Tonarchive mit Aufnahmen aus aller Welt entstanden. Doch diese ersten Aufnahmegeräte waren nur bedingt präzise, wenn es um die Speicherung von Schall ging. Inwieweit hat das Medium selbst den Klang geprägt und wie stand es um die Klangtreue von Phonograph und Grammophon?

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Interview
Patricia Schneider

9 Ton-Fragen an Andrea Wolfensberger

... Genaues Hinhören heisst für mich, den Sehsinn etwas zurückzunehmen und ganzkörperlich wahrzunehmen. Denn über den Hörsinn nehmen wir viel räumlicher wahr, da die Ohren weiter auseinanderliegen als die Augen, so ist das «Hörfeld» grösser als das Gesichtsfeld ...

FB

Das Interview mit Andrea Wolfensberger führte Patricia Schneider

PS: Die Tonspur ist ein wichtiger Bestandteil vieler deiner Arbeiten. 2011 hast du deiner Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn den Titel …then listen again… gegeben. Er ist dem Theaterstück «Not I» (1972) von Samuel Beckett entnommen, in dem eine Frau einen Monolog aus sich wiederholenden Satzfragmenten hält, deren Sinn sich aber bis zum Schluss nicht klärt. Soll der Titel in erster Linie auf diesen dramatischen Monolog verweisen, oder versteht er sich als Aufforderung zum aktiven Zuhören?

AW: …then listen again… ist primär als Aufforderung zu verstehen, die Sinne zu schärfen und genau hinzuhören. Genaues Hinhören heisst für mich, den Sehsinn etwas zurückzunehmen und ganzkörperlich wahrzunehmen. Denn über den Hörsinn nehmen wir viel räumlicher wahr, da die Ohren weiter auseinanderliegen als die Augen, so ist das «Hörfeld» grösser als das Gesichtsfeld. Gleichzeitig nehmen wir über die Knochen die tiefen Töne wahr, Hören ist also viel physischer und räumlicher als Sehen, das doch sehr viel mit dem Denken zu tun hat. …then listen again… ist aber auch als Zitat geschrieben, so dass die Erinnerung mit ins Spiel kommt. Es geht um die physische  Wahrnehmung im Hier und Jetzt, es geht aber auch um Erinnerung und Vergessen und es geht um die Beziehung eines Sprechenden zu einem Angesprochenen. Dass es sich um ein Beckett-Zitat handelt, wird wohl niemand erkennen, dass es aber Teil einer ausgestellten Arbeit ist, ist eine Frage der Korrektheit und Präzision.

PS: Deine gleichnamige Arbeit «Not I»  von 2011 befasst sich mit der Melodie des von Billie Whitelaw 1973 gesprochenen Beckett-Stücks. Ausgehend von einem Zeit-/Lautstärke-Diagramm hast du Auszüge der Tonspur mit ihren rhythmischen Klangfolgen in dreidimensionale Skulpturen übersetzt. Was interessiert dich an diesem Prozess?

AW: Grundsätzlich geht es um die Übersetzung eines zeitbasierten Mediums – gesprochener Text – in eine raumbasierte Installation. Man sieht den ganzen «Text» gleichzeitig, man kann ihn durchlaufen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahrnehmen, so dass sich immer neue Bilder ergeben. Den perfekten Standpunkt gibt es aber nicht, die betrachtende Person ist immer mitten drin und die sprechende Person ist nicht mehr verortbar.Durch die Übersetzung von gesprochener Sprache zu rhythmischen Formen nehme ich dem Text jeglichen Inhalt – jedenfalls für diejenigen, die diese Formen nicht lesen können. Deswegen wählte ich auch einen Text, der die Anfangs- und Endlosigkeit sowie die Sprachlosigkeit als Thema hat. Durch die Anordnung in der Vertikalen evoziere ich das Bild von aufsteigenden Blasen, Luftblasen oder Gedankenfetzen. Es ist kein gerichtetes Sprechen zu einem Gegenüber, sondern eine gleichzeitige parallele Mehrstimmigkeit. Die Formen entstammen einem Texterkennungsprogramm. Im Grunde zerlege ich die Tonspur der Fernsehfassung von Samuel Beckett in digitale Bestandteile und setze sie analog in einem anderen Medium neu zusammen. Dadurch erschaffe ich neue Realitäten, die aus dem Hören kommen, aber im Visuellen sich entfalten.

