Text Nicole Hametner
Sehen und gesehen werden: Der un heimliche Blick durchs Schlüsselloch
Text Nicole Hametner
Sehen und gesehen werden: Der un heimliche Blick durchs Schlüsselloch
Wohl alle kennen das Gefühl, welches ein bewusst wahrgenommener Blick des Anderen in uns auszulösen vermag. Letztens auf dem Balkon stehend habe ich gemerkt dass mich jemand vom nebenstehenden Bürogebäude her anstarrt. Trotz relativ grosser Distanz habe ich mich plötzlich nicht mehr alleine gewähnt, habe meine Haltung geändert und beschäftigt um mich gesehen.
Unser Verhalten unter Beobachtung verändert sich, lässt uns in eine Rolle verfallen. Teils ungewollt wie auf meinem Balkon und manchmal gewollt, um das Beobachtet werden zu nutzen, wie zum Beispiel George Costanza aus Seinfeld. Es gibt unzählige Situationen im Alltag in denen wir uns unter Beobachtung anderer anzupassen scheinen.
Ein Porträtshooting ist ein eindeutiges Beispiel dafür, wie wir in unterschiedliche Positionen verfallen. In seinem Essay Die Helle Kammer schreibt Roland Barthes:
„Sobald ich nun das Objektiv auf mich gerichtet fühle, ist alles anders: ich nehme eine posierende Haltung ein, schaffe mir auf der Stelle einen anderen Körper, verwandle mich bereits im Voraus zum Bild.“ „Vor dem Objektiv bin ich zugleich der, für den ich mich halte, der, für den ich gehalten werden möchte, der, für den der Photograph mich hält, und der, dessen er sich bedient, um sein Können vorzuzeigen. In anderen Worten, ein bizarrer Vorgang: ich ahme mich unablässig nach.“
Jeder kennt sie, die alte Dame, die durch den Vorhang hindurch das Treiben in der Nachbarschaft beobachtet. Obwohl sie denkt, dass niemand merkt, wer sich hinter dem Vorhang versteckt, wissen alle darüber Bescheid. Doch was wenn es dem Beobachter gelingt völlig ohne unser Wissen unser Tun zu registrieren?
In Antonionis Film Blow Up macht der Fotograf Thomas in einem Park heimliche Aufnahmen von einem Paar. Als er später in der Dunkelkammer die Aufnahmen vergrössert entdeckt er Detail, die ihn zum Zeugen eines Verbrechens machen und als Zuschauer im Kinosaal werden wir selbst zum Komplizen. Unser Blick von aussen auf das Geschehen, unser Antizipieren was als nächstes geschehen mag, bildet die Spannung im Film.
Unser Antrieb hinzuschauen ist ein natürliches Verlangen für das Unbekannte. In der Psychologie von Freud wird die erste Neugier am Anderen meist mit den Partialtrieben in der Sexualentwicklung in Verbindung gebracht. Weil diese Entwicklung bereits im frühen Kindesalter stattfindet ist diese Lust am Schauen so tief in uns verankert. Eine Fixierung kann später bis hin zur Perversion führen.
Im Thriller Peeping Tom von Michael Powell filmt der Hauptdarsteller wie er Frauen umbringt. Powell führt diesen Voyeurismus bis hin ins Krankhafte und Karlheinz Böhm, sonst als treuer Gatte an der Seite von Sissi bekannt, steht plötzlich in völlig anderem Licht da.
Wie im Blow Up spielt das Medium Fotografie und Film hier eine zentrale Rolle. Laura Mulvey, eine Medientheoretikerin, bezieht sich in ihrer Filmtheorie Visual Pleasure and Narrative Cinema auf Peeping Tom, um den männlichen Blick im Hollywood Film zu kritisieren. Frauen werden darin oft als Objekte dargestellt. Der starrende Blick durchs Schlüsselloch fällt hier mit dem Blick durch die Kamera zusammen. Wie auch schon Roland Barthes bemerkte, macht die Photographie genau wie der Voyeurismus das Subjekt zum Objekt.
Versteckt hinter der Tür mit dem Blick durch das Schlüsselloch, können wir sehen ohne selbst gesehen zu werden. Auch eine Kamera baut Distanz zum Gesehenen auf. Der Fotograf ist geschützt hinter seiner Kamera, versteckt, wie der Voyeur hinter der Tür.
Das Fotomuseum Musée d’Elysée in Lausanne zeigte eine Installation in der sich der Zuschauer durch ein kleines Loch hindurch die Hängung von Saddam Hussein ansehen konnte. Eine Warnung neben der Werklegende machte auf die möglicherweise unerträgliche Gewaltszene aufmerksam, was die Neugier des Museumbesuchers jedoch nur noch mehr zu wecken schien.
Auch das Internet macht uns zu anonymen Zuschauern. Hier wirbt ISIS mit in Hollywood Manier erstellten, perfekt ausgeleuchteten Folterfilmen für neue Mitglieder. Diese wie auch andere sogenannte Snuff-Filme kursieren auf dem Internet. Die Möglichkeiten, die das Internet bietet sind schier unbegrenzt. Der Gedanken dass die Neugier die Menschen zum anschauen dieser Filme treibt lässt mich kalt erschaudern.
Mit Enjoy Poverty hat der holländische Künstler Renzo Martens einen Film geschaffen, der die Rolle dieses unsichtbaren gierigen Publikums selbst ins Zentrum rückt. Das Leid in Afrika wird auf eine Weise dargestellt, die keinen Zweifel daran lässt, wie krankhaft unsere Schaulust ist und dass wir uns derer Verantwortung nicht entziehen können.
Auch in Arbeiten wie Going around the Corner von Bruce Naumann oder TV Buddha von Nam June Paik wird die Unsichtbarkeit des Zuschauers aufgehoben. Diese Arbeiten unterstreichen, dass die Medien eine Distanz kreieren zwischen uns und der physischen Welt.