PS: In deinen Arbeiten stehen sich oftmals zwei Medien gegenüber. So besteht die Arbeit «jusqu’à ce qu’il fasse rire» (2009) aus einem riesigen dreidimensionalen Schalltrichter und einer 15-teiligen Sequenz von Videostills deines lachenden Sohnes. Wie bei der Arbeit «Not I» handelt es sich bei dem Trichter um ein visualisiertes Tonfragment aus Wabenplatten. Was können die beiden bildnerischen Medien leisten, was die Tonspur nicht kann?

AW: «jusqu’à ce qu’il fasse rire» (2009) – übrigens auch ein Beckettzitat –  stammt aus einer Videoaufzeichnung des Lachens meines Sohnes in der Dauer von circa einer halben Sekunde und diese Aufzeichnung zeige ich ausgehend von der Bildebene in der Form von fünfzehn Videostills –  eine Video hat 50 Halbbilder pro Sekunde – und ausgehend von der Tonebene als Skulptur der rotierten Tonaufzeichnung von derselben Zeitdauer. Ich übersetze also eine halbsekündige Videoaufzeichnung in die Medien Bild und Skulptur. Dadurch übersetze ich wieder ein zeitbasiertes Medium in Medien der Gleichzeitig. Zeit anhalten, um reflektieren zu können. Im Übersetzen kann man die Eigenarten eines Mediums besonders gut erkennen, die Möglichkeiten wie auch die Grenzen. Es entstehen neue Formen und neue Realitäten, die über Materialität, Farbe und Duft hoffentlich sinnlich erfahrbar sind. Skulptur und Bild können nicht mehr oder weniger als Video, sie können anderes und um dieses Andere, die Differenz, darum geht es.

PS: Die Welle tritt in vielen deiner Arbeiten als inhaltliches oder formales Leitmotiv auf. Am auffälligsten manifestiert sie sich in der Arbeit «Stehende Welle» 2003 in Form einer 12 Meter langen Skulptur. Physikalisch gesehen handelt es sich beim Ton ebenfalls um eine Welle mit einer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung. Ist es diese Parallele, die dich als Bildhauerin dazu bewegt, eine Tonspur zu visualisieren?

AW: Ja, natürlich, Klang ist eine Druckwelle und meine «stehende Welle» ist das Bild einer solchen Welle. Was meiner skulpturalen Welle fehlt, ist der zeitliche Aspekt, dieser muss der Betrachter aktiv durch seine Bewegung einbringen. Und in der Bewegung des aktiven Betrachters werden sich unendlich viele Bilder dieser Welle erschliessen, deswegen auch das Material Wellkarton, das an den Schnittkanten eine ganz andere optische Qualität hat als in den Flächen. Durch die Schrägstellung und die hohe Komplexität der Wellenüberlagerungen ergeben sich je nach Standpunkt ganz neue Bilder. Deswegen auch die Grösse, die es dem Betrachter verunmöglicht, den idealen Standpunkt einzunehmen. Der Betrachter ist integrativer Teil der Arbeit und er bringt diese Arbeit erst zur Vollendung in seiner Wahrnehmung. Die stehende Welle ist demnach eine klassische Skulptur.Auch die stehende Welle hat als Grundlage die Tonaufzeichnung gesprochener Sprache. Es ist auch hier ein Mensch, der gesprochen hat. Dieser Mensch ist nicht mehr an diesem Ort und seine Worte sind verhallt.