Wir befinden uns oft orientierungslos im immer komplexer werdenden allumfassenden Blick. Kaum einer ist sich der vollen Tragweite seiner Transparenz bewusst und so bleibt auch der natürliche Drang sich der Welt zu zeigen, besonders im Internet nicht ohne folgenschwere Konsequenzen.
Das Projekt We Live in Public unterstreicht, wie eng Voyeurismus mit Exhibitionismus verbunden ist. Die Dokumentation zeigt die Geschichte des Internetpioniers Josh Harris der in den 90ern die Vision hatte 100 Künstler in einer Installation mit Bewegungssensoren ausgestatteten Überwachungskameras via Liveübertragung permanent dem Publikum auszusetzen. Beraubt jeglicher Privatsphäre betont dieses Big Brother Experiment den Wunsch nach gewolltem zur Schaustellen und dem gleichzeitig unkontrollierbaren Ausgeliefertsein. Im Kapitel Der, der photographiert wird schreibt Roland Barthes:
„Privatleben ist nichts anderes als jene Sphäre von Raum, von Zeit, wo ich kein Bild, kein Objekt bin. Verteidigen muss ich mein politisches Recht, Subjekt zu sein.“
Und obwohl klar ist, dass sich Voyeurismus längst nicht mehr nur auf das Sehen alleine beschränkt, sitze ich hier vor meinem Laptop, der geschmückt mit einen kleinen Sticker auf der Kamera mich in der Hoffnung wähnt dem Blick auf der anderen Seite zu entgehen.
Bericht Manuel Bärtsch
Tipp Nathalie Pernet
Etüde: Loch / Klang / Wissen
Bericht Manuel Bärtsch
Tipp Nathalie Pernet
Etüde: Loch / Klang / Wissen
Löchern haftet zu Unrecht ein schlechter Ruf an. Ein Loch wird gewöhnlich als etwas Negatives wahrgenommen, als Abwesenheit von Substanz, als Leerstelle, als Materialfehler; auch seine Dimension ist nicht geeignet, Interesse zu wecken: es ist ein Bonsai-Abgrund, zu gross, um unbemerkt zu bleiben, zu klein für spektakuläre Abstürze oder schwindelerregende Einblicke. Loch scheint in jeder seiner Manifestationen ärgerlich und hindernd: Loch im Mantel, Loch im Gedächtnis, Loch im Pneu, Loch im Portemonnaie, Loch im Magen usw.
Bei der Arbeit an meiner Dissertation über das Klavierspiel um 1900 kommen allerdings Zweifel auf, ob man dem Loch an sich nicht unrecht tut. Meine Hauptquelle sind Aufnahmen für sogenannte Reproduktionsklaviere, das sind pneumatisch betriebene Wiedergabeinstrumente, die das Künstlerspiel erstaunlich nuanciert wiedergeben können (falls sie gerade gewillt sind, dieses zu tun). Diese Aufnahmen sind nun mittels Löchern auf Papierrollen codiert; die Papierrolle wird über eine Art Kamm mit 100 feinen Löchern gezogen, von denen feine Röhrchen ins Innere des Instruments führen. Sobald nun ein Papierloch auf ein Kammloch trifft, wird das Vakuum, das in dem Röhrchen herrscht, aufgehoben und eine Taste schnellt nach unten: ein Ton erklingt. Alles, was damals in Europa pianistischen Rang und Namen besass, nahm für dieses System auf. Diese Aufnahmen sind erhalten, oder besser: Was von der ganzen Klavierkunst um die Jahrhundertwende neben garstig rauschenden akustischen Trümmern blieb, sind die Löcher auf diesen Rollen. Ohne Löcher wären wir hier verloren.
Genauer betrachtet ist das Loch aber auch eine Grundbedingung der wissenschaftlichen Arbeit. Ohne Loch in unserem Wissen gibt es keine Möglichkeit einer Dissertation. Dabei ist zu beachten, dass der Rand die Ontologie des Loches bestimmt: ohne Rand ist das Loch ein Nichts. Über das Nichts lässt sich aber nichts aussagen, es ist also unabdingbar, dass die Ränder des Wissensgebiets einigermassen stabil sind oder zumindest so scheinen. Ist das Loch jedoch zu klein, droht die Menge an Gehirnschmalz, mit dem der Dissertant es zuzukleistern beabsichtigt, leicht lächerlich zu wirken.
In meinem Falle tun sich hier Löcher verschiedenen Ausmasses auf: Eines ist zum Beispiel das Resultat des Firmengeheimnisses der Firma Welte, das alle Beteiligten zeit ihres Lebens zu entscheidenden Aufnahmeprozeduren wahrten; die Operation Tigerfish der Royal Air Force am 27.11.1944 beseitigte die allermeisten materiellen Zeugnisse, indem sie die Hauptfabrik in Freiburg im Breisgau in Schutt und Asche legte. Dieses Loch versuchen nun zahlreiche Sammler zu stopfen, indem sie riesige Sammlungen von Aufnahmen, Instrumenten und anderen Welte-Artefakten anlegen. Auf diese verdienstvolle Arbeit bin ich existenziell angewiesen, aber jeder Kontakt mit dieser Szene zeigt mir neue unbeantwortete Fragen auf, mein Wissensloch wächst durch das materielle Zustopfen eher, als das es kleiner würde. Das sehen übrigens einige Sammler anders: Sie glauben, die Löcher auf ihre Art gestopft zu haben und sagen: „Ich werde nächstens dazu was publizieren, denn zu Thema gibt es ja nichts“. Dass der Kollege XY gerade dazu publiziert, stört dabei nicht, und wie der eine oder andere dieser savants seinen Kollegen nennt, könnte unter dieser Thematik durchaus zart angedeutet werden.
Ein Loch hinterlässt aber auch der Interpret, der sein Instrument endgültig aus der Hand legt. Bis ins späte 19.Jahrhundert verschwand damit sein Spiel, und es blieben als Ränder um diese zentrale Leerstelle nur Beschreibungen des Spiels. George Bernhard Shaw schreibt über Joseph Joachims Ausführung der Fuge von Bachs Sonate C-Dur BWV 1005 für Violine solo “ Joachim schabte wild drauflos und erzeugte dabei ein Geräusch, neben dem der Versuch, eine Nuß auf der Schuhsohle zu zerreiben, sich wie der Klang einer Äolsharfe ausgenommen hätte“[1].Das ist sehr anschaulich, aber wie klang es nun? Wann haben Sie zum letzten Mal eine Nuss auf der Sohle zerrieben? Welche Sohle hatte Shaw? Dachte Shaw an eine Walnuss, eine Haselnuss, oder gar an eine Kokosnuss? Ein Blick ins englische Original zeigt immerhin, dass es sich um eine Stiefelsohle und eine Muskatnuss handelt, aber das hilft uns auch nur wenig, denn Joachims Spiel soll ja bedeutend hässlicher gewesen sein als dieses Geräusch, zumindest nach Shaws Einschätzung. Hier bricht sich unsere angeregte Vorstellung an der historischen Flüchtigkeit des Klangs; ein scharfer Rand.
Dass Aufnahmen nun dieses Loch auffüllen, glauben nur Amateure und Privatevangelisten, wobei eine Personalunion hie und da zu beobachten ist. Aufnahmen sind in der Regel nur aus Zufall dokumentarisch; sie werden meist um des Phänomens willen hergestellt und sind Kunstformen eigenen Rechts. Resigniert die Hände sinken zu lassen geht aber auch nicht; hier zeigt sich allerdings auch eine weitere Eigenschaft des Lochs: Es erzeugt einen Sog. So ist Interpretationsforschung also eine bewusst löcherige Angelegenheit: die von Löchern übertragenen Informationen werden trotz Loch im Kontext auf ihre Konsistenz geprüft und gegebenenfalls dafür benutzt, das Klangloch wenn auch nicht zu beseitigen, so doch genauer zu umschreiben. So gesehen dient Wissenschaftliche Arbeit am Loch nicht seinem Verschwinden, sondern seiner Konstituierung durch die Schärfung seiner Ränder.
[1] Zitert nach: Vom Klang der Zeit: Besetzung, Bearbeitung und Aufführungspraxis bei Johann Sebastian Bach : Klaus Hofmann zum 65. Geburtstag. S.13.
Recherche Patricia Schneider
Pinholes:
Je kleiner desto schärfer!
Recherche Patricia Schneider
Pinholes:
Je kleiner desto schärfer!
Das Prinzip der Camera Obscura wurde bereits Anfang des 16. Jahrhunderts durch Cesariano, einen Schüler Leonardo Da Vincis beschrieben, und die Faszination dieses Phänomens findet auch heute noch eine eindrückliche Resonanz in der Kunst und im Design. Durch ein winziges Loch in einer dunklen Schachtel lässt sich die Welt auf ein sensibles Trägermaterial projizieren und darauf festhalten. In einer Zeit, in der wir die Geräte, welche wir täglich nutzen, nicht mehr verstehen, lässt diese Beobachtung unseren Erfindergeist erwachen.
Fast alle Leute haben heute ein Gerät in der Tasche, mit dem sie jederzeit ihre Umgebung oder sich selber fotografieren können. Die Geräte haben so sensible Sensoren, dass sie fast bei jedem Licht brauchbare Bilder erzeugen. Man muss lediglich auf einen Knopf drücken und das Gerät ermittelt automatisch Weissabgleich, Blende und Belichtungszeit. Allenfalls kann man die Ergebnisse noch optimieren, wenn man statt der Vollautomatik den Landschaftsmodus, Porträtmodus oder für Nahaufnahmen das Symbol mit der Blume anwählt. Etwas geht bei diesen technischen Alleskönnern allerdings verloren: Das Verständnis dafür, dass Fotografieren mit Licht und Zeit zu tun hat.
Der Kontrapunkt:
Wer dem Wesen der Fotografie auf den Grund gehen möchte oder auch nur einen Kontrapunkt zum digitalen Alltag setzen möchte, der soll unbedingt einmal eine Lochkamera bauen. Statt durch eine Linse trifft das Licht bei dieser einfachsten Kamera durch ein winziges, verschließbares Loch auf ein lichtempfindliches Material (z. B. Negativfilm oder Fotopapier), welches im Innern eines dunklen Hohlraums befestigt wird. Das Hochgefühl ist garantiert, wenn aus der umgebauten Zündholzschachtel eine winzige Kamera entstanden ist, die ein gestochen scharfes Negativbild erzeugt hat. Eduard Piel zeigt in seinem Videotutorial wie das geht.
Das Tauschprojekt:
Etwas ambitioniertere KonstrukteurInnen können sich vom wunderbaren Buch Out of Focus von Peter Olpe inspirieren lassen. Der in Basel lebende Grafiker, Lehrer und Gestalter hat seit den achziger Jahren unterschiedlichste Lochkameras gebaut und diese dem Fotomuseum in Vevey geschenkt. Die Kameras zeichnen sich nicht nur durch ihre raffinierten technischen Details aus, sondern sind auch eine ästhetische Augenweide. Als das Museum 2012 eine Ausstellung mit Olpes Kameras machen wollte, hat er verschiedene Fotografinnen und Fotografen aus der ganzen Welt angefragt, ob sie mit den Kameras, die er nach ihren individuellen Wünschen fertigen würde, einen Beitrag für die Ausstellung leisten wollten. Als Gegenleistung für die Bildbeiträge hat er ihnen die massgeschneiderten Kameras geschenkt. Aus diesem Tauschgeschäft ist eine Serie von unglaublich vielseitigen und sehenswerten Fotografien entstanden, welche Peter Olpe zusammen mit seinen technischen Erläuterungen und seinen eigenen Beiträgen in seinem Buch Out of Focus präsentiert.