PS: Bei der Arbeit «Hitzewelle 2003» handelt es sich im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten nicht um die Visualisierung einer Tonspur. Bei dieser Arbeit ist es gerade umgekehrt: Die Tonspur entstand als Reaktion auf die vibrierenden Videobilder einer Steinwüste auf den Aeolischen Inseln. Die Sängerin und Komponistin Marianne Schuppe hat zu deinen Bildern mit ihrer eigenen Stimme ein eindrückliches Klanggewebe geschaffen. Über mehrere Lautsprecher haben sich die Tonspuren im Raum verteilt und diesen als Klangkörper erfahrbar gemacht. Welche Rolle spielt der Raum bei deinen Installationen?

AW: In allen Installationen ist die Raumwahrnehmung mein wichtigstes Thema. Meine Arbeit in dieser Installation war die Herstellung des Videobildes, Marianne Schuppe hat den Klang dazu komponiert und gesungen. Anders als bei stillen Arbeiten ist die physische Erfahrung von Klang und bewegtem Bild eine unmittelbare, die stark emotional berührt, stärker, als bei unbewegten Arbeiten. In der Hitzewelle verändert sich die Ablaufgeschwindigkeit des Filmes permanent, so dass der Betrachter Mühe bekommt, sich räumlich und zeitlich zu orientieren, ich vermute, so müssen sich Herzrhythmusstörungen anfühlen. Die Musik dagegen arbeitet mit einer einfachen Melodie, die von der Rhythmik her dem Betrachter wieder Halt gibt, dafür in der Überlagerung eine solche Komplexität erzeugt, dass die Melodie fast ausgelöscht wird. Diese Arbeit wirkt stark körperlich auf den Betrachter und es geht um Orientierung beziehungsweise Desorientierung in Raum und Zeit.

PS: Auch die mehrteilige Videoarbeit «NIEMANDS FRAU : MOVIES» ist in einer Zusammenarbeit entstanden. Die Langgedichte von Barbara Köhler sind ein integrativer Bestandteil des Videos. Bist du bei solchen Teamarbeiten eher am wechselseitigen inhaltlichen Austausch interessiert oder handelt es sich dabei um ein «Outsourcing» der Tongestaltung?

AW: In diesem Fall geht es um die Begegnung zweier autarker Werke. Von mir existierte eine Videoarbeit, in der ich auf ein Schiff zuschwamm. Barbara Köhler hat diese Arbeit gesehen und angeregt durch meine Arbeit entstand ein Langgedicht. Diese beiden Arbeiten brachten wir zusammen zum Video «Leukothea : white outs». Bei den anderen sieben Videoarbeiten bestanden die Texte bereits und ich habe – ausgehend von meinem Ursprungsvideo – die Bildebene gestaltet.Das Buch «NIEMANDS FRAU» ist ein Hauptwerk von Barbara Köhler, ein Lyrikband mit einundzwanzig Gesängen, an dem sie zehn Jahre gearbeitet hat. Die «NIEMANDS FRAU: MOVIES» sind parallel dazu entstanden und zeigen einen anderen Aspekt der Texte. Alle Texte existieren unabhängig von den Videos. Mein  Ziel war zu so komplexen Texten eine Bildebene zu legen, dass Bild und Text gleichwertig nebeneinander bestehen können, ohne dass eines der Medien dominiert. Es ging ganz klar um die Begegnung zweier Menschen und zweier Werke.

PS: Viele deiner Arbeiten sind nach einem akribischen Regelwerk und in mühevoller Arbeit entstanden. Beim Schneiden der Videoarbeiten musst du den Ton zwangsläufig immer und immer wieder anhören. Entdeckst du dabei neue Facetten einer Tonspur oder führt das eher zu Ermüdungserscheinungen?

AW: In mühevoller Arbeit entwickle ich komplexe Strukturen, die ich bildnerisch und räumlich umsetze. Die Tonebene bearbeite ich nicht. Wenn ich Videos schneide, arbeite ich ausschliesslich in der Bildebene und ohne Ton. Und dem Schnitt der Bildebene liegt immer ein klares Konzept zugrunde, das ich dann der Tonebene gegenüberstelle im Sinne einer Begegnung. Bild und Ton passe ich nicht nach aestetischen Kriterien einander an.

PS: Welche Rolle spielt die Lautstärke des Tons?

AW: Ich möchte, dass die Rauminstallationen räumlich und physisch wahrnehmbar sind, so dass der Klang skulptural verstanden wird. Ob dies nun mit der Lautstärke oder der Anordnung der Boxen erzeugt wird, ist abhängig von der Arbeit. Aber meistens arbeite ich mit der Stille, so dass der Klang im Inneren des Betrachters stattfindet.

PS: Nachdem wir bisher vor allem über die inhaltlichen Bezüge deiner Tonspuren gesprochen haben, interessieren natürlich auch deren qualitative Aspekte. In der Arbeit «Kinderlied» 2003 hast du beispielsweise den Klang des Geigenspiels deiner Tochter um das Zwanzigfache verlangsamt, so dass lediglich ein brummendes Geräusch übrig bleibt. Welche Tonspuren interessieren dich in Bezug auf die Klangfarben, den Rhythmus oder die Intensität?

AW: Im Grunde interessiert mich das Konzept und deren unterschiedliche Auswirkungen auf Bild und Ton. In der Arbeit «Kinderlied» habe ich Bild und Ton gleich stark verlangsamt. So ergibt die Verlangsamung des Bildes eine erhöhte Konzentration des Dargestellten, in diesem Fall des Geige spielenden Kindes, die Verlangsamung des Tones dagegen bedeutet dunkle und tiefe Klangfarben und die völlige Auslöschung des Rhythmus, der Ton wird fast strukturlos. Bild und Ton klaffen völlig auseinander, obwohl beide gleich verändert wurden. Diese Arbeit zeigte ich als Rauminstallation im Kloster Schönthal als grosse freihängende Projektion und einem guten Basswover, so dass der Bass den ganzen Raum erfüllte und körperlich spürbar war. Die Monumentalität und Unentrinnbarkeit dieser Installation stand in keinem Verhältnis zum ursprünglich gefilmten harmlosen Kinderlied, obwohl mein Eingriff minimal war.

PS: Vielen Dank für die interessanten Auskünfte!

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Text
Stefan Sulzer

Ghost Plane

Woher rührt diese unreflektierte Huldigung des technischen Imperativs? Weshalb muss jedmögliche  Errungenschaft auf technischem Gebiet eine zu kapitalisierende Anwendung finden? Warum ist das Mögliche, in kausaler Stringenz zwingend das Richtige, das zu Bevorzugende?

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«Der Zustand der Welt ist krank. Wenn ich Arzt wäre und man mich fragte: Was rätst Du? Ich würde antworten: Schaffe Schweigen!» Jean-Jacques RousseauLeserInnen meiner unter dem Titel «Ghost Train» in diesem Magazin publizierten Zeilen sind sich meiner Aversion gegenüber jeglichen, sich in der Sphäre des Öffentlichen befindlichen Rüpel, bewusst. Dazu gehören sich im Zugabteil durch ostentatives Langzeittelefonieren bemerkbar machende Personen, die ihr, von etwelchen Inhibitionen befreites Selbst, weder sich, noch der Welt vorenthalten. Analog Ihrer, werte Leserschaft, individuellen Konfliktfreude, bietet der Zug allerdings gewisse Angriffs- und Rückzugsszenarien. Von einer verbalen, von mir aus gern auch physischen Attacke, bis zur Kapitulation vor dem tumben Subjekt in Form einer geografischen Dislokation. Der Zug bietet eine angemessene Anzahl möglicher Reaktions- (und Interaktions-) Möglichkeiten. Nun stellen Sie sich vor, ein kommunikativer Kretin setzt sich nicht im Zug von Bümpliz nach Biglen, sondern auf dem Flug von Belp nach Baku neben Sie.Sämtliche Entscheidungs- und Handlungsparameter würden sich damit schlagartig ändern. Würden? Die amerikanische FCC (Federal Communications Commision) steht vor dem Schritt, Telefonieren während des Flugs zu erlauben. Ihr Europäisches Pendant wird, so die Vermutungen der hiesigen News Postillen, nicht lange mit der Implementierung desselben Schrittes warten. Nachdem man für einen Flug nach New York entsprechend der jeweiligen Klasse entweder 700.-(Coach) 4000.- (Business) oder 12000.- (First) bezahlt hat, besteht also die Möglichkeit, zweimal siebeneinhalb Stunden neben jemandem zu sitzen, dessen Höflichkeitsempfinden nur noch durch seinen IQ unterboten wird. Das passiert natürlich heute schon. Doch jene unter uns, die sich der unnötigen Marotte des trivialen Sitznachbargesprächs (TSNG) verweigern, fällten solche Urteile bis anhin aufgrund bequemer Pauschalisierungen und kruder Vorurteile. Sollte obige Regelung traurige Realität  werden – seitens der Passagiere gibt es riesige Protestwellen – dann werden Sie sich nicht mehr auf instabile Vermutungen verlassen müssen, um die Einfältigen unter uns zu identifizieren. Letztere werden sich ganz unbescheiden selbst Gehör verschaffen.Woher rührt diese unreflektierte Huldigung des technischen Imperativs? Weshalb muss jedmögliche Errungenschaft auf technischem Gebiet eine zu kapitalisierende – das Telefonieren in unbekannten Höhen ist nicht gratis – Anwendung finden? Warum ist das Mögliche, in kausaler Stringenz zwingend das Richtige, das zu Bevorzugende?Möglicherweise finden wir es in Kürze raus.