Das Loch:
Damit die Lochkamera scharfe Bilder produziert, muss das Loch möglichst klein sein. Wie die englische Übersetzung Pinhole besagt, wird das Loch meist mit einer Nähnadel gestochen. Die besten Resultate gibt es, wenn man dazu das Blech einer Aludose verwendet, mit einem Kugelschreiber eine kleine Mulde hineindrückt, in die man mit einer spitzigen Nadel ein winziges Loch sticht, dessen Brauen man mit einem feinen Schleifpapier anschliessend entfernt. Sobald man sich mit den technischen Details zu beschäftigen beginnt, findet man unzählige Theorien, Tipps und Anleitungen. Mit dem Lochgrössen-Kalkulator von Mike Feuerbach kann man die ideale Lochgrösse ermitteln und erfährt, wie man das perfekte Loch macht. Eine grafisch etwas ansprechendere Hilfe zur Ermittlung der Belichtungszeit hat Richard Koolish für Ilford Film gestaltet und der Tscheche David Balihar hat die Software Pinholedesigner 2.0 für Windows entwickelt, mit der man die verschiedenen Parameter für unterschiedliche Kameradesigns berechnen kann.
Experimentelle und kuriose Kameras:
Wer gerne experimentiert merkt bald, dass das Konstruieren der Kamera bereits ein gestalterischer Akt ist. Warum sollte man eine Kamera bauen, die normale Bilder produziert, wenn man entdeckt, dass das Variieren der Brennweite, der Grösse und der Anzahl der Löcher, des Winkels und der Form der Bildebene zu spannenden bis kuriosen Bildern führt. Fast jedes lichtdichte Behältnis kann zu einer Lochkamera umfunktioniert werden. So finden sich unter den exotischeren Exemplaren ein Ei, die Mundhöhle des Fotografen oder ein Flugzeughangar, in dem ein Künstlerkollektiv 9.6 x 32.7 Meter grosse Fotografien produziert hat.
Das Design:
Eine ganz besondere Erscheinung hat die Kamera mit der Bezeichnung Heartbeat, welche der Koreaner Kwanghun Hyun gebaut hat. Es handelt sich dabei um ein altes Uhrwerk, welches er modifiziert und mit selbstgefrästen Teilen zu einer funktionstüchtigen Lochkamera umgebaut hat. Auch die Mini Lomo Pinhole von Francesco Capponi hat trotz der winzigen Grösse hohe Ansprüche an das Design. Wer kein Flair fürs Konstruieren hat, sich aber dennoch eine schöne Lochkamera wünscht, kann sich auf der Webseite des Designers Matt Nicolson den Bausatz einer Leica M3, die er sinnigerweise Lieca M3 nennt, herunterladen oder ein do-it-yourself Kit der Mittelformatkamera Viddy bestellen, welche Kelly Angood nach dem Vorbild einer Hasselblad gestaltet hat. Der Bausatz, welcher im Siebdruckverfahren bedruckt wurde, ist in verschiedenen Farben erhältlich. Um den Umgang mit der Kamera zu erleichtern, hat die Designerin eine App entwickelt, welche dabei hilft, die richtige Belichtungszeit zu ermitteln. Wer nicht selber Hand anlegen will, kann beim Slovenen Elvis Halilovi? eine hochwertige Ondu aus Holz kaufen. Die Produktion seiner nachhaltigen und von Hand gefertigten Kameras mit dem eleganten Magnetverschluss hat als Kickstarterprojekt begonnen und wurde inzwischen zu einem erfolgreichen Unternehmen ausgebaut.
Künstlerische Projekte:
Der Künstler Steven Pippin hat den Ausdruck «ein Bild schiessen» wörtlich genommen und hat verschiedene Versuchsanordnungen mit Kameras und Schusswaffen entwickelt. Er hat beispielsweise eine Pistole in ein grossformatiges Kameragehäuse eingebaut, die beim Drücken des Auslösers abgefeuert wird und so das Pinhole schiesst. Auf den damit erzeugten Bildern ist manchmal sogar die fliegende Patrone zu erkennen, meist hat Pippin aber Bilder von sphärischen Nebelschwaden geschossen. Die Werbeagentur Scholz & Friends hat für eine Kampagne der Hamburger Stadtreinigung die Tonnen der Müllabfuhr zu Lochkameras umgebaut. Roland Wilhelm und weitere Müllmänner haben damit ihre Lieblingsplätze dokumentiert, und ihre Arbeit wurde damit buchstäblich in ein neues Licht gerückt. Die Fotos verbreiteten sich rasant übers Internet und beeindruckten auch die Juroren des Werbefestivals in Cannes, welche die Kampagne mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet haben.
Die bemerkenswerteste künstlerische Arbeit, welche mit einer Lochkamera realisiert wurde, ist das Langzeitprojekt von Michael Wesely. Der in München geborene und in Berlin lebende Fotograf hat eine Kamera gebaut, die es erlaubt, sein Motiv über einen langen Zeitraum hinweg zu belichten. Damit konnte er den Umbau des Potsdamer Platzes in Berlin über zwei Jahre und zwei Monate und den Abriss und anschließenden Neubau des Museum of Modern Art in New York fast 3 Jahre lang belichten. Damit hat er nicht nur städtische Entwicklungen dokumentiert, sondern die sich verändernde Zeit auf einzelne unglaublich faszinierende Bilder gebannt.
Einmal pro Jahr wird weltweit der Tag der Lochkamera gefeiert. Der nächste Pinhole Day ist am 30. April 2017. Das wäre doch ein guter Zeitpunkt, um sich mal vom Blümchenmodus abzuwenden und dem analogen Abenteuer eine Chance zu geben.
Tipp Déborah Demierre
Radio Garden : le voyage par les ondes.
Tipp Déborah Demierre
Radio Garden : le voyage par les ondes.
Bienvenue sur Radio Garden ! Ce site répertorie toutes les stations radios qui émettent en temps réel sur internet. Ce service se démarque d’un simple inventaire, par une interface ingénieuse qui permet de visualiser géographiquement la provenance de la station. Ainsi, chaque point vert sur le globe terrestre désigne un ou plusieurs émetteurs. En cas d’offres multiples pour un lieu, une liste apparaît, en bas à droite de l’écran, afin de sélectionner la fréquence souhaitée.
L’Europe, l’Amérique du Nord, la côte brésilienne, l’Australie et la Nouvelle-Zélande sont constellées de points verts, alors que certaines zones en Afrique ou en Asie semblent hors réseau, avec peu de propositions. Les îles paraissent affectionner particulièrement ce moyen de communication, puisque même les plus petites en sont dotées.
En plus des lives, Radio Garden propose trois autres fonctionnalités :
- un onglet historique retrace l’utilisation de la radio comme moyen de traverser les frontières, de représenter un pays et de communiquer avec d’autres nations, malgré les barrières linguistiques.
- la section „jingle“ détaille les particularités sonores permettant l’identification de chaque station.
- la partie „stories“ donne la parole aux auditeurs qui expliquent leur rapport et leur utilisation de la radio et l’ouverture au monde qu’elle leur procure.
Text Annika Hossain
Selbst-
optimierung 2.0
Text Annika Hossain
Selbst-
optimierung 2.0
Jawbone, Fitbit oder Runtastic – Fitnessarmbänder sollen zu einem gesünderen und fitteren Lebensstil verhelfen. Das gleiche gilt für Fitness-Apps wie Freelatics oder Tabata, die individuelle Trainingsprogramme anbieten und regelmässige Feedbacks zu den Ergebnissen protokollieren. Nur trainieren muss man noch selber. Auf diese Weise ist nicht nur der Personal Trainer stets zur Stelle, es ist auch eine Frage der Kosten. Wer das ein oder andere Fitnessstudio-Abonnement verstreichen lassen hat, weiss wovon die Rede ist.
Alexandra Uehlinger, Studentin des MA Art Education, hat diese Entwicklung dazu bewogen, sich in ihrer Masterthesis mit dem Thema digitale Selbstoptimierung zu beschäftigen. Das Ergebnis ist eine eigens produzierte App, die literarische Texte mit Anweisungen für ein besseres Leben an ihre AbonnentInnen versendet. ES® steht für Electronical Super-healthiness, -optimum, -fit, -handsomeness, -happyness, -intelligence, -easygoingness und ist im Google Play Store für Android-Geräte bereits herunterzuladen. „Heute ist ein guter Tag, um deine Beziehung mit Sabine zu beenden.“ Oder: „Nimm das Essen mit deinen Lippen von der Gabel runter, nicht mit den Zähnen. 84% geben an, dass ihnen das Gabel-durch-die-Zähne-ziehen-Geräusch unangenehm ist.“ Durch die zudringlichen Mitteilungen an einen fest stehenden Personenkreis – den Freund von Sabine, eine Mutter, die die Aktivitäten ihres Sohnes via App verfolgt und ihn bei Ungehorsam mit Ermahnungen und Elektroschocks über das Smartphone straft („Bzzz“) – entfaltet sich eine Narration. Diese konfrontiert den App-Nutzer mit dem Ausmaß der Einflussnahme von Activity Trackern auf unser Leben, sei es im Bereich Fitness und Gesundheit „Rauch nicht so viel!“ oder Soziales „Deine Kindergartenfreundin Laura hat soeben gepostet, dass sie 5kg abgenommen hat. Hier fünf Tipps, wie auch du 5kg abnehmen kannst.“ Und natürlich immer darauf abgestimmt, das eigene Wohlbefinden zu verbessern: „Du bist perfekt wie Du bist.“
An wen wendet sich diese App? An Selbstoptimierungs- und Digitalisierungskritiker? An besorgte Angehörige von passionierten Activity-Trackern? An aufgeschlossene Literaturliebhaber? Auch wenn die Zielgruppe nicht klar definiert ist. Die künstlerische Arbeit macht einen feinen, ironischen Kommentar auf den Selbstoptimierungswahn im digitalen Zeitalter und setzt sich gleichzeitig ernsthaft mit dem Thema auseinander. So betrachtet Alexandra auch die Vorteile, die durch Smartwatches beispielsweise im Bereich Gesundheit möglich sind: Ein gesünderer Lebensstil kann allenfalls Kosten für teure Therapien vorbeugen. Die Daten eines Herzkranken können im Notfall direkt an das Spital übermittelt werden. Und bei intensiven Arbeitsphasen kann der Activity-Tracker daran erinnern, eine Pause einzulegen.
Vor allem liegt Alexandras Arbeit aber eine aufwendige Sprachanalyse zugrunde, die sich in den kurzen und sorgfältig durchdachten Texten niederschlägt. Die zudringliche direkte Ansprache berührt die LeserIn, auch wenn sie gar nicht gemeint ist. Die kritische Reflexion des eigenen Umgangs mit den Themen „Daten“ und „Selbstoptimierungssoftware“ inbegriffen.