Zum Abschluss eine Szene aus Curb your Enthusiasm. Möge in uns der Mut wachsen, den unhöflichen Deppen dieser Welt auf ähnliche Weise beizukommen wie dies Larry David tut.

Mehr zum Thema:
www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/uebersicht/weg-frei-fuers-telefonieren-mit-dem-handy-im-flugzeug-1.703505
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/amerikanische-inlandsfluege-handy-nutzung-im-flugzeug-rueckt-naeher-12709216.html
R. MURRAY SCHAFER: «DIE ORDNUNG DER KLÄNGE. EINE KULTURGESCHICHTE DES HÖRENS».
R. MURRAY SCHAFER: «DIE ORDNUNG DER KLÄNGE. EINE KULTURGESCHICHTE DES HÖRENS».
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Text
Wenzel Müller

Vater der akustischen Ökologie

Unsere Ohren sind immer auf Empfang gestellt. Im Unterschied zu unseren Augen können wir sie nicht willentlich schliessen, wobei wir einschränkend dazu sagen müssen, dass etwa Mütter so konditioniert sind, dass sie den in der Nacht von der Strasse heraufkommenden Autolärm völlig ausblenden können, aber sogleich aufschrecken, wenn ihr Kind auch nur einen kleinen Pips von sich gibt. Weiterlesen...

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R. MURRAY SCHAFER: «DIE ORDNUNG DER KLÄNGE. EINE KULTURGESCHICHTE DES HÖRENS».

Fremdartige Geräusche können unser Herz erfreuen, laute unser Gehör schädigen, das wissen nicht nur Mediziner. Der kanadische Musiker und Komponist R. Murray Schafer begann vor einem halben Jahrhundert, die Beziehung des Menschen zu seiner akustischen Umwelt systematisch zu untersuchen. Sein umfassendes Werk «The Tuning of the World» aus den 1970er-Jahren ist vollständig auf Deutsch erschienen.Anfang der 1950er-Jahre besuchte R. Murray Schafer Wien. Was ihm in der Stadt besonders auffiel, war das Zischen der Gaslaternen in den Straßen. Ein für seine Ohren fremdartiges Geräusch.Schafer, 1933 in Kanada geboren, ist Musiker, Komponist und vor allem Klangforscher. Seine Untersuchungen betreffen ein Gebiet, das in unserer visuell dominierten Zeit eher wenig Beachtung findet: die normalen Geräusche unseres Alltags. Ende der 1970er-Jahre ist sein Werk «The Tuning of the World» erschienen, eine Streitschrift und wissenschaftliche Analyse zugleich, die nun erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt wurde: «Die Ordnung der Klänge». Was sind die typischen Laute in der Wüste, im Dschungel, in der Großstadt? Diese Frage interessierte bereits den jungen Forscher wie auch die andere: Was waren die typischen Laute in früheren Zeiten? Und wie haben die sich in der Zwischenzeit verändert? Vor etwa 30 Jahren formulierte er seine Vision: eine Art akustische Landkarte unserer Welt zu erstellen. Inzwischen hat er mit der UNESCO einen prominenten Partner gefunden: Zusammen arbeiten sie an dem «World Soundscape Projekt», an der Erfassung der akustischen Welt.Unsere Ohren sind immer auf Empfang gestellt. Im Unterschied zu unseren Augen können wir sie nicht willentlich schließen, wobei wir einschränkend dazu sagen müssen, dass etwa Mütter so konditioniert sind, dass sie den in der Nacht von der Straße heraufkommenden Autolärm völlig ausblenden können, aber sogleich aufschrecken, wenn ihr Kind auch nur einen kleinen Pips von sich gibt.Schafers Werk ist nicht zuletzt einer der ersten Versuche, eine Klassifikationssystem für alltägliche Laute zu erstellen. Analog zur visuellen Wahrnehmungspsychologie unterscheidet er zwischen Grund und Figur. Grund ist der Grundlaut, Figur der aus diesem gleichmässigen Gefüge hervorstechende Laut. Das Rauschen der Blätter im Wald, die Brandung des Meers oder das Summen einer Klimaanlage können Grundlaute sein.

Der Grundlaut nimmt zu

Figuren sind dazu da, aufzufallen und wahrgenommen zu werden. Ein typisches Beispiel dafür ist die Feuerwehrsirene. Zu Mozarts Zeiten, schreibt Schafer, ertönte in Wien bei einem Brand ein Warnruf von der Spitze des Stephansdoms. Heute würde dieser Warnruf im allgemeinen Geräuschpegel hoffnungslos untergehen, und tatsächlich kommt inzwischen stärkeres akustisches Geschütz zum Einsatz. Dessen Dezibelzahl hat im Laufe der letzten Jahre kontinuierlich zugenommen – ein untrügliches Zeichen für den Forscher, dass auch der Grundlaut permanent angestiegen ist.

Die «Kesselschmiedkrankheit»

Schafer unterscheidet ausserdem zwischen Hi-Fi- und Low-Fi-Qualität. Hi-Fi ist gut, da Grund und Figur deutlich getrennt sind. Bei Low-Fi wird dagegen jeder einzelne Ton von einem hohen Grundgeräusch überdeckt. Hi-Fi steht für eine gepflegte akustische Umgebung, Low-Fi für einen undifferenzierten Einheitsbrei – und in eben diese Richtung zeigt gerade die Entwicklung der modernen Industriegesellschaften. Dazu zählt Schafer etwa die in Kaufhäusern gerne eingesetzte «Hintergrundmusik», die längst in den Vordergrund drängt.Im 18. Jahrhundert entdeckten Ärzte, dass Lärm das Gehör nachhaltig schädigen kann. Sie sprachen damals von der «Kesselschmiedkrankheit», da Lärmschwerhörigkeit bevorzugt bei diesem Berufsstand auftrat. Heute dürfen im Berufs- wie auch alltäglichen Leben bestimmte Dezibelzahlen nicht mehr überschritten werden. Ein scheinbar objektives Kriterium – 1882 wurde die Lautstärkemessung erfunden und 1928 Dezibel als verbindliche Größe eingeführt –, dabei entscheidet nicht allein die Lautstärke darüber, ob wir ein Geräusch als unangenehm empfinden oder nicht. Ebenso spielt unsere persönliche Beziehung zu der Lärmquelle mit hinein, das Problem hat mithin auch eine psychologische Seite. Dem einen tut das Aufheulen eines Automotors weh, für den anderen, den klassischen «Benzinbruder», kann das nachgerade Musik in den Ohren sein. Auch Industrielärm, der heute vielfach als krankmachend empfunden wird, wurde zu Beginn der Industrialisierung noch anders wahrgenommen, nämlich als ein hoffnungsvolles Zeichen, das die Befreiung des Menschen von seiner uralten Gebundenheit an die Erde versprach.Schafer fand heraus, dass es Geräusche gibt, die von allen Menschen, über sämtliche Kulturgrenzen hinweg, als unangenehm empfunden werden. Beispielsweise das Kratzen mit dem Fingernagel oder der Kreide über die Tafel, ein Geräusch, das jedermann verlässlich einen Schauder über den Rücken jagt. Wieso das so ist, konnte noch nicht geklärt werden, obwohl das Phänomen schon von vielen Seiten untersucht worden ist.Was angenehme Geräusche betrifft, so hat jedes Land seine speziellen Vorlieben. Die Schweizer lieben etwa das Bimmeln der Glocken. Sehr hoch in der Gunst der Menschen steht Meeresrauschen, vielleicht, weil das Kommen und Gehen der Wellen unseren eigenen Rhythmen sehr ähnlich ist, vor allem dem Herzschlag und dem Ein- und Ausatmen.Längst sind Akustikdesigner bei der Entwicklung von neuen Autos involviert. Die Tür soll mit einem satten Ton ins Schloss fallen, damit der Autobesitzer ein Gefühl der Geborgenheit erhält. Und der Motor des Sportwagens hat so zu brummen, dass er Stärke und Potenz vermittelt.