Darüber hinaus zeigt die Arbeit, wie die Digitalisierung der Welt sich immer weiter in unseren Alltag einschleicht. Sie betrifft dabei in jedem Fall – ob bei der Automatisierung von Arbeitsprozessen, selbstfahrenden Autos oder self-checkouts in Supermärkten – vor allem unsere persönlichen Daten. Man denke nur einmal darüber nach, wie viele eigene Daten bereits im Netz hochgeladen sind. Täglich locken weitere Anbieter mit lebenserleichternden Angeboten. Selbst mein Arzt hat vor kurzem eine Onlinepraxis aufgeschaltet, die es mir ermöglichen soll, ihn online zu konsultieren und hinsichtlich meiner Gesundheit jederzeit und überall gut informiert zu sein. Dabei ist allgemein bekannt, wie es sich mit der Sicherheit von Daten im Internet verhält. Jeder unserer Klicks hinterlässt eine Datenspur, die uns im besseren Fall bei der nächsten Amazonsuche im Werbebanner wieder begegnet, im schlechteren von Dritten mit entsprechenden Programmen nachverfolgt wird: http://www.ndr.de/nachrichten/netzwelt/Nackt-im-Netz-Millionen-Nutzer-ausgespaeht,nacktimnetz100.html.
Bei solchen Überlegungen wird das Funkloch zum Sehnsuchtsort. Doch wer möchte andererseits heute noch darauf verzichten, überall erreichbar zu sein und das Büro in die eigenen vier Wände oder an den weissen Sandstrand verlegen zu können? Die Vorzüge sind verlockend, der Preis dafür – lediglich ein paar Daten.
Mehr Informationen zur Masterthesis ES® ab Sommer 2017 unter: http://www.arteducation.ch.
Text Seraina Kobler, NZZ
Tipp Nathalie Pernet
Trennung auf Zeit
Text Seraina Kobler, NZZ
Tipp Nathalie Pernet
Trennung auf Zeit
Es ist ein bekanntes Phänomen in grossen Städten: Morgens strömen die Pendler aus den Schächten der Bahnhöfe, in grosser Zahl und fast immer mit einem technischen Gerät in der Hand, vor dem Gesicht oder am Ohr. In der Jugendsprache heissen Menschen, die wie hypnotisiert auf den Bildschirm starren, „Smombies“ (eine Wortkomposition aus Smartphone und Zombie). Seit das Internet in den neunziger Jahren seinen Siegeszug in der Schweiz angetreten hat, ist die Nutzung dauernd gestiegen. Rund 83 Prozent der Bevölkerung surfen laut Bundesamt für Statistik regelmässig durchs Netz. Davon benutzten rund vier Millionen Menschen auch eine mobile Verbindung. Weltweit betrachtet sind hingegen gemäss einem Bericht der Weltbank vom letzten Donnerstag noch immer mehr als 60 Prozent der Bevölkerung offline. Die digitale Kluft wachse, so warnen die Autoren der Studie. Dennoch: Die Digi- talisierung wird die Gesellschaft als Ganzes in Zukunft wie kein anderer Megatrend prägen.
Drohendes Schattenzeitalter …
Der Schweizer Ökonom Joël Luc Cachelin hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben. Als Motor der digitalen Entwicklung macht er die Sehnsucht nach einem einfacheren und intensiven Leben aus: Man müsse etwa weniger auswendig lernen, wisse, wann der Zug fahre, und habe stets ein riesiges Angebot an Musik. Je weiter die Entwicklung fortschreite, desto grösser werde aber der digitale Schatten, welchen wir hinterlassen. Dies habe auf sozialer und ökologischer Ebene negative Folgen. Dagegen rege sich Widerstand in Form von getrennten Verbindungen vom World Wide Web.
„Die Digitalisierung stösst auch jenen sauer auf, deren Status, Einkommen, Macht oder Besitz gefährdet ist“, schreibt Cachelin in seinem neusten Buch „Offliner“. Das Internet provoziere eine nächste industrielle Revolution und bedrohe Arbeitsplätze. Menschen befürchten, durch Roboter ersetzt zu werden. Betroffene meiden deshalb das Internet und benutzen keine Apps zur „Erleichterung“ des Alltags. Der Trend, den Stecker zu ziehen, kommt alle paar Jahre wieder. Schon 2009 warnte der verstorbene „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher im Buch „Payback“ vor den negativen Folgen des Computerzeitalters und suchte Heilung von der „digitalen Droge“. Der Bestsellerautor diagnostizierte einen totalen Kontrollverlust. Heute, bald sieben Jahre später, sind die Fragen aktueller denn je. Trendforscher Cachelin schreibt im Browser- Buch „Schattenzeitalter“: „Mit dem Vorstoss des Internets in alle Lebensbereiche nehmen Desinformation, Überwachung und Manipulation zu“.
Eine Avantgarde hat begonnen, ihren digitalen Konsum und dessen Auswirkungen kritisch zu hinterfragen. Dabei ist die Gruppe heterogen, und die Motive unterscheiden sich stark. Während die einen mit einer sich immer schneller drehenden Welt überfordert sind (die Entschleuniger), stemmen sich andere gegen den dauernden Update- Zwang von Programmen und techni- schen Geräten (die Nachhaltigen), und für nochmals andere war früher alles besser (die Romantiker). Cachelin unterscheidet insgesamt 16 Typen von Offlinern, welche er in wirtschaftliche, politische, soziale und technologische Fraktionen unterteilt. Die Palette der Motive für einen temporären oder dauerhaften Ausstieg aus dem Netz ist breit: vom persönlichen Wohlbefinden bis zum Versuch, wirtschaftliche Monopole zu brechen oder sich staatlicher Überwachung zu entziehen.
… contra analoge Freiheit?