Balance der Töne

Schafer arbeitet nicht für Firmen. Sein Anliegen ist zum einen, Laute vor dem Vergessen zu bewahren. Damit wir auch morgen noch wissen, wie sich das Klappern einer Schreibmaschine anhört oder das Klingeln einer Registrierkasse. Ein weiteres Anliegen von ihm ist, dass wieder mehr Ruhe einkehrt. Nicht im Sinne von einem Zurück zur Natur, sondern dass die technischen Möglichkeiten so genutzt werden, dass die Welt wieder richtig «gestimmt» oder «getuned» wird. Und richtig heisst, dass die einzelnen Laute harmonisch klingen und unser Ohr erfreuen. «Die Ökologie bemüht sich um eine Balance der Dinge in der Natur, ohne dass eines das andere tötet. Wir können dasselbe auch mit Klängen tun. Wir können jedem Klang seinen Moment zugestehen, in dem er erklingen kann. Aber wir können nicht zulassen, dass bestimmte Klänge die ganz Atmosphäre dominieren und alle anderen abtöten», sagt Schafer. Nicht zufällig gilt er als Vater der akustischen Ökologie.

Ärzte Woche 17 /2011
© 2011 Springer-Verlag GmbH
weitere links:
http://personal-soundscapes.mur.at/en/detailwissen/1
norient.com/podcasts/murrayschafer/
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Text
Hin Van Tran

Zu Beginn des Zeitalters der totalen Mobil-
kommunikation (1990)

Die Sendung «Menschen Technik Wissenschaft (MTW)»; des Schweizer Fernsehens berichtet am 4.10.1990 über die Einführung der Natel-D-Mobiltelefonie. Im Rückblick betrachtet, hat sich die visionäre Sicht über den zukünftigen Mobilkommunikations-Alltag mehr als bewahrheitet.

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Die Sendung «Menschen Technik Wissenschaft (MTW)»; des Schweizer Fernsehens berichtet am 4.10.1990 über die Einführung der Natel-D-Mobiltelefonie. Als Ersatz der Natel-C-Technologie soll mit dieser Weiterentwicklung über Kommunikationssatelliten in ganz Europa mit sogenannten «Taschentelefonen»; telefoniert werden können. Die Fernsehmacher stellen sich im Beitrag vor, wie in der Zukunft in allen Lebenslagen telefoniert werden wird. Im Rückblick betrachtet hat sich die visionäre Sicht über den zukünftigen Mobilkommunikations-Alltag mehr als bewahrheitet.