Nicht zu unterschätzen ist der Lifestyle- Aspekt der digitalen Askese. Der dazugehörige Trend kommt direkt aus dem Herzen der Computerindustrie in Silicon Valley. Mindfulness, also Achtsamkeit, heisst das Zauberwort. Gemeint ist eine Adaption der ursprünglich buddhistischen Lehre. In der Meditation soll der Moment erfahren werden. Eng verbunden damit ist auch die Digital-Detox-Bewegung. Ihre Anhänger entschlacken den Online-Konsum zur geistigen Entgiftung. Meist vermischen sich verschiedene Motivationen zu einem bewussten Lebensstil.
Seit einiger Zeit haben die digitalen Einsiedler ein eigenes Magazin. „Quicumque“ widmet sich Themen rund um Selbstversorgung und autarkes Leben. „Wir mischen Aspekte des modernen Lebens mit Altem und Bewährtem“, sagt Chefredaktorin Axenia Schäfer. Innovationsfremd sei man aber nicht. So zeige das Magazin etwa, wie man unabhängig von öffentlicher Stromversorgung sein könne. Gebündelt sei das erprobte Wissen in Papier, „damit endloses Surfen wegfällt“.
16.01.16 / Nr. 12 / © NZZ AG
Essay Stefan Sulzer
Von Trump und anderen Löchern
Essay Stefan Sulzer
Von Trump und anderen Löchern
Fluchen kann herrlich vulgär sein, ohne dass es jedoch gleichzeitig primitiv sein muss. Sprachliche Finessen können sich darin ebenso manifestieren wie die unverkennbare Klassenzugehörigkeit. Fluchen kennt aber auch klare geografische Differenzen. In Grossbritannien, einem Land das mit grosser Leidenschaft flucht, darf am TV beispielsweise erst nach dem sogenannten watershed (Wasserscheide) gehörig geschimpft werden (neben der Darstellung von Gewalt und Sex, die ebenfalls erst nach 21 Uhr erlaubt ist). Ist der Gebrauch des Wortes „cunt“ (Fotze) in Australien und Grossbritannien völlig ungefährlich und nicht selten als Beleidigung beider Geschlechter zu hören, verstummt in den USA ein Raum, sobald das unsäglichste aller Worte ausgesprochen wird. Ebenfalls in den USA wurden dafür extra Abbreviationen geschaffen, damit man das Unaussprechliche trotzdem aussprechen kann. C-word für cunt, n-word für nigger. Wie der Sprachwissenschaftler Hans-Martin Gauger herausgefunden hat, liegt der Fokus unterschiedlicher Sprachen beim Fluchen auf unterschiedlichen Körperfunktionen oder Regionen. Finden sich im Englischen oft auf die Sexualität anspielende Kraftausdrücke und Beleidigungen (das ubiquitäre fuck, motherfucker, dickhead, bellend, twat, tosser, sodding, tits up, bollocks, knobhead etc.), so fluchen deutschsprachige Menschen exkrementell oder fäkalisch (Scheisse, Arschloch, verpiss dich etc.). Es gibt natürlich für die meisten Beispiele ein englisches Equivalent und vice versa, jedoch werden diese nicht in der selben Häufigkeit benutzt. Auch benutzt man im Englischen oft Fluchwörter, die nicht a priori negativ besetzt sind. Etwas, was sich von Scheisse nicht sagen lässt. Eine detailliertere Auseinandersetzung mit den sprachlichen Differenzen finden Sie im nachfolgenden Spiegel Interview mit Hans-Martin Gauger.
Der äusserst scharfzüngige politische Kommentator Bill Maher warnt davor, sich zu schnell durch einzelne Worte beleidigen zu lassen und dabei gewichtigere Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Die besonders in den USA grassierende Forderung nach „safe spaces“ und „trigger warnings“ an Universitäten durch sogenannte Social Justice Warriors (SJW) kontert er folgendermassen: „What matters is while you self-involved fools were policing the language at the Kids‘ Choice Awards, a mad man talked his way into the White House. Stop protecting your virgin ears and start noticing you’re getting fucked in the …“ (zum Thema passend handelt es sich hier übrigens um eine perfekte Kombination von exkrementellem und sexuellem Fluchen).
Spiegel Interview mit dem Sprachforscher Hans-Martin Gauger
TV-Interview mit Hans-Martin Gauger
Was Louis C.K. vom n-word hält
Text Paul Middelhoff
Lügen sind der Kern der US-Politik
Text Paul Middelhoff
Lügen sind der Kern der US-Politik
Seit mehr als 40 Jahren zwingt der Journalist Seymour Hersh die USA in die Auseinandersetzung mit den Schattenseiten ihrer Politik. Derzeit hält der 78-Jährige Amerika mit vermeintlichen Enthüllungen über die Tötung des Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden in Atem. Die Darstellung der Regierung, nach der amerikanische Geheimdienste den Terroristenführer ohne Mithilfe pakistanischer Informanten aufgespürt hätten, sei „eine große Lüge, nicht ein Wort ist war“, sagte Hersh schon im Jahr 2013. In einem Essay berichtet Hersh nun ausführlich über vermeintliche Fehlinformationen, die das Weiße Haus über die Tötung bin Ladens verbreitet habe.
Hersh gilt in den USA als Koryphäe des Enthüllungsjournalismus. Der Sohn osteuropäischer Einwanderer wuchs in Chicago auf, wo er seine Karriere als Reporter bei der Presseagentur AP begann. Schon früh machte Hersh mit aufsehen erregenden Geschichten von sich reden: Als er aufdeckte, dass die amerikanische Regierung Giftgasmunition entgegen eigener Beteuerungen im Ausland lagerte, kam es zwischen Hersch und der AP zum Zerwürfnis. Aus Angst vor dem politisch brisanten Stoff wollte die Agentur Hershs Text auf einen Bruchteil zusammenkürzen, Hersh widersprach, kündigte und verkaufte seine Geschichte an eine Zeitung.
Hersh rückt die USA ins Zentrum der Weltöffentlichkeit
Den wohl größten Coup seiner Karriere landete Hersh mit seinen Berichten über das Massaker von My Lai im Jahr 1968, bei dem amerikanische Soldaten bei einem Angriff auf ein vietnamesisches Dorf hunderte Frauen und Kinder umgebracht hatten. Auch bei dieser Geschichte drückten sich die großen Zeitungen vor der Veröffentlichung. Erst als das Massaker offiziell bestätigt wurde und Hersh für seine Arbeit den Pulitzer Preis verliehen bekam, begann das Werben der großen Zeitungen um den brillanten Investigativ-Journalisten.
Mit seinen Enthüllungsgeschichten rückte Hersh die USA ins Zentrum der Weltöffentlichkeit: Zuletzt hatte er die Folter von Gefangenen in US-Gefängnissen im Irak aufgedeckt. Mehrfach hatte sich der Rechercheur jedoch auch in unhaltbare Anschuldigungen verrant. Seine aktuellen Vorwürfe dementiert die Regierung in Washington erneut entschieden. Wieder einmal steht Hershs Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Er hält sich jedoch eisern an sein Dogma, das er auch in seinem aktuellen Aufsatz formuliert: „Lügen von höchster Stelle bleiben nach wie vor der modus operandi der US-Politik.“
Für mehr Informationen: hier geht’s zum Podcast: http://www.frontlineclub.com/podcast-in-conversation-with-seymour-hersh-the-killing-of-osama-bin-laden/
Text Andreas Vogel
Mal Ruhe
Text Andreas Vogel
Mal Ruhe
Fünf Jahre, zwölf thematische Ausgaben, 197 Beiträge ist es her, dass Ding-Dong erstmals an unserer Türe sowohl klingelte, als auch erklang. Mal als unerwarteter Gruss, mal als mieser Stachel im Alltagsfleisch. Mal als Meldung aus Absurdistan, mal als dringend nötige Klarstellung. Mal als ungebetener Gast, mal als sehnlichst erwartete, alte Freundin. Auf dem Rücken thematischer Komposita hat Ding-Dong dabei immer eine originäre Sprache gefunden, frei von Zensur, übergeordnetem Nutzen oder öder Selbstbeweihräucherung.
Und nun Funkstille? Funkstille, einer der wohl sonderbarsten akustischen Zustände überhaut. Oldfashioned und topaktuell zugleich. Es wird ja nicht nur permanent Stille gesucht (gesucht wohlbemerkt, nicht etwa hergestellt), es erfährt auch einige Berühmtheit, wer unfreiwillig in der Funkstille sitzt: das mobilnetzfreie Dorf Eisenschmitt in der deutschen Eifel etwa wird von den Netzbetreibern, da unrentabel, ignoriert – und hat es so auch zu einem, wie auch immer motivierten, schrägen Video auf Youtube gebracht. Angesichts all der Netzstrahlungsgeschädigten scheinen „Ferien im Funkloch“, so der Titel des Videos, zunächst vernünftig. Gepostet hat allerdings der sog. Europe Channel, dessen Profilbanner mit dem Eisernen Kreuz und dem Slogan „Deutschland zuerst“ leider nicht ironisch gemeint ist, sondern tiefstes Braun trägt.
Natürlich könnten die 320 Seelen von Eisenschmitt etwas anachronistisch aber durchaus retrochic mit Walkie-Talkies durchs Dorf laufen. Aber diese Art des Funkens ist uns zumindest im Alltag ja leider längst abhanden gekommen. Wer ist denn – abgesehen von kostenbewussten Fernfahrern – heute noch unter einem Callsign wie „Kreuzotter 2“ im 11-Meter-Band unterwegs, um zu gucken, wer erreichbar ist und wo man anbeissen kann. Mit der zunehmenden Unbedeutung des CB-Funks ist eine Kommunikationsart von unserem Alltagsradar verschwunden, die zumindest aus damaliger Sicht für coole Codenamen sorgte.
Die gibt es heute freilich schon auch noch: Aber WLAN-Stationen und Natel-Hotspots haben hinter all den bemühten Netzwerknamen meist vor allem eines, nämlich ein SCHLOSS
. Wo der „Teddybär“ im unerträglichen Evergreen des schon damals altbackenen One-Hit-Wonders Jonny Hill noch ausdrücklich Kontakt mit seiner Umwelt suchte, wollen die Netzwerke, resp. deren Eigentümer heute vor allem niemanden reinlassen. Wozu all die bemüht originellen individuellen Netzwerkbenennungen, wenn wir nie ins Gespräch kommen und noch nicht einmal erfahren, wer sich den trendigen Namen für seinen Hotspot ausgedacht hat? Wer ist „vergiss es“, wer „Rotznase“, wer „vitellotonnato“, wer „F*** dich“, mit denen ich tagtäglich das Grossraumabteil in der Bahn teile? Und wer verantwortet all diese Idiotengenitive à la „Beat’s iPhone“?Nicht rauszufinden. Funkstille quasi. Aber nicht die, die auf See viermal am Tag den sonstigen Funkverkehr einstellt, um etwaige Notrufe hören zu können. Die für ein Kommunikationsinnehalten steht im Interesse des womöglich Überlebenswichtigen. Stattdessen eine, die mitteilt: ich bin fantasievoll, ich kommuniziere … aber nicht mit Dir!
Dieser Zustand wäre mal zu brechen. Einfach mal aufstehen und fragend ins Abteil rufen: Wer ist eigentlich „Sackgesicht“? Dann wäre vielleicht mal kurz Ruhe.
Ding-Dong, bitte übernehmen!